1 Kunstpostkarte, 1 Woche, 1 Kolumne: Michael Zellers SEH-REISE ist zurück! Michael Zeller besitzt einen großen Stapel von Kunstkarten, die er bei seinen Galerie- und Museumsbesuchen angesammelt hat. Jede Woche fischt er eine Karte heraus und hängt sie sich in die Wohnung, wo der Blick immer wieder an ihr hängen bleibt. Was darauf zu sehen ist, welche Beziehung sich zwischen Werk und Autor entwickelt, darüber berichtet Michael Zeller wöchentlich in CULTurMAG. Heute: „ Phantastische Vision” von Francisco de Goya.
Schwefel der Hölle
Dieses fahle giftige Gelb, das sich über die ganze Breite des Bildes spannt, hat mich jetzt eine Woche lang verfolgt bei den Verrichtungen des Alltags, und jedes Mal stieß er mich ab, der Schwefelhauch dieser Gaswolke – oder blies ein Sandsturm aus der Wüste? Wohl fühlte ich mich nie dabei, wenn ich in mein Küchenrähmchen schaute, willkürlich oder gesucht.
Doch das, was unter dem unbehaglichen Gelbschleier geschieht, behauptete sich dagegen. Die Szenerie zog mich stark an, gerade auch, weil sie nicht restlos zu entziffern ist. Da bleibt ein Geheimnis offen, wie es einer „Phantastischen Vision“ ja auch ansteht (so der Titel des Bildes von Francisco de Goya).
Nahezu quadratisch dominiert ein Tafelberg die Mitte, aus nacktem Felsgestein. Ein erratischer Block. Wie eine Festung ragt das matte Blaugrau seiner schroff abfallenden Wände ins Bild. Im Dunst großer Entfernung löst sich oben auf dem Kamm die Silhouette einer Stadt auf, mit Kirchturm. Im Zentrum ein seltsamer Rundbau, in dem ich immer das Colosseum der römischen Antike mit seinen Tierhatzen hineingesehen habe. Diese weit entrückte Felsenwelt und ihre Bebauung umwittert die bizarre Logik eines Traums. Dass sie konkret irgendwo zu orten wäre, scheint unwahrscheinlich.
Was sich unterhalb des Felsens abspielt, auf einem von Bergen umrundeten Hochplateau, wirkt handfest dagegen. Ein langer Zug von Soldaten, mit Helmen und Rüstungen gewappnet, kommt aus dem Tal geritten und sammelt sich oben. Wohin soll die Attacke gehen?
In der Luft, über den Köpfen des Trosses, schwebt mit angezogenen Knien ein seltsames Paar. Die Frau verbirgt sich halb hinter einem Umhang aus roter Seide, den Blick elegisch aus dem Bild hinausgekehrt, ins weite Nichts. Abgewandt von ihr der Mann, mit einer grässlichen Fratze der Angst. Aufgerissen die Augen unter einem wirren Haarschopf, streckt er die Zunge heraus, ein Abbild irren Entsetzens, und weist mit seiner Linken, ohne hinzuschauen, auf den Felsenberg, der im Fernen verblasst – und doch mit einer bedrohenden Gegenwärtigkeit das Geschehen beherrscht.
Hat der Schwebende vielleicht den Heckenschützen entdeckt, der am Bildrand unten rechts mit angeschlagenem Gewehr auf den Augenblick lauert, dass er seinen Karabiner abfeuern kann – auf die berittenen Soldaten, sobald sie in Schussnähe sind, oder auf ihn, vollkommen schutzlos in den Lüften? So viel Entschlossenheit zum Töten jedenfalls in der Rückenfigur des Schützen, mit seinem roten Federbusch am Hut!
Weiter kann ich die dargestellte Szenerie nicht auflösen. Eine klare zielgerichtete militärische Aktion darin zu erkennen, gelingt mir nicht. Was der Maler Francisco de Goya hier zeigt, mit jedem Pinselstrich, mit jedem Farbtupfer – ist die Allgegenwart von Gewalt. Das Wüten des Krieges, einerlei wer gegen wen. In jeder Sekunde, sagt das Bild, kann das Leben einer der gemalten Figuren zerfetzt werden. Die Lizenz zum Töten setzt ihre eigene Wirklichkeit. Wer am ehesten und genauesten schießt, ist im Recht. Da bleibt allenfalls die rausgestreckte Zunge, in panischer Überlebensangst, die im nächsten Augenblick bereits zur Todesfratze erstarrt sein kann.
Die allgegenwärtige Mörderei ist von diesem schlimmen Gelb grundiert, als die todesschwere Lebensluft zum Atmen in Zeiten des Kriegs. Für den Nachgeborenen hat der Schwefelton durch die Errungenschaften im Waffenarsenal des zwanzigsten Jahrhunderts eine noch beklemmendere Nuance dazugewonnen: Giftgas. Davon musste Goya in seiner Zeit noch nicht alp-träumen. Gerade diese Assoziation war es, die mir an Goyas „phantastischer Vision“ so schwer zu schaffen machte unter der Woche.
Als der sein Bild malte, 1820, war er jenseits der Siebzig und hatte sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ohne Auftraggeber konnte er sich hier, im gesellschaftlichen Abseits eines Landhauses, malend seinen Visionen und Traumbildern überlassen. Dass es Szenarien des Krieges waren, zeigt, dass dieser Maler bis ins hohe Alter seine gnadenlose Ehrlichkeit nicht preisgegeben hat. Deshalb schnüren seine Bilder auch noch nach zweihundert Jahren einem Betrachter die Luft zum Atmen ab, als sei sie von Schwefel vergiftet.
Michael Zeller
Francisco de Goya: Phantastische Vision. Öl auf Leinwand, 1820. Museo del Prado, Madrid.
Michael Zeller, Schriftsteller mit einem umfangreichen, mehrfach ausgezeichneten literarischen Werk (zuletzt, 2011, Andreas Gryphius-Preis). 2013 sind von ihm erschienen die Gedichte wie es „anfängt : wie es endet” und der Prosaband „ABHAUEN! Protokoll einer Flucht” bei CulturBooks. Zur Homepage des Autors geht es hier. Copyright des Textes: Michael Zeller.