Ein Klassiker, ein Überraschungserfolg und eine Empfehlung
– „Butcher’s Crossing“ – ein neu zu entdeckender Roman des Amerikaners John Williams, der mit „Stoner“ den Überraschungserfolg der letzten Jahre gelandet hat. Ein Bestseller aus Norddeutschland, Dörte Hansens „Altes Land“. Und eine Empfehlung, Nino Vetris „Mamas wunderbares Herz“. Von Ulrich Noller.
Butcher‘s Crossing
Einer der erstaunlichsten Besteller der letzten Jahren stammt von John Williams, dessen Campus-Roman „Stoner“ posthum zum Weltbesteller wurde. Jetzt gibt es einen zweiten Roman dieses Autors, der von 1922 bis 1994 lebte, und der erstmals auf Deutsch zu lesen ist: „Butcher’s Crossing“. John Williams erzählt in dieser Geschichte, die Ende der 1950er Jahre entstand, von Will Andrews, einem Mittzwanziger, der sich auf in den Wilden Westen macht, nachdem er sein Studium in Harvard an den Nagel gehängt hat. Der junge Mann ist ein Anhänger des Philosophen Ralph Waldo Emerson, der für ein spartanisches, naturnahes Leben plädiert. Andrews will herausfinden, ob man tatsächlich so leben kann, jenseits der Zivilisation, nahe an den Elementen. In einem Ort namens Butcher’s Crossing schließt Andrews sich einem Trupp von Jägern an, die sich in ein entlegenes Tal aufmachen. Dort soll es riesige Büffelbestände geben.
Ein Abenteuerroman, ein Heldengesang und zugleich ein Abgesang auf solche Heldenlieder: John Williams packt die ganze Ambivalenz des Verhältnisses Mensch-Natur in eine Geschichte, die einem Gemälde gleicht, das gewissermaßen auf einen Blick alles zeigt, was es zu diesem Thema zu wissen gibt. Abgesehen davon bietet der Roman glasklare Naturbeschreibungen, wuchtige Dramaturgie und knorrige Charaktere. „Butcher’s Crossing“ ist ein großartiger Roman, ein neu zu entdeckender Klassiker.
Altes Land
Immerhin, zwischen den mehr oder minder misslungenen Genreadaptionen der ersten Fünf der Spiegel-Bestsellerliste findet sich ein echter Überraschungserfolg, und zwar einer, der kein Krimi ist – der Roman „Altes Land“ von Dörte Hansen. Hört sich ein bisschen nach Preußen, Pommern und Vorkriegsgeschichte an; tatsächlich geht es aber um eine Gegend nahe Hamburg an der Elbe, die so heißt. Eine Gegend, in der – in einem dieser alten Höfe mit Reetdach – zwei Flüchtlingsgeschichten zusammen kommen: Die der Zahnärztin Vera, die nach dem Krieg mit ihrer Mutter als Vertriebene aus Preußen im Alten Land strandete – und die von Anna, ihrer allein erziehenden Nichte, die gerade nach einer Trennung samt ihres kleinen Sohnes aus dem schicken Reicheleute-Stadtteil Ottensen flüchtet.
Ein altes Haus, in dem überraschend zwei Generationen zueinander finden, das ist seit dem Roman „Der Geschmack von Apfelkernen“ ein Erfolgsmuster der deutschen Unterhaltungsliteratur – das auch Dörte Hansen mit ihrem Versuch ziemlich unverblümt bedient. Und eben erfolgreich. Was es für die Macher vermutlich legitimiert, dass sowohl sprachlich wie auch in der Anlage der Figuren und ihrer Konflikte wie auch in der Kommentierung von Milieus derartig viele Klischees und Plattitüden bedient werden, wie es in dieser Geschichte der Fall ist. Geradezu absurd mutet es an, wenn ein abgehalfterter Journalist persifliert wird, der aufs Land gezogen ist und von dort mit Texten à la „Landlust“ reüssiert – eine Parodie, die (unfreiwillig) auch Dörte Hansen und ihren Roman selbst aufs Korn nimmt, denn genau darauf läuft „Altes Land“ letztlich hinaus, auch wenn der Roman steif und fest das Gegenteil behaupten möchte.
Mamas wunderbares Herz. Geschichten aus Palermo
Nino Vetri, geboren 1964, ist Schriftsteller, Buchhändler und Musiker in Palermo. Zwei kleine Romane von ihm sind bereits auf Deutsch erschienen. Jetzt folgt ein Band mit Erzählungen: „Mamas wunderbares Herz. Geschichten aus Palermo“. Noch kein Bestseller, aber eine gute Alternative zu den vielen umfangreichen Romanen auf dem Markt.
Es drei Geschichten, die Vetri erzählt. Die zwischen 20 und 60 Seiten langen Erzählungen sind sämtlich angesiedelt in der sizilianischen Metropole, mit einem Blick in – eher armselige – Kleine-Leute-Verhältnisse und sehr viel Gespür für deren Milieus. Erzählungen, das ist hier durchaus wörtlich zu verstehen, der Ich-Erzähler erzählt, was ihm der Autor einflüstert, das Medium der beiden ist die gesprochene Sprache. Und es geht vorwiegend um Typen, die in diesen Vierteln eine Rolle spielen, Typen, die es in sich haben.
Nino Vetri ist ein Künstler, weil es ihm gelingt, einerseits nahe dran zu bleiben, an den vielen ganz normalen, trotzdem häufig irgendwie doch merkwürdigen „kleinen“ Leuten, denen er in seinen Geschichten auf die Schnauze schaut – und andererseits sehr kunstvoll und stilsicher zu erzählen, und zwar mit einem sehr angenehmen trockenen Witz unterfüttert.
Geschichten mittlerer Länge sind für die Welten, die Nino Vetri skizziert, deshalb genau die richtige Form, weil sie durchaus ein wenig Raum lassen, um dies und jenes zu entwickeln – zugleich aber durch die Grenzen, die dieser Raum dann doch bald hat, vermieden wird, dass Langeweile aufkommt, weil das Wesentliche schon erzählt ist. Also, wenn schon sozialer Realismus, dann gerne so.
Ulrich Noller
John Williams: Butcher’s Crossing. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. dtv 2015. 368 Seiten. 21,90 Euro.
Dörte Hansen: Altes Land. Knaus 2015.288 Seiten. 19,90 Euro.
Nino Vetri: Mamas wunderbares Herz. Geschichten aus Palermo. Aus dem Italienischen von Andreas Rostek. editionfoto.TAPETA Berlin Verlag, 14,80 Euro.