Geschrieben am 6. Juni 2015 von für Crimemag, DVD

DVD: Code 37

code-37-staffel-1Sin City Gent

– Der Code für Sexualdelikte bei der belgischen Polizei ist „Code 37“. Der jüngst verstorbene, große belgische Autor Jef Geeraerts hat sich zeitlebens mit bitterbösen und ätzenden Texten an diesem Thema abgearbeitet. Jetzt ist es TV-Serien-kompatibel geworden. Anna Veronica Wutschel hat sich durch die DVDs geschaut:

„Ihnen ist klar, dass nicht alle Täter gefasst werden können!“, wird Hannah Maes (Veerle Baetens), die neue Leiterin des Sittendezernats zu ihrem Amtsantritt informiert. „Es gibt keine unlösbaren Fälle, nur Polizisten, die nicht lange genug nachforschen“, antwortet Hannah ebenso selbstsicher wie trotzig, schürzt ihr Jäckchen, schnallt sich die Handschellen und die Knarre an den Gürtel und knöpft sich in Belgiens neuer Sin City Gent zuerst einmal ihr Team und dann ihren Kollegen von der Mordkommission vor. Schließlich, findet Hannah, ist ein Tod infolge von Sex mit Strangulationsspielchen ein Fall für die Sitte. Und nachdem damit in kürzester Zeit die Fronten geklärt scheinen, legt sie, ganz nach ihrem Motto, dass es keine unlösbaren Fälle gebe, mit den Ermittlungen los.

Zur Seite stehen ihr dabei das nette zerzauste Lockenköpfchen Kevin (Gilles de Schryver), der Nerd der Truppe, der in seiner Freizeit gern mit dem Wagen seiner Mutter durch die Gegend cruist und sich um seinen behinderten Bruder kümmert. Dazu gesellt sich Bob (Michaël Pas), der – ein bisschen Spaß muss sein – die Stimmung im Team mit seinen rüpeligen Stammtischwitzchen nie wirklich heben kann, die Frauenwelt indes immer wieder mit kurzen, selten gut endenden Affären beglückt. Und dann ist da noch Charles, der etwas übergewichtige, kurzatmige, leicht asthmatische Old-School-Polizist, der in keiner einzigen der bislang auf DVD vorliegenden 26 Folgen der Serie „Code 37“ – die belgische Bezeichnung für Sexualdelikte – auch nur einmal dazu kommt, eine seiner heiß geliebten Fluppen in aller Gemütlichkeit zu Ende zu paffen. Auch Charles, der Verhörspezialist, ist nicht vor leichteren Fauxpas und schwerwiegenderen Fehltritten gefeit, scharrt sich unbeirrt in Anbetracht seines Alters und seiner schwächelnden, geschundenen Fitness nicht nur, was den Beruf betrifft, eine kleine Kuhle auf der Loserseite, und überzeugt doch – und das liegt womöglich an Marc Lauwrys schauspielerischem Talent – in jeder Hinsicht als Sympathieträger.

Charles Ruiters (c Anna Veronica Wutschel)

Charles Ruiters  

Aus der Klischeekiste …

Es steht außer Frage, dass die Zeichnung der Figuren wie auch deren Konstellation aus der Klischeekiste gegraben wurden. Die junge, attraktive, wasserstoffblondierte, toughe Ermittlerin, die sich mit ihren Jüngelchen-Macho-Überforderten-Untergebenen über kurze Umwege rasch zu einer gut funktionierenden Crew aufstellt. Und auch wenn die einzelnen Folgen von „Code 37“ teils sehr drastische Taten zeigen, die die FSK-Einstufung von 16 resp. 18 gerechtfertigt scheinen lässt, gelingt es der Serie selten, sich aus den Krimistereotypen herauszuheben. Selbst die durchaus eindringlichen Einblicke in die unterschiedlichen Milieus, die eine Großstadt beherbergt, dienen letztlich mehr als Staffage, als Putz, Kulisse, um eben einen weiteren Fall zu erzählen.

