Geschrieben am 29. Januar 2014 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Rolf Dieter Brinkmann

BrinkmannGedicht

Zerstörte Landschaft mit
Konservendosen, die Hauseingänge
leer, was ist darin? Hier kam ich

mit dem Zug nachmittags an,
zwei Töpfe an der Reisetasche
festgebunden, Jetzt bin ich aus

den Träumen raus, die über eine
Kreuzung wehn. Und Staub,
zerstückelte Pavane, aus totem

Neon, Zeitungen und Schienen
dieser Tag, was krieg ich jetzt,
einen Tag älter, tiefer und tot?

Wer hat gesagt, dass sowas Leben
ist? Ich gehe in ein
anderes Blau.

 

Ein kurzer autobiographischer Exkurs ist unumgänglich: Brinkmann wie der Schreiber dieser Zeilen stammen aus Südoldenburg. Aber wo das liegt, muss man dem Rest der Republik vielleicht erst einmal erklären. Holland ist nahe, Preussen ist weit, Bayern schon etwas näher. Stürmisch die Winde von der Küste her. Heimat des Grünkohls, der Hühnerbarone und periodisch auftretender Futtermittelskandale. Ein von sehr viel provinzieller Luft und Güllegestank eingebeizter Winkel westlich von Verden an der Aller und östlich von Veendam, südlich von Groningen. Genau zwischen den wogenden Wellen des Jadebusens und der Sommerrodelbahn von Ibbenbühren gelegen. Vor allem ist es von hier nicht weit zum Vatikanstaat. Die Gegenreformation hat hier gewütet wie in kaum einem anderen Landstrich unseres Vater- und Mutterlandes. Ein schaurig-dunkler Flecken inmitten der norddeutschen Schweinebucht. Nichts wie raus hier…

Aber man kann das alles auch ganz anders sehen. Eine wunderbar leichtgläubige Gegend ist das hier, mit Wolken so weit das Auge reicht , eingerahmt von Wegkreuzen und Gnadenkapellen, die einladen zur Rast auf unserem langen Weg durch irdische Jammertal bis an die Pforten des Paradieses. Die, davon ist hier selbstverständlich jeder überzeugt, sich einladend weit zur südoldenburger Ebene öffnet. Kinder gibt es hier so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland. Auch das ist kein Zeichen von Traurigkeit und Lebensangst. Man nimmt nicht alles so fürchterlich schwer wie nur wenige Kilometer weiter nordwärts in der protestantischen Tiefebene rund um Oldenburg, Bremen, Cuxhaven, Wilhelmshaven.

Hier gab und gibt es immer noch Wunder, wundergläubige Menschen und eine ‘wunderbare Wirklichkeit’. Lourdes, Londonderry und Loreto inmitten der norddeutschen Moor- und Geestlandschaft. Ungefähr da also, am Meridian der Langeweile, der hochprozentigen Schnäpse und des Weihrauchdunstes liegt Südoldenburg. Überall gibt es hier „kalte Bauern auf kaltem Land“. Das hat Rolf Dieter Brinkmann einmal geschrieben, eine Lichtgestalt der deutschen Pop-Literatur in den sechziger Jahren, der auch aus dieser gottbelassenen Gegend stammt. Und an ihr verzweifelte. Eine Tragödie für ihn, für die deutsche Literatur ein Gewinn. Schon in den frühen ‚Roaring sixtees’ begann Brinkmann mit dem Schreiben von literarischen Texten, die von heute aus gesehen zu den Gründungsmanifesten einer ‚deutschen Pop-Kultur‘ gehörten.

Irgendwie schräg waren sie, manchmal rotzig dahingeschrieben, wortverliebt, schamlos, immer jedoch ‚Highspeed‘. Und nicht zuletzt „Sex & Drugs & Rockn’Roll“. Also alles, was die verunsicherten, aber immer stocksteifen Oberstudienräte für Deutsch, Geschichte und sonstige Abendlandschätze nur mit spitzen Fingern angelangt hätten. Unterrichtsstoff? Gott bewahre! Doch die immer lodernde Flamme von Rolf Dieter Brinkmann brannte nur kurze Zeit, viel zu kurz für seine Generation, die von solchen literarischen Free-Jazz-Stimmen nicht genug bekommen konnte. Dass er im April 1975 in London beim einem Verkehrsunfall starb, war ein Schock für uns, die wir uns mit seiner Wut und seinem lyrischen Tempo so langsam aus dem Mief der Adenauer und Heinz Erhard-Jahre so langsam befreien konnten. „Wer hat gesagt, daß sowas Leben ist?“

Carl Wilhelm Macke

Foto Brinkmann: Wikimedia Commons, Autor: Wisc, Quelle.

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