Geschrieben am 4. Februar 2015 von für Bücher, Litmag

Karin Peschka: Watschenmann

Peschka_WatschenmanDaheim im schiefen Palast

– Der Krieg ist vorbei, der Krieg ist noch da – angeblich sitzt er in den Menschen. Weil das so ist, muss er ausgetrieben werden. Einer hat sich vorgenommen, der „beste Watschenmann“ von Wien zu werden. Von Senta Wagner

Der Friede ist jung, Wien noch besetzt. Man ist dabei, sich eine „schöne neue Welt“ zu schaffen, es herrscht der Eifer des Wiederaufbaus, Kriegsgeschädigten verschafft man Vergnügungen, die Vergangenheit ist vergangen.

Karin Peschka siedelt ihren umwerfenden Debütroman „Watschenmann“ (2014) im Jahr 1954 an, beginnend mit Kapitel Januar bis Oktober, denen sie jeweils noch eine treffliche Monatsvignette anheftet. Und Peschka verwendet ein hohes Maß an Hingabe auf die synoptischen Überschriften ihrer monatlichen Unterkapitel („Die Königsfrage. Ohrfeigen. So einfach geht das“).

Ein Krieg hinterlässt alles: Traumatisierungen, Schuld und Scham, Gewinner und Verlierer. Der Befund lautet: „Neun Jahre sind keine Zeit (…) Inwendig, da sind auch Trümmer. Und Leichen.“ Peschkas Figuren sind allesamt versehrte, marginalisierte Typen, in deren Mittelpunkt wie Fußnoten zu einer erblühenden Metropole die Habenichtse Dragan, Lydia und der kaum erwachsene Heinrich, der Watschenmann, stehen. Zufällig zusammengewürfelt hausen sie seit einer Weile mitten in der Stadt in einem Bretterverschlag hinter einer leerstehenden Schusterwerkstatt und lecken jeder seine Wunden. Die Atmosphäre ist unwirtlich und spannungsgeladen, weil sie ebenso von latenter Gewalt wie von Gesten der Zuwendung und Zärtlichkeit geprägt ist. Heinrich muss stets den richtigen Augenblick zu verschwinden finden, wenn sich Dragans „Geilheit“ und Lydias „Gier“ entladen. Dieses fragile Gleichgewicht lotet die Autorin in jedem Moment geschickt aus.



Die Seele, ein hoher Raum

Lydia bewahrt sich mit ihrer peniblen Ordnung ihrer Lumpen und in der Bude eine gewisse Würde. Hinter ihrer Geschäftigkeit und ihrem Zorn verbirgt sich jedoch ein „Übermaß an Trauer“, denn Lydia wartet. Täglich hofft sie auf die Rückkehr ihres Schusters, den Besitzer der Werkstatt, aus der Kriegsgefangenschaft. Deshalb versagt sie auch dem stolzen, aufbrausenden, zarten Dragan ihre Liebe. Allein dessen energievolle Präsenz stellt eine Bedrohung dar, „er taucht auf und bringt etwas Dunkles mit“.

Viel wissen sie nicht voneinander, es sind mehr Ahnungen, die im Raum hängen, gesprochen wird untereinander meist nur das Nötigste, gerade aber die Sprache und die Bilder machen die erstaunliche Qualität dieses Erstlingswerks aus. Tatsächlich geht es tagtäglich um das nackte Überleben und das Weitermachen, bei Engpässen geht Lydia anschaffen, Dragan ist Boxer.

Heinrich, ein Bursche „mager und hübsch irgendwie“, ist der am schwersten Gebeutelte, sein erlittenes Leid ist auf körperliche Weise erfahrbar, es ist die Rede von Menschbündel, Wurm, Embryo, Hülle, Raupe, Kröte. Für Dragan ist er nur der psić oder der psiću (Hündchen). Etwas ist tief in ihm verschlossen, seine Seele „ein hoher Raum“, sie ist sein einziger Zufluchtsort, in den er sich weidwund zurückziehen kann. Heinrich wird von den anderen geduldet, beschützt, aber nicht für voll genommen. In seiner wirren Logik besteht die Aufgabe vom Kriegsaustreiber, dem Watschenmann, darin, sich schlagen zu lassen und dafür bezahlt zu werden, so ist man quitt, die Leute gereinigt vom „Reste vom Krieg“. Heinrichs Mantra zieht sich in diversen Versionen durch den Roman: „Den Krieg muss man austreiben, denkt er. Der schmiert sich über alles, was gut ist in den Leuten. Verklebt ihre Barmherzigkeit. Verholzt ihr Gefühl.“

Erst im Verlauf des Romans löst sich ein Schrei aus Heinrichs Brust, die Erinnerungen an erlebtes Grauen als Heimkind brechen sich Bahn. Peschkas Sprache pulsiert. Die erwähnte NS-Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund steht heute synonym für Verbrechen der NS-Medizin. Heinrich galt als Träumer, als „Halb-Mädchen“, das wars. Solche Informationen fließen neben lichten und schönen Erinnerungen als sparsame Rückgriffe ein, es „schnappt“ die Erinnerung nach Heinrich und konturiert sein traumatisiertes Wesen. Heinrichs Fähigkeit durch Spiegelung anderer zu erkennen, was in ihnen vorgeht, findet seine kunstvolle Entsprechung in der Erzählsituation. Wir sehen die Welt durch Heinrichs Augen; das Geschehen ist aufs Engste an seine Wahrnehmung gebunden, dazu gesellen sich Heinrichs Gedankenberichte und Selbstbefragungen. Sogar die notorischen Raben der Geschichte, Symbol für Gut und Böse, werden von Heinrich gespiegelt.

Zusehends entspinnt sich ein Kontakt hinaus in die besetzte Stadt: Heinrich trifft auf den GI Elmer, dessen fideles Mischmaschidiom in einem Gegensatz zu dem unbehauenen, deftigen Ton der Figurenrede steht, die gassensprachlichen Dialoge wirken wie den Figuren unverfroren vom Mund abgeschaut. Ganz zur Diktion passen dann freilich nicht die korrekten Konjunktive, indirekte Reden oder gehobene Ausdrücke wie räsonieren. Elmer also, nur eine Spur von Besatzer, ist der Gutmensch in dem Ganzen, der den dreien neugierig, ohne Berührungsängste und hilfsbereit begegnet. Mit schrägen Typen und schaurig-schönen Szenen geizt der Roman ja absolut nicht; es tauchen auf der Ex-KZ-Insasse Kummerl, die drei Grazien (zwei kriegsblinde Brüder samt ihrer verdrossenen Schwester), die Pritschlerin, eine Kriegswitwe, der Lichterl-Sigi, ein geläuterter SSler und die obdachlose, alte Maridi-Tant’. Peschka liegt es dabei fern, ein Panoptikum an Schreckgestalten zu entwerfen, vielmehr unterstreicht sie einmal mehr die menschlichen, schwer heilbaren Deformierungen durch Traumata aller Art.

Literatur muss auch mal ausgehalten werden, der Roman hat es verdient.

Senta Wagner

Karin Peschka: Watschenmann. Roman. Salzburg/Wien: Otto Müller Verlag 2014. 298 Seiten. 19,00 Euro.

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