Papier
– Dave Zeltsermans Roman „Killer“ ist bei genauem Hinsehen ein Text aus dem literarischen Labor. Findet Thomas Wörtche …
Eine klassische Roman-noir-Erzählung handelt meistens vom schlimmen Schicksal eines Menschen, dessen Lebensumstände nur tragisches Scheitern zulassen. Die Atmosphäre eines noirs ist – idealtypisch – düster, klaustrophobisch und hoffnungslos. Frauen ist mit größtem Misstrauen zu begegnen. Es werden die „Schattenseiten“ des menschlichen Daseins in einer kalten, feindseligen Welt ausgeleuchtet und die Abgründe der menschlichen Seele erforscht und gleichzeitig ein illusionsfreies Bild der gesellschaftlichen Zustände gezeichnet, die mit diesem Schicksal möglicherweise in Verbindung stehen. Berühmte Beispiele für romans noirs sind die Romane von Cornell Woolrich, James M. Cain oder David Goodis. Man kann dem klassischen noir Kategorien wie Melancholie, Depression, Brutalität, Lakonie des Stils und völlige Abwesenheit von Komik und andere brechende literarische Techniken zuordnen. Noirs feiern die Loser. Und die ganz schicken Bräute, an die die aficinados des Genres eh nicht rankommen, werden gleich mal als Vamps und „schlechte Frauen“ moralisch diskreditiert. Insofern sind noirs auch oft ein klein wenig unfreiwillig komisch.
Seit einigen Jahren kann man eine kleine Renaissance dieses romantischen, oft trotz oder gerade wegen seiner Schmucklosigkeit pathetischen Subgenres der Kriminalliteratur beobachten. Der amerikanische Autor Dave Zeltserman und sein Roman „Killer“ gehören deutlich in diese Tradition.
Fad und öd …
Die Geschichte ist, comme il faut, schön deprimierend. Die Hauptfigur ist ein Auftragsmörder der Mafia, der für seinen Boss 28 Menschen umgebracht hat, aber, als er am Ende wegen anderer Dinge auffliegt, einen günstigen Deal mit der Staatsanwaltschaft hinbekommt. Er verpfeift seinen Boss und kommt dafür schon nach lächerlichen 14 Jahren Haft, in einem eher gemütlichen Gefängnis, wieder frei. Jetzt ist er ein alter, müder Mann, der für ein paar Dollar als Putzkraft arbeiten und in einem elend schäbigen Apartment hausen muss. Alles ist öd, fad und in fahlen, freudlosen Farben gehalten. Alle Leute hassen ihn, alle verachten ihn, seine eigenen Kinder sind von ihm angewidert und traumatisiert. Als er einen Raubüberfall verhindert, gerät seine Person in die Medien, und wir wissen, dass jetzt die Jagd auf ihn eröffnet ist. Und natürlich ist da eine schöne Frau, die sich als Co-Autorin seiner Autobiografie andient, die angesichts der Un- und Heldentaten des Killers sicher eine Menge Geld bringen wird. Alles wird, da ist man sich bei der Lektüre sicher, ganz furchtbar enden. Wüsste man nicht seit „Paria“, dass Zeltserman sich dringend für die Dialektik von fiction und nonfiction, von Realität und Kunst, von Authentizität und medialer Vermittlung interessiert. Und wäre es nicht evident, dass „Killer“ ein auf Pointe hingeschriebener Roman ist, der die psychische Disposition eines typischen Noir-Losers keinesfalls literarisch erforschen möchte, sondern seinen Helden als eben diesen topischen Loser aufbaut, um die nötige Fallhöhe für den finalen Twist zu schaffen.
Twist
Denn Zeltserman dreht auf den letzten Metern die Standardkonstellation des noirs um – das Schicksal ist nicht unausweichlich tragisch, es gibt Schlimmeres, als unbeliebt zu sein, Lebensfreude kann man sich auch kaufen. Vor allem, wenn man sich auf die Tugend besinnt, die man wirklich hat: Der Killer kann gut und gerne killen. Zeltserman macht aus einem typischen Noir-Verlierer, ohne das Ambiente wesentlich zu ändern, etwas ganz anderes: eine Art Neo-Liberalen der Branche, in der sich derjenige durchsetzt, der sich von Gefühlsduselei nicht in seinem Handeln beeinflussen lässt. Nur eines bleibt vom klassischen Konzept übrig: Dass schönen Frauen nicht zu trauen sei.
Zeltserman hat den roman noir damit grausam ironisiert und mit fröhlich-bösartigem Zynismus ausgestattet. Und – anders als bei Tom Ripley, dem charmanten Mörder bei Patricia Highsmith – ist es Zeltserman egal, dass kein Leser seine Hauptfigur mögen kann. Vermutlich auch deswegen, weil wir weniger einem Roman, der etwas zu erzählen hat, sondern einer eher formalen literarischen Versuchsanordnung gefolgt sind. Figuren aus Papier sind eben Zeltsermans großes Problem (hier auf kaliber.38).
Thomas Wörtche
Dave Zeltserman: Killer (Killer, 2010). Roman. Deutsch von Ango Laina und Angelika Müller. Berlin: Pulp Master 2015. 262 Seiten. 14,80 Euro. Verlagsinformationen zu Autor und Buch.