Geschrieben am 2. August 2014 von für Bücher, Crimemag, Kolumnen und Themen

Die Neffen sind los

die neffen sind losPhantomias erschreckt Nosferatu: neue Beispiele aus Walt Disneys Fiktionenmaschine

– Phantomias gehört zum Grundbestand der internationalen Kriminalliteratur – als frühes und wichtiges Beispiel für Multi- und Transmedialität. Weniger bekannt sind seine Bezüge zu Nonferatdu und Mario Götze. Markus Pohlmeyer analysiert, schluck:

I

„Die Neffen sind los!“ (Walt Disney Lustiges Taschenbuch 457, Berlin 2014): gemeint sind Tick, Trick und Track. Ein monumentaler Textbeginn für diesen Essay: tief wie ein Haiku. Oder auch nicht. Eine Alliteration, ein Trikolon, minimal art: Nur ein Buchstabe macht die Differenz aus. Ein geschickter rhetorischer Trick, vertrackt durchaus, ein Tick überspannt vielleicht.

Einer meiner Linguistikprofessoren schlug uns Studenten vor, aus Forscherneugier heraus ALLES zu lesen. Und er selbst nahm gern viele Beispiele aus der Alltagswelt – vom Interview mit einem Sportler bis hin zu Gesprächen mit Studenten –, um die Lebendigkeit von Grammatik und Linguistik zu illustrieren. (Unvergesslich, freitagmorgens, um 8.00 Uhr, wir mögen bitte nicht erröten, wir seien alle alt genug, wir müssten heute über das … Relativpronomen sprechen. Erschüttertes Schweigen.) Alles lesen? Am leichtesten gesagt, schwerer getan, unmöglich. Natürlich gibt es bei jedem individuelle Schmerzgrenzen: Das Telefonbuch lese ich nur selektiv, das Handbuch zu meinem Computer (umfangreicher als sämtliche Werke von Kleist) lasse ich mir im archaisch-pragmatischen Ansatz von Profis zusammenfassen: Drückʾ einfach diese Tastenkombination! Und gewisse Liebesromane (Romane? Oder waren es Filme? … ich muss hier paraphrasieren: Rosamunde. Umwege zum Glück oder Orkan der Liebe oder Schwester Frau von Stein und Dr. Johann Wolfgang etc. …) belügen die Welt billig, massenhaft und sehr erfolgreich.

Phantomias, der Beschützer Entenhausens ... (© Disney/Quelle)

Phantomias, der Beschützer Entenhausens … (© Disney/Quelle)

Aber ich befolgte den Rat meines Professors, so weit es in einem fragmentarischen Leben möglich sein kann, und verwies vor kurzem in meinem Seminar „Klassiker der Theologiegeschichte“ auf meine ausgiebigen Lektüreerfahrungen mit Walt Disney Lustiges Taschenbuch – ein Forschungsprojekt, das übrigens schon seit meiner Kindheit angelaufen war. Studenten sind ja vieles im Bereich von Forschungsliteratur gewöhnt: von unverständlich (Diese selbst ernannte Koryphäe will gar nicht mit uns Lesern kommunizieren.) über langweilig (die Antwort der Mittelmäßigkeit auf Platon und Schiller) bis hin zur meisterhaften Brillanz (Cicero strikes back).

Und da kommt dann einer mit Donald Duck. Und das nach der Lektüre von Tertullian, Augustinus, Luther und Guardini (Der Heilbringer). Wir hatten aber auch Formen von Ersatzreligionen in der Postmoderne behandelt, z. B. Fußball. (Bekanntlich sei ja Deutschland von einem Götze[n] im WM-Finale erlöst worden. Die Reaktionen der Studenten fielen natürlich differenziert aus: von Sindwirschongewöhnt bis Ist-der-Mann-da-vorne-richtig-zusammengeschraubt? Nun war echte Überzeugungsarbeit gefordert. Eine Studentin durfte (Erzählperspektivenwechsel: musste) Forschungsarbeit an einem Text über Daniel Düsentrieb[1] aus einem Band mit dem Titel Genie und Wahnsinn leisten.

