Das Geschenk
Ich rede vom Ende der Nacht
Ich rede vom Ende der Dunkelheit
Und vom Ende der Nacht rede ich
Wenn du zu meinem Haus kommst,
bring mir, du Lieber, eine Lampe
Und eine Luke, aus der ich
Das Gedränge der glücklichen Gasse sehen kann.
Aus dem Persischen übertragen von Kurt Scharf
Unabhängig voneinander schenkten mir zwei im Iran geborene Freunde zum letzten Weihnachtsfest Gedichte von Forugh Farrochsad. Da interessiert man sich schon seit längerer Zeit für lyrische Stimmen aus aller Welt und muss – nicht ganz ohne Scham – zugestehen, dass man von Forugh Farrochsad noch nie ein Gedicht gelesen hat. Durch ihre Geschenke wollten mich die iranischen Freunde endlich mit der für sie so überragend wichtigen Lyrikerin persischer Sprache bekannt machen. Dass wir so wenig von den kulturellen und literarischen Traditionen der in Deutschland lebenden Freunde „mit Migrationshintergrund“ kennen, ist ja ohnehin eine Schande…
Forugh Farrochsad wurde 1935 in Teheran als Tochter eines höheren Militärs geboren. Zu den Oppositionellen gehörte ihre Familie in den Jahrzehnten des Schah-Regimes sicherlich nicht. Forugh hat zunächst einen für iranische junge Frauen ihrer Zeit wohl nicht untypischen Lebenslauf. Sie heiratete bereits mit sechzehn Jahren einen 15 Jahre älteren Mann. Bildete sich in Malen und Nähen fort. Gebar einen Sohn, dessen Sorgerecht sie aber nach der Trennung von ihrem Mann verlor. Dieses Ereignis hat Forugh Farrochsad für ihr ganzes weiteres, leider nicht so langes Leben geprägt – doch vor allem aber hat es den Ton ihrer Gedichte bestimmt.
Langsam entfernte sie sich immer mehr von der iranischen Kultur unter dem Schah-Regime. Suchte den Kontakt mit dem Ausland, verbrachte Monate in Europa. Wieder zurück im Iran schrieb sie weiterhin Poesie und half mit, eine eigene iranische Filmkultur aufzubauen. Die Gedichtbände von ihr wurden immer populärer, aber fanden auch immer weniger Gefallen im Umkreis des Regimes.
Sie wäre sicherlich eine noch größere iranische Lyrikerin geworden, wenn sie nicht im Februar 1967 mit knapp 32 Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen wäre.
Ich weiß schon, dort in jenem fernen Haus
herrscht keine Lebensfreude mehr
Ich weiß schon, ein verlassenes Kind
weint bitterlich und grämt sich sehr
Ich aber hab verwirrt und tief bedrückt
den Weg der Sehnsucht eingeschlagen
der Vers ist mein Gefährte, mein Geliebter
Um seinetwillen muß ich alles wagen
„Mit ihrem Werk“, schreibt der Übersetzer Kurt Scharf in seinem Nachwort zu dem einzigen in deutscher Sprache vorliegenden Gedichtband, „ist Forugh Farrochsad zur bedeutendsten Dichterin ihres Landes geworden.“ Parvaneh und Karim danke ich dafür, mich mit einer wunderbaren Stimme des modernen Persien bekannt gemacht zu haben.
Carl Wilhelm Macke
Gedicht ist erschienen in: „Jene Tage“, Frankfurt am Main, 1993. Foto: Wikipedia, Quelle.