Geschrieben am 8. November 2014 von für Crimemag

Schwarwel: 1989 – Unsere Heimat

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Unsere Heimat, das waren nicht nur die Städte und Dörfer

Von unserem zeitweiligen Cartoonisten Schwarwel („Herr Mauli“) ist ein Animationsfilm über Leipzig im Herbst 1989 erschienen; ein sehr persönlicher, starker Blick auf Heimat, Heimatstadt und Mut zur Veränderung. Brigitte Helbling war bei der offiziellen Präsentation im zeitgeschichtlichen Forum Leipzig dabei.

Ob ich mit „dem Allem“ etwas anfangen könne, werde ich hinterher mehrfach gefragt. Als Wessi, als Nicht-Leipziger … 1989, die „friedliche Revolution“, das Ende des SED-Regimes, das alles betraf keineswegs nur Leipzig, aber Leipzig hat zweifellos mehr als seinen Teil dazu beigetragen. Natürlich liegt alles 25 Jahre zurück. Dennoch wirken eine ganze Reihe der Gäste, die sich am vergangenen Mittwoch im „zeitgeschichtlichen Forum“ in der Leipziger Innenstadt versammelt hatten, um die Präsentation von Schwarwels Animationsfilms „1989“ mitzuerleben, nach Filmende so, als seien sie gerade in einen emotionalen Hinterhalt geraten. Die Moderatorin des Abends, Corina Ries (ein Hauch von Hollywood via info-tv Leipzig), ging dem auch gleich nach und wollte von zwei Zuschauern in der ersten Reihe wissen, ob sie richtig gesehen habe, dass ihnen das Wasser im Auge gestanden sei … Die beiden Männer gaben es zu. Einer wies allerdings darauf hin, dass er auch erkältet sei.

poster-pioniere-presse-1000Schwarwel, der als Regisseur, Drehbuchschreiber und Storyboarder daraufhin nach vorn geholt wurde, muss sich schon nach den ersten Sätzen zu seinem Werk kurz abwenden. Ebenfalls erkältet. Der Saal, nebenbei, war proppenvoll. Viele Freunde waren gekommen, viele, die bei den Ereignissen, von denen die 13 Minuten Animationsfilm erzählen, dabei waren, und die Wessis erkannte man hinterher beim Empfang an den leicht verschämten Blicken; na ja, so ganz verstehen wir tatsächlich nicht, was „da“ eigentlich wirklich war …

Aber dazu ist „1989 – Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer“ (so der volle Titel) ja auch da. Seine Rahmenhandlung ist die Leipziger Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989, jener Abend, an dem es auf der Kippe stand, ob das SED-Regime auf die Demonstranten schießen lassen  (die „chinesische Lösung“, benannt nach den Vorfällen am Tian’anmen-Platz im Juni davor), oder das Gespräch mit ihnen suchen würde. Zwei Jugendliche, Geschwister, laufen durch nächtliche Straßen, unterwegs zur Nicolaikirche, vorbei an Panzern und Armeefahrzeugen und Soldaten.

1989-still-press04-1000Im Schnelldurchlauf werden ihre Geschichte, aber auch die Geschichte der DDR erzählt, von Trümmerfrauen und -männern über Mauerbau, von Pionierhalstüchern, dem Eintrichtern von zunehmend martialischen Gegenständen, von Sportwettkämpfen, glücksvollen Ferien an der Ostsee, allgegenwärtigen Spitzeln, heimlichem Bravo-Lesen und den Warenzeichen aus dem Westen, die sich trotz offiziellen Bemühungen aus dem Alltag nicht wegretuschieren lassen. Die Erzählung verlangsamt sich mit dem Jahr 1989 selbst, mit Redeausschnitten von Gorbatschow und Kurt Hager, mit den Aufständen in Polen, China und den Flüchtlingen in der Botschaft Prag, Bilder, die über den Fernseher ins Familienwohnzimmer gelangen. Auf dem Platz vor der Nicolaikirche treffen die Geschwister dann überraschend auf ihre Eltern – auch sie haben sich auf den Weg hierher gemacht.

Und spätestens an dieser Stelle sind es nicht nur die Bilder (perfekt austariert: die Rückblenden im Funny-Stil von Schwarwels politischen Karikaturen, das Aktualitätsgeschehen in einem realistischeren Strich gehalten), sondern mehr noch Sounds und Soundtrack, die Handlung und Emotionen voranschieben. Dicht und intensiv, Schlag auf Schlag: Glasnost und Kurt Hager, das Jubeln in der Prager Botschaft, als die Ausreise bewilligt wird,  Sprechchöre in Leipzig: „Keine Gewalt“ und „Wir sind das Volk“, die Verlautbarungen im Fernsehen, als die Mauer aufgeht. Davor bereits in schöner Ausführlichkeit das Lied „Unsere Heimat“, eingesungen von dem Pop- und Gospelchor der Kirchgemeinde Holzhausen und von Schwarwels Neffe Liam. Wer wäre da nicht gerührt? Selbst wenn die komplexen Reaktionen, die „Unsere Heimat“ am Mittwoch im zeitgenössischen Forum in vielen Zuschauern hervorrief – der Chor trug das Lied zum Auftakt des Films live vor – ein weiterer Punkt war, der sich dem Außenstehenden nur ansatzweise erschließen wollte (anderseits: waren sich die „Einheimischen“ denn ganz im Klaren, was in ihnen gerade abging?).

Bild: MDR / Janos Krüger

Bild: MDR / Janos Krüger

Und ja, es ist alles 25 Jahre her, aber für diejenigen, die damals vor dem Fernseher hingen oder auf die Straße gingen, ist das keine wirkliche Zeitspanne, weder in Ost noch in West, während da wie dort eine ganze Generation, oder auch zwei, nachgewachsen sind, für die „das alles“ nie eine Rolle spielte. Mit ihnen hebt sich dann die einfache Rechnung von Drinnen oder Draußen auf, und um diesen Nachwuchs geht es Schwarwel letztlich auch. Denn wenn „1989“ für ihn Aufarbeitung, Rückblick, und vielleicht, so der Regisseur im Bühnengespräch, auch ein wenig die Therapie, „für die ich nie Zeit hatte“ ist, so lautet die Antwort darauf, was nun weiter mit dem Film passieren wird, auch von seiner Produzentin Sandra Strauß ganz klar: Bildung. Bei den Workshops, die die beiden für Jugendliche und Schüler veranstalten, steckt „1989“ fortan als Angebot mit im Gepäck. Dass er als Ausgangspunkt für einen Blick in die eigene Geschichte taugt, liegt auf der Hand, möglich, dass nachwachsende Generationen mehr darin finden: ein Plädoyer für Gemeinsamkeit, eine Legitimation für das Träumen – denn auch das Träumen, das gilt heute nicht weniger als damals, will geübt sein.

Brigitte Helbling

„1989“ wird vom MDR ausgestrahlt am Sonntag, 9. November, um 8:30 in der Früh.
Trailer finden sich hier und hier.
Schönes Porträt zu Schwarwel und „1989“ im MDR-Archiv hier.
www.1989-Film.com
www.gluecklicher-montag.de

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