Dieser Comic ist eine spannende Geschichte und zugleich eine Art Bildungsroman light. Daniel erzählt seine Vita Tick, Trick und Track: Er wollte ursprünglich Schauspieler werden, scheiterte an mangelndem Talent, bastelt sich sogar eine Art Roboterpublikum, das ihm applaudiert, und entwickelt sich schließlich zum genialen Erfinder. Auf dem Weg dahin wird er gemobbt; aber er rettet dem Bösewicht das Leben, einem Macho, der ihm dann später heimlich weiter Schauspielunterricht erteilen wird. Das Spannende: Der Text ist angefüllt mit Shakespeare- und Goethe-Zitaten (nur kurz anzitiert, nicht vollständig), aus Hamlet, Romeo und Julia, Heidenröslein, Mignon, Erlkönig. Verstehen das Schüler und Schülerinnen unmittelbar? Wer ist der Adressat eines solchen Textes? (Eltern? Lehrer? Akademiker, die alles lesen müssen?) Welche Funktion haben diese Zitate? Für den Gang der Geschichte keine. Aber sie schaffen einen Meta-Text, bauen eine Brücke hinüber in den Bereich der Klassik. Wahnsinn!

Mario Götze (© Michael Kranewitter, Wikipedia, CC-by-sa 3.0/at)

Mario Götze (© Michael Kranewitter, Wikipedia, CC-by-sa 3.0/at)

II

Doch nun zurück zum angekündigten Titel. Das Lustige Taschenbuch Nr. 457 bietet eine Geschichte „Die Legende des ersten Phantomias (Teil 5). Lord Quackett ist „in Wirklichkeit der erste Phantomias, Gentlemandieb und in gewisser Weise Vorbild unseres heutigen Helden …“[2] Diese Serie wird farblich dunkler gehalten, als Mittel einer zeitlichen Verfremdung. Die neue Geschichte hat ein Schwarz-Weiß-Flair und beginnt mit einer gezeichneten Phantomias-Filmsequenz, nur Bilder, kein Text! Außer Ende, Starring und Regie. Nun hebt die eigentliche Geschichte an, farblich etwas aufgehellter, aber der ‚Ton‘ fehlt: keine Texte! Die Monologe/Dialoge werden am rechten bzw. linken Rand der Bilder abgedruckt. Der Comic imitiert hier den Stummfilm!!! Dem echten Phantomias gelingt es, seinen Coup durchzuziehen (ein Echo der vorangestellten Filmsequenz), indem er den Hauptdarsteller des Phantomias-Filmes außer Gefecht setzt und seinen Platz einnimmt (wunderbar graphisch umgesetzt, wie der Regisseur ihn niederbrüllt, weil er zu spät kommt). Der unfähige Kommissar möchte natürlich den Diebstahl eines wertvollen Juwels verhindern, das angeblich die Schauspielerin bei den Aufnahmen trägt, welche die Gefährtin des echten Phantomias darstellen soll.

Es entwickelt sich eine wilde Verfolgungsjagd, die sich Phantomias und der Kommissar liefern, und zwar auch durch die Filmgeschichte. Die beiden stürzen durch verschiedene Kulissen von Filmen, die gerade in den Mega-Goldwin-Major-Studios/Dollywood gedreht werden: IM TAL DER TAUSEND TOTEMS; in einem anderen Bild ist eine Anspielung auf Laurel und Hardy unschwer zu erkennen; SPARDENKUSS (natürlich Spartacus), Starring: KIRK DUCKLAS (Kirk Douglas); NONFERATDU (natürlich Nosferatu), Regie: F.W. MAUSNAU (F. W. Murnau). Nonferatdus gruseliger Schatten bildet sich sogar an der Wand ab. Und eine für uns nicht zu hörende Musik wird graphisch ersetzt durch eingezeichnete Noten.

Das Witzige: Der Westernheld reitet auf einem Schaukelpferd; der römische Kaiser senkt seinen Daumen zur Verblüffung des Gladiators nach unten (Tertullian kritisierte die Teilnahme von Christen als Zuschauer oder Hauptdarsteller bei den römischen Zirkusspielen); und Nonferatdu erschreckt sich fürchterlich vor Phantomias und dem Kommissar. Die Geschichte endet mit einem Doppelgängermotiv und damit, dass sich der echte Phantomias und seine Gefährtin im Kino PHANTOMIAS SCHLÄGT WIEDER ZU! anschauen (Das Imperium schlägt zurück?), dieser echte Phantomias, der ja selbst in Wirklichkeit eine Roman- und Leinwandfigur (Fantômas) ist. Diese Geschichte liest sich wie ein Schelmenstück, wie ein Krimi, wie eine Verbeugung vor großen Filmklassikern und wie eine Übersetzung des Filmischen in das Medium Text-Bild. Der Erzähl- bzw. Bildmodus des Präludiums (der Phantomias-Stummfilm) wird bruchlos in der Hauptgeschichte weitergeführt und in einer Art Ringkomposition am Ende wieder aufgegriffen.

