Geschrieben am 28. Januar 2015 von für Bücher, Film/Fernsehen, Litmag

Werner Grassmann: Eine Nacht im Tarantula / Michael Töteberg, Volker Reißmann: Gyula Trebitsch

Grassmann_TarantullaViele Filme, zwei Männer, eine Stadt – Gyula Trebitsch und Werner Grassmann

Alf Mayer über Hamburger Filmgeschichte.

Zwei Leben, zweimal Film als Lebensinhalt, zwei Größen der Stadt, zwei ganz unterschiedliche Geschichten. Zwei Bücher, beide im gleichen Jahr im selben Verlag erschienen. Eigentlich kann das so nur in Hamburg passieren. Ist es auch. Ausrichter dieser schönen Regatta: der Ellert & Richter Verlag, 1979 im Stadtteil Uhlenhorst gegründet, heute in Ottensen residierend.

Das eine Buch handelt vom Erfinder, Konstrukteur und Kapitän eines Ozeanriesens, das andere von den Anfangsjahren eines verwegenen Zwei-Mast-Piraten. Beide Fahrensleute haben wesentlich Anteil daran, dass Hamburg heute längst als Filmstadt von Rang gilt. Ihre Namen: Gylua Trebtisch und Werner Grassmann. Der eine Kapitän der Traumfabrik „Studio Hamburg“ und der Tochter „Hamburger Serienwerft“, der andere seit 1953 Mitglied der „Gilde deutscher Filmkunsttheater e. V.“, Begründer des Kinos „Abaton“ und einer der Väter der deutschen Programmkinos.

Gyula TrebitschEine Hamburger Kultstätte

Zwei Seiten einer Medaille. Der eine nach schwierigen Aufbaujahren bald etabliert, dem breiten Publikumsgeschmack auf der Spur und einer von jenen, denen der Protestruf „der Oberhausener“ galt, jenes bei den Kurzfilmtagen im Ruhrgebiet am 28. Februar 1962 von 26 junge Filmemachern verkündete Manifest mit dem programmatischen Titel „Papas Kino ist tot“. Der andere einer, der verändern und Neues aufbauen wollte. Einer, der früh schon Gefallen fand an Filmen im Original mit Untertiteln. Einer, der die Ärmel hochkrempelte und ins Risiko ging, um einem dafür aufgeschlossenen Publikum fremde, neue, unbekannte Filmkost und -kunst vorführen zu können. Einer der Gründerväter der Gilde deutscher Filmkunsttheater und der „AG Kino“, der dann auch als Filmproduzent und Regisseur tätig war.

„Abaton“, so viel wie „heiliger, für die meisten Menschen unbetretbarer Ort“, nannte er sein (ursprünglich als Parkhaus genutztes) Kino am Allende-Platz im Univiertel. Es wurde zu einer der wichtigsten Kultstätten Hamburgs. Ich weiß noch, mit welchen Gefühlen ich auf den ersten Hamburger Filmtagen in diesem Kino saß, wie wir uns dort die Köpfe heiß diskutierten. Wie Alexander Kluge einmal dort der versammelten deutschen Filmkritik vorab „Die Patriotin“ vorführte und mich erschreckt anstupste, gerade habe der Vorführer die Rollen vertauscht, ob er den Film nicht besser sofort stoppen lassen solle. Merkt niemand, flüsterte ich zurück, er hatte dann ein kleines, diebisches Vergnügen an den neuen Zusammenhängen, die sich da einer ersten Öffentlichkeit auftaten.

Aufkleber Papas Kino ist tot des Oberhausener Manifest (Haro Senft. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikipedia - http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Papas_Kino_ist_tot.jpg#mediaviewer/File:Papas_Kino_ist_tot.jpg

Aufkleber Papas Kino ist tot des Oberhausener Manifest (Haro Senft, wikimedia commons 3.0)

Ein flackernder kleiner Schwarzweißfilm

„Eine Nacht im Tarantula“, wie das neue Buch von Werner Grassmann heißt, erzählt freilich nichts vom „Abaton“ – das war 2010 in der bei Nautilus erschienen Autobiografie „Hinter der Leinwand“. Das Vorwort dazu übrigens schrieb damals Michael Töteberg, der in der Hamburger Kinogeschichte zu Hause ist und hier gleich noch einmal als Autor der Biografie von Gyula Trebitsch vorkommt.

Werner Grassmanns neues Buch steht in bester Ellert & Richter-Tradition, nämlich sorgsamer Illustrierung. Den kleinen, impressionistischen Kapiteln über Grassmanns Erlebnisse im Hamburg der Nachkriegszeit sind viele zeitgenössische Fotografien beigegeben, es entsteht ein kleines, mit beiden Beinen im normalen Leben verwurzeltes Panorama. Ein Geschichten-, kein Geschichtsbuch sei dies, bemerkt Grassmann in der Einleitung. Es handelt von Gefühlen und Niederlagen, von erfüllter und unerfüllter Liebe, vom Durchmogeln und Glückhaben, von Lebenshunger und Lebenslust. Und eben auch von ersten Kinoerlebnissen in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Schöne, kleine, feine Lektüre. Ein flackernder kleiner Schwarzweißfilm mit Grüßen vom großen Tramp – 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist es schön und wichtig, dass es solche Bücher gibt, die den Blick auf über den eigenen Tellerrand hinausgehenden Alltag richten. Chapeau!

