„TROTZDEM. Das ist unsere Haltung zu Weihnachten“
– Ein Gespräch mit der Kölner Band ERDMÖBEL über das neue Weihnachtsalbum und darüber, wie man trotz tristem Wetter und Eiseskälte vergnüglich durch den Dezember kommt. Christina Bacher hat Markus Berges, Ekki Maas und Wolfgang Proppe in ihrem Studio am Eigelstein besucht. Schlagzeuger Christian Wübben fehlte entschuldigt.
Christina Bacher: Ein Gerücht sagt, dass ihr Vier so gut wie miteinander verheiratet seid. Das klingt für mich so, als würdet ihr hier in eurem Proberaum wohnen, leben und arbeiten. Oder hat doch jeder von euch sein eigenes Leben?
Ekki Maas: Es ist schon so, dass wir uns nach all den Jahren sehr vertraut sind. Wir kommen alle vier aus Münster, wo wir früher schon zusammen Musik gemacht haben. Vor 15 Jahren haben wir den Entschluss gefasst, nach Köln zu gehen – gemeinsam. Das schweißt zusammen. Auf der Suche nach einem Proberaum hatten wir damals richtig Glück: Ein Blick in die Zeitung, ein Anruf und wir haben diese Räumlichkeiten gemietet – mitten in der Stadt und fußläufig zum Bahnhof. Seitdem arbeiten wir hier in unterschiedlichen Konstellationen und freuen uns, dass wir sogar Fenster und Tageslicht haben, obwohl sich die Räume im Keller befinden. Aber leben tun wir hier nicht. Und schon gar nicht zusammen.
Wolfgang Proppe: Es hat tatsächlich jeder von uns eine eigene Familie, eine eigene Wohnung, sogar eigene Freunde. Allerdings haben wir uns nicht nur zufällig in der Nähe des Proberaums angesiedelt. Hier ist schon das Herzstück der Band. Und natürlich verbringen wir auf Tournee viel Zeit miteinander. Ist ja bald wieder soweit.
Christina Bacher: Nach dem ERDMÖBEL-Hype der letzten Jahre könnte man meinen, dass Ihr es tatsächlich deutschlandweit und darüber hinaus geschafft habt als Band im Musikbusiness Fuß zu fassen. Ist erfolgreich gleichbedeutend mit reich?
Wolfgang Proppe (grinst): Hm …. eher nicht. Oder?
Markus Berges: Ich glaube tatsächlich, dass wir ein gutes Auskommen hätten, wenn wir in Amerika leben würden. Aber hier ist der Markt nicht so groß für Leute, die offen sind für die eher ungewöhnlichen Sachen, die wir machen. Das ist uns ja sehr bewusst, dass unsere Musik eben nur bei einem Teil der Bevölkerung funktioniert. Was übrigens gar nicht schlimm ist: Das gibt uns Raum für andere interessante Projekte.
Ekki Maas: Da sich die Familie eben nicht von alleine ernährt, nutze ich beispielsweise mit Wolfgang die Räumlichkeiten als Studio, wir produzieren andere Bands oder machen von hier ne Menge anderer Sachen. Markus hat noch ein eigenes, kleines Schreibbüro, unweit von hier.
Christina Bacher: Apropos Schreiben, Markus: Dein erster Roman „Ein langer Brief an September Nowak“ ist vor vier Jahren sehr gefeiert worden. „Ein großes Buch“ hieß es zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung. Jetzt schreibst du an einem zweiten Roman. Die Texte der ERDMÖBEL stammen zum großen Teil aus deiner Feder. Worin liegen die Unterschiede im Schreiben von Prosa- und Songtexten?
Markus Berges: Kurz gesagt, sind das zwei ganz unterschiedliche Dinge, aus der selben Quelle. Das Texte-Schreiben für die Band ist viel assoziativer und emotionaler, es geht schneller voran und es verändert sich später noch vieles, indem wir gemeinsam daran arbeiten. Die Songtexte sind ja nur ein Teil des Songs, der erst komplett wird, wenn wir ihn auch zu viert auf der Bühne spielen. Im Gegensatz zu den Romanen, für die ich lange Recherchereisen unternehme und immer ganz alleine mit den Sätzen ringen muss, soll der Songtext erst einmal nur ein Gefühl vermitteln, das wir dann gemeinsam musikalisch umsetzen. Vielleicht ist es das gleiche Gefühl, das bei den Zuhörern bleibt, wenn sie den Song gehört haben. Dann ist es gelungen. Oder, was würdet ihr sagen?
Ekki Maas: Während eine Geschichte im Buch ja wie festgemeißelt da steht, wird ein Song erst durch die Musik und die Interpretation der Musiker vollständig: Die Aufnahme, das Arrangement, natürlich auch der Text – das alles spielt da rein, so dass ein Song am Ende eben ein Produkt von uns allen ist.
