Nichts wie rein und wieder raus aus dem Grünen
Immer kann sich ja ein Autor in seinen Geschichten nicht an den Rändern bewegen und von Verlieren schreiben. So macht der österreichische Schriftsteller Bernhard Strobel in seinem seit 2007 – da war er gerade Mitte zwanzig – nunmehr dritten Erzählungsband einen Schwenk ins bürgerliche Milieu mit Haus im Grünen. Ob es da besser zugeht? Von Senta Wagner
Tatsächlich strebt die Mehrheit der Österreicher nach einem Eigenheim mit Garten fern der Stadt, aber nicht zu fern – Albtraum jeder seriösen Landschaftsarchitektur. Die Strahlkraft der Vorstellung vom Glück, zu dem es nur Haus und Garten braucht, ist unübertroffen. In fast allen der neun kurzen Erzählungen aus „Ein dünner Faden“ sind nun beide mehr als bloßes Dekor, nämlich eigenmächtige Schauplätze an namenlosen Orten, samt den Insignien Pool, Schwimmteich, Ligusterhecke, große Terrasse, Gemüsebett, Garage – und stellen bei Strobel gerade keine Glücksgaranten dar. Es ist dies der Reiz der Stücke, ihre leichte Austauchbarkeit nehmen wir daher in Kauf, wobei ein fünfzigseitiger Monolog als Brieferzählung aus der Reihe tanzt.
Der Autor spürt einmal mehr als genauer Beobachter einer Kommunikationsunfähigkeit und dräuender Aggressionen in einer vermeintlich heilen, kleingerahmten Welt nach, quasi den Rissen im gutbürgerlichen familiären Anstrich. Die Erzählungen sprühen daher auch weniger durch Aktion als vielmehr durch den Gestus der Wahrnehmung und Beobachtung. Die Figuren, meist ein Mann und eine Frau, belauern sich regelrecht, sind auf der Hut. Neben reduzierten Erzählpassagen dominiert ein dialogisches Pingpong zwischen den Protagonisten (fragt sie, sagt er, fragt er, sagt sie). Ganz im Sinne dieser Gattung ist Strobel kein Erschaffer großer Bögen oder ausgebauter Charaktere, die Texte verharren in minimalen Wirklichkeitsausschnitten, sie sind inhaltlich nicht immer ganz präzis, erzählerisch geradlinig, bedächtig, sprachlich dosiert, stilistisch unauffällig. Die Erzähler sind durchweg männlich. Unpassende, gehobene Ausdrücke (entkörperlicht, sich anschicken) oder Wiederholungen (ständig wird geschlurft) stechen bei so konzentrierten Texten gleich heraus.
Im Handgemenge mit den Dingen
Von zwischenmenschlichen Katastrophen kann hier keine Rede sein, eher von Minidramen, die sich im alltäglichen Klein-Klein abspielen. Dazu gehören auch die minutiösen Beschreibungen von Aktivitäten in der Küche wie Kaffeekochen. Unterdrückter Zorn und Gewalt zeigen sich im Handgemenge mit den Dingen, etwa ein saftiges Zuschlagen von Kühlschrank- oder Autotüren, ein überlautes Einräumen der Spülmaschine, Treten von Autoreifen, Runterknallen des Klodeckels. Ansonsten wahrt man Contenance und schweigt sich aus.
Der erste Text Alles ist bestens umspielt virtuos das Thema Störung von Routinen in einer langjährigen Paarbeziehung. Es ist Wochenende, Urlaubsfeeling, sie deckt den Frühstückstisch am Pool. Er, der Ich-Erzähler, beobachtet die Szenerie. Anschließend befragt ihn die Polizei zur Brandstiftung im Ort, was zu ersten Heimlichkeiten im gefälligen Beisammensein führt. Später wechselt die Frau in die Beobachterposition, als ob einer dem anderen auf irgendeine Schliche kommen wollte. Dazu nutzt Strobel wie auch in anderen Erzählungen gerne die Positionen innen und außen. Einer ist im Haus, verbirgt sich wohlmöglich hinter einem Fenster, der andere befindet sich auf der Terrasse oder im Garten. Viel geht es dann um das Erschrecken der Frau, sodass vor lauter Reden darüber der ganze Schrecken dahin ist. Ein tiefer innerer Horror kondensiert sich später tatsächlich in einem einzigen Satz, derart es fast in jeder Erzählung einen gibt: „Meine Beine zitterten, in mir erhob sich eine graue, schartige Felslandschaft, die wenig zu tun hatte mit Bettinas türkisfarbenem Meer vor einem Sandstrand mit Palmen.“
In der Erzählung Die Kur wechselt die Kulisse von Anwesen und Garten zu Hotelanlage, auch hier Poolbereich und Komfortzonen. Ein Pärchenurlaub wird durch die Anwesenheit ihres Ex-Lovers von vor neun Jahren, eines Frauenarztes, empfindlich durcheinander gebracht. Er ist alarmiert und in seiner Männlichkeit gekränkt, sie verständnislos – Strobels beredte Sprachlosigkeit macht sich breit. Ein ordentlicher Rausch und das läppische Wortduell mit dem Vorgänger haben schließlich eine kathartische Wirkung auf ihn. Mit spärlichen Strichen lässt Strobel hier eine Eifersuchtsszene eskalieren und verpuffen.
Der Autor gilt als „Meister des Weglassens“, was eine etwas fragwürdige Meisterschaft ist. Üblicherweise wird das beurteilt, was da, nicht das, was nicht da ist. In einer Erzählung sollte nie mit einem Surplus an Informationen gerechnet werden. Textgenetisch gehen den Texten vielleicht einfach nur viele und die richtigen Streichungen voraus. Jedenfalls zeigt der Band, dass er für Bernhard Strobel eine weitere Einübung in die Form der Erzählung und ihrer Mittel ist.
In Schattentheater steht der nächtliche Rausch des Er-Erzählers am Beginn der Geschichte vom missratenen Fußballturnier des Sohnes. Vom (weggelassenen) Match zu Hause angekommen ist man gereizt, jeder nimmt seine Lauerposition ein, dumpfes Schweigen. Der Text verlegt sich alsbald auf den Gedankenbericht des Mannes, mit erschöpfender Verwendung der Formel: Er dachte. Was sonst? Die Fantasie geht schließlich mit ihm durch und die Geschichte endet mit einer bissigen Entlarvung des Lebens im Grünen: „Und plötzlich schien ihm der Anblick des schönen Gartens, der eingezäunten Idylle wie eine Zumutung. Es war wie eine Verhöhnung, und er wusste nichts anderes zu tun, als sie mit Gewalt zu bekämpfen.“
Senta Wagner
Bernhard Strobel: Ein dünner Faden. Erzählungen. Graz: Literaturverlag Droschl 2015. 151 Seiten. 19,00 Euro.