„Oberhausener Manifest“ (von Oberhausener Gruppe, Haro Senft, Wikimedia commons 3.0)

Oberhausener Manifest“ (von Oberhausener Gruppe, Haro Senft, Wikimedia commons 3.0)

Zwei Brüder im KZ ermordet

Der 1914 geborene Gyula Trebitsch war bei Kriegsende Werner Grassmann nicht nur um einige Lebensjahre, sondern um furchtbare Erlebnisse voraus. Am 1. Juli 1932 hatte der im Stadtteil Pest geborene Ungar bei der 1917 in Berlin gegründeten Universum Film AG (UFA) in deren Budapester Dependance als Volontär angefangen, dort eine Ausbildung zum Königlich-Ungarischen Filmvorführer absolviert, im 1089 Plätze großen Urania-Kino erste eigene empirische Publikumsforschungen als Platzanweiser betrieben. Zu viel mehr aber kam es vorerst nicht, die Nazi-Besatzung Ungarns und die Judenverfolgung der Nazis ließen ihn 1942 erst als „wehrunwürdig“ eingestuft, dann in den Arbeitsdient gepresst und dann in Arbeits- und Konzentrationslager „überstellt“. Seine Häftlings-Nummer: 12331. Zwei seiner Brüder wurden im KZ ermordet, die Eltern entkamen mit Not und wanderten später nach Israel aus – Gyula Trebitsch selbst erlitt das Kriegsende im Konzentrationslager Wöbbelin bei Ludwigslust.

Aus Liebe zu seiner Frau und aus Liebe zum Kino blieb er in Deutschland. Kaum genesen, eröffnete er mit britischer Lizenz zwei Kinos in Itzehoe. 1947 dann gründete er, zusammen mit Walter Koppel, die Real Film GmbH in Hamburg-Wandsbek. Über hundert Spielfilme entstanden dort in schneller Folge, darunter die Käutner-Filme „Des Teufels General“, der sogar für einen Oscar nominierte „Der Hauptmann von Köpenick“ und „Die Zürcher Verlobung“. Stars wie Heinz Rühmann und Liselotte Pulver arbeiteten für ihn, Stars wie Romy Schneider oder Curd Jürgens fanden hier ihre Anfänge. Die Real Film war in den fünfziger Jahren die wohl kommerziell und künstlerisch erfolgreichste Filmproduktion der westdeutschen Bundesrepublik, schuf aus privater unternehmerischer Initiative, was im Osten Deutschlands die DEFA zu leisten versuchte – so etwas wie eine nationale Filmkultur.

Mehr als ein Traumfabrikant

Es ist erstaunlich und sehr wesentlich, was Michael Töteberg und Volker Reißmann an Material und Quellen zusammengetragen und gesiebt haben. Ihr innerhalb der Reihe „Hamburger Köpfe“ von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius unterstütztes Buch ist eine prall gefüllte Schatzkiste, ein Streifzug durch ein wichtiges Kapitel deutscher Film- und Mediengeschichte und eben deutlich mehr als nur das Loblied eines „Traumfabrikanten“. Georg Seeßlen benannte 2005 in seinem Trebitsch-Nachruf die Zusammenhänge:

„Populäre Kultur in der westdeutschen Nachkriegszeit, das war ein labyrinthisches Traumwerk, nur an der Oberfläche naiv, im Inneren gespenstisch brodelnd. Geschaffen wurde es von Überlebenden der faschistischen Vernichtungsmaschine, von Heimkehrern aus dem Exil ebenso wie von Mitläufern, Wegduckern und auch von einigen, die im Kreis der Täter gelebt hatten. Weil es keine gemeinsame Utopie geben konnte, löste man die Widersprüche in einer Unschuldssehnsucht auf, die später wie Verdrängungskitsch wirkte. Aber diese deutsche Bilderkultur war nicht nur von Gedankenlosigkeit geprägt.“