Christina Bacher: In den Videos ist es immer Markus, der mit einer hübschen Frau flirtet – wird das unter euch nicht gerecht verlost, dass jeder mal dran kommt? Immerhin sind darunter auch Prominente wie die hübsche Schauspielerin Maren Eggert oder jüngst erst Desiree Nosbusch …
Ekki Maas: Markus ist der einzige, der das wirklich will.
Markus Berges (feixt): Naja, ich bin der Sänger der Band und muss in den Videos singen – da liegt es nahe, dass ich diese Rollen übernehme.
Ekki Maas: Desiree Nosbusch haben wir in der Tat für das Video zum Song „Jede Nacht“ angefragt und sie hat zugesagt. Sie ist ja eigentlich keine Sängerin, aber wir wussten, dass sie wunderbar zu unserem Lied passt. Sie ist ein sehr freundlicher Mensch und es hat uns großen Spaß gemacht, das Lied mit ihr aufzunehmen.
Markus Berges: Problem war eben nur, dass sie in Hollywood lebt und selten in Europa ist. Wir haben also lange nach einem Termin gesucht, das Video hat sich dadurch um ein halbes Jahr verzögert. Die Dreharbeiten haben dann nachts in Köln stattgefunden – wir haben bis 4 Uhr morgens gedreht, sind mit einem Taxi immer die gleiche Straße rauf und runter gefahren. Zwischendurch haben wir uns immer wieder mit der Band in einer leeren Hotelbar getroffen. Eine tolle Nacht!
Christina Bacher: In Köln sieht man euch momentan auf dem Umschlag der Kölner Straßenzeitung DRAUSSENSEITER. Ist es vorstellbar, dass – nach all den Promis – mal eine Straßenzeitungs-Verkäuferin die Hauptrolle in einem der nächsten Weihnachtsvideos übernehmen könnte?
Markus Berges: Wenn ich mir vorstelle, wir würden Weihnachten explizit an das Thema Obdachlosigkeit und Armut knüpfen, dann käme mir das zu reißerisch vor. So, als wollten wir auf die Tränendrüse drücken. Und die Frau, die da mitmachen würde, käme sich vielleicht auch vorgeführt vor. Das ist meine spontane Meinung.
Wolfgang Proppe: Für uns gehören Penner, Berber, Wohnungslose – wie auch immer – ganz normal zum Straßenbild. Die halten sich hier am Eigelstein genauso auf wie wir. Insofern ist das im Grunde gar kein besonders sentimentales Thema für uns. Man begegnet sich ja täglich. So wie den anderen Nachbarn auch.
Ekki Maas: Was wir eben ungern machen ist mit unseren Liedern so eindeutig in eine Richtung zu gehen. Und den Leuten eine Botschaft aufs Auge drücken. Aber das wäre ja dann eben so: Hey Leute, seid mal traurig, denn es gibt Leute, die sind an Weihnachten ganz allein sind und dazu noch arm. Nee, das ist nichts für uns, das käme mir nicht echt vor. Und wenn man es sich genau überlegt, spiele ich ja sogar in unserem aktuellen Weihnachtsvideo einen Mann, der gleichzeitig Penner und Gott ist. Ich lasse mir für diese Rolle seit einem Jahr den Bart wachsen.
Christina Bacher: In euren Songs steckt viel Zeitgeist, dennoch kann man nicht davon reden, dass ihr massenkompatibel oder gar Mainstream seid ….
Ekki Maas: Zeitgeist ist sehr wichtig für uns, was man daran sieht, dass wir uns deutlich spürbar weiter entwickeln. Wir beobachten das, was um uns ist und saugen es regelrecht auf. Dennoch, da gebe ich dir Recht, sprechen unsere Songs nicht alle an. Inzwischen begreifen wir das als Kompliment …
Wolfgang Proppe: Ja, das stimmt. Keinen von uns Vieren gibt es noch ein zweites Mal und auch niemanden, der ihm ähnlich ist. Vielleicht sind so auch unsere Fans und die, die zu unseren Konzerten kommen. Dass das dann doch in der Summe ziemlich viele sind, freut uns. Unsere Konzerte sind großartige Gruppenerlebnisse, gerade, wenn viele den Text kennen und mitsingen. Aber manchmal ist eben auch jeder ganz für sich alleine.
Christina Bacher: Wenn man eure Songs hört – oft leise, melancholisch, textlich recht frei und assoziativ – sehe ich wenig Anknüpfungspunkte, als Kölner Band mal mit einem Song im Karneval an den Start zu gehen. Was aber, wenn das doch mal zufällig passieren würde?
