Geschrieben am 4. November 2015 von für Litmag, Vermischtes

81. P.E.N. Kongress in Québec

Eine Deklaration, ein Abschied, ein Erfolg

— Es ist zwar jetzt schon wieder zwei Wochen her, aber es ist immer noch aktuell, über den letzten P.E.N. Kongress, der hier in Québec vom 13. Bis zum 16. Oktober stattgefunden hat, zu reden. Die Abschlussveranstaltung des Festivals Québec en toutes lettres am 18. Oktober war ein langes Gespräch zwischen Bernard Gilbert, Direktor des Festivals und dem Maison de la littérature, John Ralston Saul, dem ausscheidenden Präsident des P.E.N. International, kanadischer Essayist und Romancier und Émile Martel, dem ausscheidenden Präsidenten des P.E.N. Québec, Übersetzer und Schriftsteller. Es hatte andere Berührungspunkte zwischen Kongress und Festival gegeben: u.a. den sehr gelungenen Leseabend –treffenderweise Babel genannt, Lesungen in den Sprachen der anwesenden Autoren – auf dem ich Texte auf Vietnamesisch, Persisch, Italienisch, Französisch und Englisch gehört habe. Einer der sehr gelungenen Veranstaltungen dieses Festivals. Und natürlich sah man in der Stadt die leeren Stühle, die an die abwesenden Autoren erinnern. Aber generell hört man in Québec sehr wenig vom P.E.N. Dieses Gespräch also war die Gelegenheit, etwas mehr über diesen P.E.N. Kongress zu erfahren.

logo-version-horizontale-fr2_-_copieDie gute Laune war spürbar, der Saal war voll, es war offensichtlich, dass sowohl das Festival als auch der Kongress ein großer Erfolg waren. Das Thema des Kongresses, über die üblichen – und leider immer noch aktuellen – Themen der Meinungsfreiheit und die körperliche Unversehrtheit der Autoren, Journalisten und Blogger hinaus, war dieses Jahr die Situation der Übersetzer. Übersetzung-Schöpfung-Freiheit waren das Motto. Während des Kongresses ist am 15. Oktober die Deklaration von Québec zu literarischen Übersetzung, den Übersetzerinnen und den Übersetzern verabschiedet worden. Émile Martel und John Ralston Saul haben wort- und oft auch witzreich die Situation der Übersetzer – oft zwischen Baum und Borke – wiedergegeben, ohne dabei zu verschweigen, wie schwierig es für viele Übersetzer in manchen Ländern sein kann. Sie waren beide sichtbar stolz darauf, dass der Kongress in Québec – der Provinz der linguistischen Minderheit Kanadas – zu einer Deklaration geführt hat, die in die Annalen der Rechte der Übersetzer eingehen wird.

Natürlich war auch die Situation Raif Badawis für das quebecker Publikum interessant, da seine Frau und seine drei Kinder in der Provinz Zuflucht gefunden haben. Allerdings fühlte sich die Regierung unter Stephen Harper bisher nicht genötigt, sich für ihn einzusetzen. Am 19. Oktober waren Wahlen, unser zukünftiger Premier heißt Justin Trudeau, und wir erwarten alle von ihm, dass die Außenpolitik wieder wichtig wird und er sich unter anderem für Raif Badawi stark macht.

Ein rührender Moment war, als die beiden ausscheidenenden Präsidenten vom Tod des Präsidenten des neu gegründeten P.E.N. Mauritanien, Ly Djibril Hamet während des P.E.N. Kongresses sprachen. Sie erzählten von seinen letzten Momenten in einem quebecker Krankenhaus mit einem quebecker Imam. Nach seinem Tod haben sie folgende Zeilen in seinem Hotelzimmer gefunden, Zeilen, die sowohl zum Kongress als auch zum Leben Hamets passen : « Prête-moi une langue, pour Dire, la vérité, la parole belle, la parole sage, l’éloge, le pulaar, les autres langues » (*Leih mir eine Sprache, um die Wahrheit, die schönen Worte, die weisen Worte, das Lob, das Pulaar, die anderen Sprachen zu sagen.) Diese Zeilen sollen in einen leeren Stuhl graviert werden, der zu Ehren des Dichters im Maison de la littérature aufgestellt wird.

Die jahrzehntelange Freundschaft zwischen Martel und Saul haben aus diesem Gespräch einen Erfolg, einen würdigen Abschluss einer großen Literaturwoche mit der Eröffnung der Maison de la littérature, des Festival Québec en toutes lettres und dem 81. P.E.N. Kongress, gemacht.

Bärbel Reinke

Hier die Übersetzung der

Deklaration von Québec zur literarischen Übersetzung, den Übersetzerinnen und den Übersetzern

  1. Die literarische Übersetzung ist eine Kunst der Hingabe. Sie trägt die Werte der Offenheit in sich, sie erlaubt, nach dem Universellen zu streben und sie ist der prinzipielle Vektor des Dialoges zwischen den Kulturen. Sie ist eine Garantie des Friedens und der Freiheit, und sie ist ein Bollwerk gegen die Ungerechtigkeit, die Intoleranz und die Zensur.
  2. Nicht alle Kulturen sind gleich vor der Übersetzung. Einige übersetzen aus freiem Willen, andere aus Zwang. Die Übersetzung geht Hand in Hand mit dem Schutz der Sprachen und der Kulturen.
  3. Die Übersetzerinnen und Übersetzer bringen den Autoren und den Originalwerken alle Achtung entgegen, allerdings ohne die Texte nur zu reproduzieren: als eigenständige Schöpfer führen sie die Texte weiter, treiben sie sie voran. Mehr als nur Boten, tragen sie die Stimme der Anderen, ohne dabei ihre eigene Stimme zu verlieren. Verteidiger der linguistischen und kulturellen Vielfalt, engagieren sie sich vor allem für die Autoren im Schatten, für die Stile und die Gruppen, die im Abseits stehen.
  4. Die Rechte der Übersetzer und Übersetzerinnen müssen geschützt werden. Die staatlichen Instanzen, die Verlagshäuser, die Medien und die Arbeitgeber müssen die Übersetzerinnen und Übersetzer eindeutig anerkennen und nennen, ihren Status und ihre Bedürfnisse respektieren, ihnen eine gerechte Bezahlung und dieses Namens würdige Arbeitsbedingungen zusichern, und dies egal welcher Textträger benutzt wird – Papier, Digital, Audio oder Video.
  5. Die körperliche Unversehrtheit und die freie Meinungsäußerung der Übersetzerinnen und Übersetzer müssen jederzeit gesichert sein.
  6. Als Schöpfer eines Werks und mit einem Know-how ausgestattet, das sie auszeichnet, müssen die Übersetzerinnen und Übersetzer respektiert und um Rat gefragt werden zu allen Angelegenheiten, die sich auf ihre Arbeit beziehen. Die Übersetzungen gehören all denen, die sie hergestellt haben.

Übersetzt von Bärbel Reinke

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