Und so könnte man meinen, die in Szene gesetzten Sexualdelikte aus dem einst vom Dutroux-Fall erschütterten Belgien seien vor allem der verruchteren, sittenlosen Sex-&-Crime-Schublade entsprungen. Doch trotz aller aufgesetzten Plakativität verstraucheln sich die Fälle niemals in plumpem Voyeurismus oder taktloser Spannerei. Und sie führen auch nicht in die – inzwischen fast sprichwörtliche – skandinavische, irgendwie immer aufgesetzt wirkende Finsterdepression, aus der die Protagonisten vornehmlich mit klagender Wutmiene im Dunklen agieren.

… aber realistisch und komisch

Dass diesbezüglich eine Menge Raum für Realität, für Situationskomik geschaffen wird, und die erzählten Storys sich dann eben doch nicht nur in der reinen Belanglosigkeit verhaspeln, liegt sicher vornehmlich an der herausragenden Leistung sämtlicher Haupt- wie Nebendarsteller. Dazu kommt eine Kamera, teilweise mit der Hand geführt, die den Figuren vor allem im Vernehmungsraum auf durchaus ungewöhnlich unangenehme Weise auf die Pelle rückt. Kleine und größere Skurrilitäten der Figuren bis hin zu Slapstickeinlagen werden durch diese zwar nicht gerade experimentelle, aber doch sehr an unstet verfremdenden Schauwinkeln interessierte Kameraführung lanciert und brechen so die oft recht glatte Oberfläche wie auch die Tragik des Erzählten.

code-37-staffel-02-300x424Der rote Faden

Durch die in sich abgeschlossenen Folgen ziehen sich wie ein roter Faden, wie ein Hinter- oder Überbau, Hannahs private Ermittlungen. Vor Jahren wurde sie Zeugin, als ihre Mutter vor ihren Augen vergewaltigt wurde. Wenig später beging die Mutter Selbstmord, Hannahs geliebter Halbbruder, der auf unerklärliche Weise in das Verbrechen verstrickt scheint, verschwand, und Hannahs Vater, ein Richter, der viel mehr weiß, als er zugibt, stellte die Ermittlungen nach Hannahs Ansicht viel zu früh ein. Wie besessen sammelt Hannah in ihrer knappen Freizeit Hinweise auf die Täter von einst und macht sich damit eine Menge Feinde. Ein weiterer Erzählstrang, der sich wie ein Bindeglied durch „Code 37“ zieht, dreht sich um Hannahs Nachbarn Koen (Geert Van Rampelberg), dessen Charme sie sich nur widerwillig entzieht.

Hat man in der ersten Staffel noch den Eindruck, dass diese beiden Stränge recht überflüssig sind, da sie vor allem auch viel zu zögerlich und langatmig erzählt werden, zieht das Tempo in der nun vorliegenden zweiten Staffel diesbezüglich ordentlich an. Und so wird vor allem aus der Protagonistin Hannah ein vielschichtiger Charakter. Veerle Baetens, die als Tätowiererin Elise in dem mehrfach ausgezeichneten Film „The Broken Circle Breakdown“ (2012) brillierte, gibt die coole, einsame, traumatisierte Kommissarin, die eigentlich ihren ganz eigenen Solotrip verfolgt, voller Verve. In dieser Figur bzw. in der dargestellten Umsetzung halten sich Verbissenheit und Lockerheit, Tragik und Zynismus exzellent die Waage.