Ekki Maas: Für uns privat ist Karneval eine wichtige Auszeit. Da lassen wir uns treiben und sind auf der Straße und in den Kneipen unterwegs. Man darf alles tun, außer Jemandem auf die Nerven gehen. Das ist die einzige Regel. Das hat was ganz Anarchistisches. Im Gegensatz dazu passiert bei der Karnevalsmusik ja nichts zufällig. Mal abgesehen von so ein paar Liedern, die es von früher in die heutige Zeit geschafft haben, ist sehr viel Berechnung und Kalkül im Spiel: Da gibt es ein Komitee, bei dem man sich anmeldet. Da gibt es Wettbewerbe, bei denen man sich der Konkurrenz stellt und das alles ist sehr amtlich und ernst.
Markus Berges: Deshalb ist da letztendlich eben auch viel kalkulierte Scheiße dabei. Ich mag manche Lieder wirklich ganz gerne, aber bei den meisten Karnevalssongs kann man sich regelrecht vorstellen, wie die entstanden sind. Das ist dann die zehnte Neuauflage einer Sache, die vielleicht mal genial war oder die 100. Coverversion von etwas, das es schon gab. Es geht nur noch ums Geldverdienen. Und ertragen kann man die Lieder nur, wenn man sich betrinkt.
Wolfgang Proppe: Wir mögen Köln wirklich gerne. Deshalb haben unsere Songs und Videos auch fast immer einen Bezug zu der Stadt, in der wir wohnen. Aber wir singen nicht auf Kölsch und lassen uns da auch nicht in die Stimmung reinreden, die wir transportieren wollen. Wir gehen an den Karnevalstagen lieber selbst raus feiern anstatt ein Konzert nach dem anderen abzuliefern.
Christina Bacher: Dafür setzt ihr auf ein anderes populäres Fest: Weihnachten. Legendär sind ja inzwischen eure alljährlichen Weihnachtsvideos. Dieses Jahr habt ihr euch für eine ganze CD zu dem Thema entschieden. Wie ist denn Eure „Weihnachtshaltung“?
Ekki Maas: TROTZDEM. Das ist unsere Haltung zu Weihnachten.
Wolfgang Proppe: Ja, man muss da ja irgendwie durch, durch diesen schrecklichen Dezember. Warum also nicht gemeinsam Spaß haben und gute Laune verbreiten.
Markus Berges: Im angloamerikanischen Raum gibt es ja offenbar richtige Weihnachtspartys. Das stelle ich mir so als Vision für unsere Tournee vor: Unsere neuen Songs, die weihnachtlich geschmückte Bühne und alle haben zusammen Spaß.
Ekki Maas: So gesehen holen wir den Karneval in die Weihnachtszeit. Wenn man so will.
Christina Bacher: Wie verbringt ihr persönlich Weihnachten? Wollt ihr das verraten?
Ekki Maas: Ich fahre mit meiner Familie zu meiner Mutter, meine Tochter bekommt Geschenke, das war es eigentlich. Letztlich geht es ja vor allem darum, diesen Abend harmonisch über die Bühne zu bringen. Am nächsten Tag fahren wir dann wieder nach Köln zurück.
Wolfgang Proppe: Kartoffelsalat und Würstchen. Das Festmahl gibt es einen Tag später. Jedenfalls kenne ich das so von meinen Schwiegereltern in Bremen, wo wir auch dieses Jahr hinfahren. Die Schweigereltern sind zwar eher atheistisch angehaucht, dennoch machen sie alle Rituale mit. Sie haben auch einen Weihnachtsbaum, wenngleich meistens eine recht schiefe Tanne.
Markus Berges: Ich mag Weihnachten inzwischen richtig gerne. Seit ich selbst Vater geworden bin. Die Vaterrolle ist so dankbar und schön, vorausgesetzt, man kann dem Kind etwas bieten und ihm Wünsche erfüllen. Ich erinnere mich noch gut, dass für mich Weihnachten lange eine eher ambivalente Sache gewesen ist. Das hat sich zum Glück geändert.
Christina Bacher: Wir wünschen Euch alles Gute für Eure Tournee und die neue CD! Und natürlich einen vergnüglichen Advent und frohe Festtage.
Christina Bacher ist Krimi- und Jugendbuchautorin, außerdem arbeitet sie als Chefredakteurin für Deutschlands älteste Straßenzeitung DRAUSSENSEITER. Sie lebt mit ihrer Familie in Köln.
Erdmöbel: Geschenk. Mehr dazu auf der Homepage der Band.
Tourdaten:
27.11.2014 Essen – Weststadthalle
29.11.2014 Worpswede – Music Hall
30.11.2014 Bielefeld – Theaterlabor (Bielefelder Songnächte)
05.12.2014 Heidelberg – Karlstorbahnhof
10.12.2014 Melle – St. Martinikirche
11.12.2014 Berlin – Heimathafen
12.12.2014 Rostock – MAU Club
18.12.2014 Köln – Kulturkirche
19.12.2014 Köln – Kulturkirche
21.12.2014 Hamburg – Knust