Gyula Trebitsch, so Georg Seeßlen weiter, „ein Überlebender des Naziterrors, wurde in der deutschen Kino- und Fernsehgeschichte zu einem der wenigen, die man mit den Mogulen Hollywoods vergleichen konnte: einer, für den Film zwar ein Geschäft war – der aber auch sein Herzblut dafür gab. Ein Mann mit einer Geschichte.“

grassmann_hinter_der_leinwand-300x426Aus seiner Werft: der Heimatkrimi

Das Buch erzählt diese Geschichte. Die Autoren haben auch einen Blick für den Medienpionier, der sich schon 1959 – entgegen der Filmproduzentenhaltung „Kein Meter Film für das Fernsehen!“ – mit dem Konkurrenzmedium Fernsehen arrangierte und mit der Real Film Atelierbetriebsgesellschaft den Vorgänger des heutigen Medienunternehmens „Studio Hamburg“ schuf, das sich selbst als „Deutschlands größtes Dienstleistungsunternehmen rund um Film, Fernsehen und neue Medien“ bezeichnet. Was in den filmpolitischen Debatten der 1980er Jahre als „amphibischer Film“ kritisiert wurde – Autoren-Kinofilme, die sich in Wirklichkeit hauptsächlich durch das später ausstrahlende Fernsehen finanzierten, aus Förderung ja sowieso – das war für Trebitsch kein Glaubenskrieg. Er hatte ein Auge für Autoren und Talente, aber mindestens ebenso fürs Geschäft. Er war Produzent mit Leib und Seele, ein Vorkämpfer für Rahmenverträge und feste Produktionsvereinbarungen mit den Fernsehanstalten.

Aus den Heimatfilmen der 1950er Jahre entwickelte sich in seinen Werkstätten ein heute in allen Fernsehformaten vorherrschendes Genre. Aus der „Hafenpolizei“ destillierte sich die Formel des Heimatkrimis, wie er heute von Rosenheim bis Stralsund auf allen Kanälen schippert. „Hafenpolizei“ mit dem Team der Kriminalpolizei um Kommissar Peter lief 1963 bis 1966 über drei Staffeln zu je 13 Folgen. Gleich die erste Folge „Marihuana“ gab drastischen Einblick in die zeitgenössische Drogenproblematik.

„Alt ist man erst, wenn man an der Vergangenheit mehr Freude hat als an der Zukunft“, pflegte Trebitsch zu sagen. Am 12. Dezember 2005 ist er gestorben.

der_verlorenePS: Eines hätte mich ja interessiert – über all das hinaus, was der kundige Michael Töteberg und der ebenso versierte Archivar Volker Reißmann zusammengetragen haben, nämlich ob es je zu einem Zusammentreffen der beiden österreichisch-ungarischen Faschismusopfer Gyula Trebtisch und Peter Lorre kam. László Loewenstein, der Hauptdarsteller in Fritz Langs „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, war 1933 ins amerikanische Exil gegangen und versuchte 1950 bis 1951 in Deutschland ein Comeback. Dies, indem er in und um Hamburg den Film Noir „Der Verlorene“ drehte, eine bis heute verstörende Geschichte des kleinen und des großen Mordens. Weder bei Trebitsch noch bei Lorres Biografen finden sich Hinweise, ob und warum eventuell nicht es da anscheinend keinerlei Berührungspunkte während dieser Filmproduktionszeit gab. Ein ehemals bedeutsamer deutscher Schauspieler, zur Hollywoodgröße geworden, kommt für einen Film nach Hamburg, unterstützt von der Hollywoodlegende Arnold Pressberger, koproduziert dann aber dort nicht mit der bereits etablierten Real Film von Trebitsch, sondern der kleinen, neu gegründeten Fama F.A. Mainz Film des Halbexilanten Friedrich A. Mainz.

Lorres Film (Drehbuch-Koautor war Axel Eggebrecht) hatte am 18. September 1951 im Frankfurter Turmpalast Premiere, sorgte für einen Protest des deutschen Botschafters bei den Filmfestspielen von Venedig, war der erste prädikatisierte Spielfilm der Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW), ein „Prädikat wertvoll“, und war im November 1951 bereits schon wieder aus den deutschen Kinos verschwunden, der Film stieß bei Publikum wie Kritik auf Unverständnis bis Ablehnung. Verbittert und sozusagen erneut vertrieben, kehrte Peter Lorre am 16. Februar 1952 mit kaum mehr als einer Zahnbürste und einer gestohlenen Filmkopie an Bord eines kostenlosen US-Army-Fluges nach Amerika zurück (hier bei Arthaus).

Alf Mayer

Werner Grassmann: Eine Nacht im Tarantula. Hamburg in der Nachkriegszeit. Hamburg: Ellert & Richter 2014. 192 Seiten mit 40 Abbildungen. Format: 17 x 24 cm. Hardcover mit Schutzumschlag. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr über Werner Grassmann.
Michael Töteberg, Volker Reißmann: Gyula Trebitsch. Hamburg: Ellert & Richter 2014. 152 Seiten mit 51 Abbildungen. Format: 14 x 21 cm. Leinen mit Schutzumschlag. 14,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Michael Töteberg ist Filmwissenschaftler und Leiter der Rowohlt Agentur für Medienrechte. Volker Reißmann arbeitet als Diplom-Bibliothekar im Staatsarchiv Hamburg.

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