Nosferatu_02III

Dieses LUSTIGE TASCHENBUCH greift aber auch noch ein anderes Problem auf, das mich als Science Fiction-Fan schon immer beschäftigte. Gustav Gans, zwangsneurotischer Glückspilz scheint momentan von seiner Glücksgöttin (!) verlassen, wird aber plötzlich von der Telefonlotterie angerufen. Und nun folgt ein seltsames Gespräch:

Sie: „Ich stelle Ihnen eine Frage! Sie ist nicht leicht, aber Preis ist es wert!“ Gustav: „Nur zu!“ Sie: „Wie lautet der letzte Satz in der dritten Folge der sechsten Staffel …“ „… der zweiten Trilogie von ‚Space Ducks‘? Nun?“ Gustav: „Schluck! Keine Ahnung!“ Sie: „Wunderbar!“ Neues Bild: Blick in den Kommandoraum eines Raumschiffes. Crewmitglied: „Captain, warum gibt es in der Steuerzentrale von Raumschiffen immer Tausende von blinkenden Lämpchen?“ Captain (der nachdenklich zum Publikum bzw. zum Leser schaut): „Schluck! Keine Ahnung!“ [3]

Gustav hat somit eine Reise nach Paris gewonnen! Seine pure Verlegenheitsantwort wurde rekontextualisiert als Dialog in einer Science Fiction-Serie und wirkt dadurch nun plausibel. Gustav nimmt seine Verwandtschaft mit. Tick, Trick und Track sind begeistert, denn der Louvre, der Eifelturm oder Notre Dame verblassen hinter dem Disneyland Park mit dem berühmten Dornrösschen-Schloss. Die nun folgende, strategisch geschickt angelegte Werbetour (für die kleinen Leser?) durch diesen Park endet hochpathetisch mit einem Feuerwerk vor dem Schloss und einem Zitat von Walt Disney, geschrieben in den Himmel „IF YOU CAN DREAM IT, YOU CAN DO IT.“[4] (inkl. einer dt. Übers.)

Anspruchsvolle Texte sind wunderbar! Die hier angefügten Beispiele können auch verstanden werden als die Selbstreferentialität verschiedener Medien – als Hommage, als ironischer Kommentar, als Bewusstmachung der eigenen Geschichtlichkeit des Mediums Film, als Zitatennetzwerk, als Rezeption von Klassikern jenseits der Grenzen (bzw. grenzüberschreitend) von Kunst oder Kitsch – oder als Form medialer Konvergenz. Frei nach den Confessiones des Augustinus: „Nimm und lies!“ müsste es nun heißen: Komm, nimm deine Eltern und fahre nach Paris! Fiktionen verweisen auf Fiktionen, bis in alle Ewigkeit. Und manche machen einfach nur Spaß. Nimm, und lies!

Markus Pohlmeyer

Markus Pohlmeyer lehrt an der Universität Flensburg (Schwerpunkte: Religionsphilosophie; Theologie und Science Fiction).
Weiterführende Literatur:
L. A. Fiedler: Überquert die Grenze, schließt den Graben, in: Mammut März Texte 1&2, 1969-1984, hg. v. J. Schröder, 2. Aufl., Herbstein 1984, 673-697.
J. Ketzer: Walt Disney ist ein Gott. Eine religionspädagogische Studie zu Phänomenen impliziter Religion in der Lebenswelt der Moderne, Wien 2005
Markus Pohlmeyer: Science Fiction. Filmisch-literarisches Exil des Göttlichen, Flensburger Studien zu Literatur und Theologie, Bd. 1, Hamburg 2014.


[1] Jugendträume rosten nicht, in: Genie & Wahnsinn, Walt Disney Lustiges Taschenbuch. Enten-Edition, Bd. 32, Berlin 2011, 189-220.
[2] Die Neffen sind los!, in: Walt Disney Lustiges Taschenbuch 457, Berlin 2014, 125. Der neue Phantomias ist ein Gentleman, kein Dieb mehr, und der ganz neue ein Science-Fiction-Superheld.
[3] Neffen (s. Anm. 2), 230 f.
[4] Neffen (s. Anm. 2), 253.

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