Die Brücke, Staffel 2,   Martin (Kim Bodnia)  und Saga (Sofia Helin); Photo Carolina Romare

Die Brücke, Staffel 2. Martin (Kim Bodnia) und Saga (Sofia Helin); Photo: Carolina Romare

Und bei den fast allabendlichen imaginären Liebesspielen, den Masturbationsszenchen, kann man den Eindruck gewinnen, dass ihr die vielleicht nicht ganz freiwillig gewählte Einsamkeit durchaus wohl bekommt. Schon klar, vor allem in der Figur der Kommissarin finden sich – wie könnte es anders sein – Parallelen zu bekannten Vorläuferinnen wie z. B. Kommissarin Lund oder auch Lisbeth Salander. Sicherlich hat man sich hier von den Erfolgen der letzten Jahre inspirieren lassen. Doch Hannahs spöttischer Zug um den Mund, ihr Lebenswille, die Lebenslust, ihr Humor lassen diese Figur trotz aller inneren Finsternis in gewissem Sinne glaubwürdiger erscheinen. Und wollten Rezensenten, die die wilderen, sonderbarerweise immer noch als unkonventionell geltenden Frauenfiguren gern in den Himmel loben, vor Damen wie Frau Lund, Lisbeth Salander oder Saga Norén nach altbewährter Minnesangtradition gar vor Wohlwollen niederknien, müssten sie eine so realistisch entworfene und agierende, zwischen Licht und Schatten pendelnde Figur wie Hannah Maes, in höchste Höhen preisen.

"Noomi Rapace as Lisbeth Salander" by Source. Licensed under Fair use via Wikipedia - http://en.wikipedia.org/wiki/File:Noomi_Rapace_as_Lisbeth_Salander.jpg#/media/File:Noomi_Rapace_as_Lisbeth_Salander.jpg

Lisbeth Salander (Noomi Raprace); Photo: Source

Mehr Mut!

Insgesamt ist „Code 37“ beste Fernsehserienunterhaltung mit hervorragend unterlegtem Sound, die vor allem durch ihre Schauspieler zu fesseln vermag. Die dargestellten Fälle, die von Exhibitionismus, Prostitution, Pornographie, Pädophilie bis hin zu Mord reichen, sind größtenteils Durchschnittsware. Und das große Gerüst, der sich durchziehende Erzählbogen, wird zunächst viel zu sehr vernachlässigt, um ihn dann später, wie um die vertane Zeit wieder aufzuholen, mit viel Action fast zu überspannen. Beinah scheint es, als hätte man vorab nicht wirklich an den Erfolg von „Code 37“ geglaubt. Doch die Serie, die in Belgien teilweise einen Marktanteil von 40 % einspielte, konnte als solch ein Erfolg gewertet werden, dass nach der zweiten Staffel sogar ein Kinofilm gedreht wurde. Und so wähnt man, dass die Story mit mehr Mut zur eigenen Idee, mehr Mut zur eigenständigen Umsetzung erzählt, einen gänzlich anderen Erzählfluss, eine ganz andere Fahrt hätte aufnehmen können.

Aber so ist es wohl – nicht nur in der Filmbranche gilt die Devise, dass man aus den Fördertöpfen erst richtig schöpfen darf, wenn der Erfolg garantiert ist. Das tut der Sache nicht immer gut, Filmperlen wachsen so oft außerhalb der Publikumswahrnehmung, da Qualität sich der Quote unterordnen muss. Doch was auch immer man der Branche oder letztlich doch den Drehbuchschreibern von „Code 37“ vorhalten mag, momentan läuft auf ZDFneo die dritte Staffel im Spätabendprogramm, und Fans der Serie wird das überaus freuen.

Anna Veronica Wutschel

Code 37. Staffel II. 4 DVDs. Darsteller: Veerle Baetens, Marc Lauwrys, Gilles de Schryver, Michaël Pas u. a. Regie: Jakob Verbruggen, Tim Mielants u. a. Studio: Edel Motion. Laufzeit: 640 Minuten. Produktionsjahr: 2012. Sprache: Deutsch.
Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.
The Bridge season 2 Kim Bodnia as Martin Sofia Helin as Saga Photo Carolina Romare 2012 (8724803961)“ von News Oresund / Photo: Carolina Romare, Filmlance International – The Bridge season 2 Kim Bodnia as Martin Sofia Helin as Saga Photo Carolina Romare 2012Uploaded by russavia. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons.
Noomi Rapace as Lisbeth Salander“ by Source. Licensed under Fair use via Wikipedia.

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