Der Krisen-Manager
– Jimmy Rabbite ist zurück! Eigentlich hatte Roddy Doyle 1991 mit „Fish & Chips“ die Barrytown-Trilogie abgeschlossen, die er mit seinem Debüt „The Commitments“ 1987 eingeleitet hatte. Die Romane um die Familie Rabbite im fiktiven Dubliner Vorort Barrytown begründeten den literarischen Ruf des früheren Erdkunde- und Englischlehrers. Die Verfilmungen aller drei Romane haben ebenfalls ihr Teil dazu beigetragen – allen voran Alan Parkers genialer Musikfilm „The Commitments“. Von Frank Schorneck
Nun nimmt Doyle nach über 20 Jahren wieder den Schicksalsfaden Jimmy Rabbites auf und als Leser fühlt man sich von den ersten Zeilen an wieder zuhause in den wortkargen und doch so vielsagenden Dialogen, die schon das Frühwerk Doyles zum Leuchten brachten. Vieles ist geschehen in den letzten zwei Jahrzehnten, nicht nur im Leben der Leser und des Autors, auch im Leben der Familie Rabbite. Doch Doyle hält sich nicht lange mit Erklärungen auf, sondern taucht direkt ein in einen wundervollen Pub-Dialog zwischen Jimmy und seinem Vater (Wer die Filme kennt, wird vermutlich nicht umhin kommen, das Gesicht Colm Meanys als Jimmy Senior vor Augen zu haben). Seit dieser in Rente ist, treffen sich Vater und Sohn mehr oder weniger regelmäßig im Pub. Schon in den ersten Wortwechseln stellt Doyle seine Meisterschaft unter Beweis, lebendige und pointierte Dialoge zu schreiben – ausgefeilt bis in die Pausen, die Floskeln, die ins Leere laufenden Fragen und Andeutungen. In das vordergründig witzelnde Geplänkel um Facebook-Dating und Looser mit Arsenal-Bettwäsche lässt Jimmy Junior unvermittelt die Bombe platzen: „Ich habe Krebs.“ Dass hier das Gespräch nicht kippt, sondern die Unbeholfenheit beider im Umgang mit dem Thema durch kleine Abschweifungen deutlich wird, muss dem Autor erstmal jemand nachmachen. Und Doyle hält dieses Niveau, jene Balance zwischen Tragik und Komik, über die gesamte Länge des Romans.
Jimmy Junior ist mittlerweile Vater von vier Kindern im Alter kurz vor und in der Pubertät. Und der einstige Gründer der legendären Commitments hat tatsächlich seine Nische in der Musikindustrie gefunden. Inspiriert von einer simplen Geschäftsidee („Ein Cousin von Aoife verkaufte über eine Website allen möglichen irischen Kram an Amis und Deutsche – Rasenstücke, Geschirrtücher, Irish Stew in Dosen… – Schamhaare von den Corrs.“) hat er die Firma Kelticpunk.com gegründet – von seiner Frau Aoife liebevoll „Shitrock“ genannt. Er spürt alte, vergessene Bands auf, One-Hit-Wonder und verkrachte Existenzen, organisiert Reunions und Plattenaufnahmen. Lange Zeit hatte Kelticpunk.com expandiert, vom Küchentischmanagement zu Büroräumen mit Angestellten, doch nun wird auch dieses kleine feine Unternehmen von der Finanzkrise getroffen. Ausgerechnet zu der Zeit, in der Jimmy mit der Krebsdiagnose konfrontiert wird, gerät auch sein wirtschaftliches Fundament ins Wanken. Dass er ausgerechnet in dieser Situation auf Imelda Quirk trifft, die damalige Commitments-Sängerin, macht es nicht leichter („Sie sah gut aus. Sie war vielleicht ein bisschen besoffen – Jimmy war nicht sicher – und ein paar Kilo schwerer, aber Imelda würde nie nicht gut aussehen.“)
Auf leichten Füßen durch Problemfelder
Durch dieses Problemgeflecht navigiert Doyle mit faszinierender Leichtigkeit. Wie Jimmy versucht, sich mit der Krankheit zu arrangieren, wie er den Tumor mit schwarzem Humor in Schach zu halten versucht; wie er die erste Chemo überraschend gut übersteht, nur um dann umso schmerzhafter an den Ernst der Krankheit erinnert zu werden; wie er sich bemüht, die Kinder und auch seine Frau zu schonen und dabei allzu oft das falsche tut: All das ist zutiefst traurig, ohne sentimental zu werden. In der Klinik trifft er auf Outspan Foster, den ehemaligen Commitments-Gitarristen (in der Verfilmung übrigens von Glen Hansard gespielt, dessen Musik auch wunderbar als Soundtrack zum Buch funktionieren würde). Outspan ist dem Krebstod weitaus näher als der „Chemoneuling“ Jimmy, und diese Begegnung wirft Jimmy richtig aus dem Gleichgewicht. In dem Bewusstsein seines möglicherweise bald bevorstehenden Todes, im Versuch, sich so lebendig wie möglich zu fühlen, riskiert er ein Verhältnis mit Imelda und setzt die eigentlich glückliche Ehe aufs Spiel. Nebenbei versucht Jimmy, seine Firma zu retten und plant den ganz großen Coup anlässlich des Eucharistischen Weltkongresses, zu dem möglicherweise der Papst erwartet wird. Dass dieser offenbar seine Anziehungskraft gegenüber früher auch in Irland eingebüßt hat, macht Jimmy zu schaffen. Aber da ist ja immer noch das Electric Picnic Festival…
Musiker und Musikfreunde werden ihre helle Freude haben an all den Musiker-Charakteren, die den Roman bevölkern. Als Jake und Elwood damals „wir bringen die Band wieder zusammen“ raunten, hatten sie leichtes Spiel im Vergleich zu den Umständen, gegen die Jimmy anzukämpfen hat: „Es sollte nie zu einem Reunion-Gig der Irregulars kommen. Der Bassist war zwar nicht tot, aber inzwischen Baptist.“ – Wunderbar sind auch die Halfbreds, ein Punkduo, das zwar miteinander verheiratet ist, sich in Studio und Bühne aber regelmäßig trennt (und ihren Hit „Erectile Dysfunction“, dessen Text hier unzitiert bleiben soll, möchte man in einer Verfilmung gerne hören).
Zwischen die brillanten Dialoge und tiefschürfenden inneren Monologe streut Doyle zudem noch SMS-Wechsel ein (ja, es ist eine Menge Zeit vergangen seit den 1990er Jahren). Die knappen Wortwechsel mit seinem Vater, die gewollt jugendlichen Mitteilungen an die Kinder, der schmale Grat zwischen Nachrichten an seine Frau oder Imelda vermögen Jimmys Zerrissenheit weitaus anschaulicher aufzuzeigen, als es lange Beschreibungen tun könnten.
Doyle schafft es sogar, diesen von Beginn an mitreißenden Roman noch zu einem grandiosen Höhepunkt zu steigern, wenn eine Gruppe älterer Männer – einer von ihnen bereits auf der Schwelle zum Tod – sich in das Getümmel des Electric Picnic begibt. Aus ihren trockenen Kommentaren zu diversen Bands und zu den übrigen Besuchern könnte man seitenlang zitieren („Erinnert ihr euch, als Titten noch so aussahen?“). Und am Ende des Romans hat man Tränen in den Augen. Vor Rührung, vor Lachen oder schlicht, weil auch das vierte Barrytown-Buch viel zu schnell ausgelesen ist – das entscheide jeder für sich.
Frank Schorneck
Roddy Doyle: Punk is Dad (The Guts, 2013). Deutsch von Juliane Zaubitzer. Haffmans Tolkemit 2014. 411 Seiten. 21,95 Euro.