Geschrieben am 1. Februar 2016 von für Litmag, LitMag-Lyrik

LitMag-Weltlyrik: Roberto Juarroz

jurroz_veticalDie Abwesenheit Gottes bestärkt mich,
Ich kann seine Abwesenheit besser anrufen als seine Anwesenheit.

Die Stille Gottes
läßt mich sprechen.
Ohne seine Stummheit
hätte ich überhaupt nicht sprechen gelernt.

Statt dessen
stelle ich jedes Wort
in eine kleine Pause der Stille Gottes,
auf ein Fragment seiner Abwesenheit.

Aus dem Spanischen von Juana und Tobias Burghardt

 

Der englische Schriftsteller, Kunsthistoriker und Essayist John Berger, hat einmal von den Gedichten gesagt, sie seien Gebeten näher als Geschichten. Vielleicht komme ich mit dieser Feststellung eines ganz und gar nicht religiös-gläubigen Intellektuellen meiner Liebe zu den Gedichten näher, die mich seit den Tagen meiner katholischen Kindheit nicht losgelassen hat. Wir standen auf mit einem Morgengebet und beendeten den Tag mit einem Dankgebet für alles, was man am vergangenen Tag so alles unter Gottes Himmel erlebt hat. Die meisten Gebete hatte man auswendig gelernt und konnte sie so ohne großes Nachdenken herunterschnurren. Und die man nicht im Kopf hatte, las man von einem mit der Zeit grau und faltig gewordenen Blatt ab. Langsam, Gebet für Gebet, entfernte ich mich mehr von jedem frömmelnden Glauben, dass mit jedem auswendig gelernten Vers mehr tatsächlich mein irdisches Seelenleben und das zukünftige ewige Leben gesichert wird. Aber es blieb – und wurde sogar immer stärker – eine Faszination für Gedichte, die ähnlich klangen wie Gebete und die mir immer näher waren als Geschichten.

Irgendwann stieß ich auch auf das hier angeführte Gedicht von Roberto Juarroz, in dem auf eine mich irritierende Weise die Abwesenheit und Stummheit Gottes als Anstoß und Ermutigung für das Schreiben und Sprechen gesehen wird. Jede Zeile dieses Gedichts enthält einen Widerspruch, über den man beim Lesen stolpert und zum Innehalten gezwungen wird. „Ich kann seine Abwesenheit besser anrufen als seine Anwesenheit … Die Stille Gottes läßt mich sprechen … Ohne seine Stummheit hätte ich überhaupt nicht sprechen gelernt … Ich stelle jedes Wort in eine kleine Pause der Stille Gottes“. Gott muss abwesend sein, um ihn anrufen zu können.

Juarroz schafft es hier Gläubige und Ungläubige so anzusprechen, dass ein Theist wie ein A-theist das Gedicht in seinem Sinne lesen kann, ohne dass der Eine gegenüber dem Anderen im Recht ist. In den aktuellen Zeiten der wachsenden Fundamentalismen innerhalb der Weltreligionen, zwischen ihnen und im Streit mit den laizistischen Ungläubigen offeriert dieses Gedicht eine Möglichkeit der Verständigung – einen aufgeklärten Willen zum gemeinsamen Überleben vorausgesetzt.

Roberto Juarroz ist im deutschsprachigen Raum wenig bekannt. Geboren wurde er 1925 in Coronel Dorrego, Provinz Buenos Aires und er starb 1995 in Temperley, ebenfalls in der Provinz Buenos Aires. Bis zu seinem Tod erschienen dreizehn Gedichtbände die alle den Titel „Vertikale Poesie“ trugen. 1997 erschienen im Salzburger Residenz-Verlag und im Kölner Tropen-Verlag jeweils von Juana und Tobias Burghardt übersetzte Gedichte von ihm auch in deutscher Sprache. 2005 dann wurden weitere Gedichte von Juarroz im Jung und Jung-Verlag, Salzburg veröffentlicht, ebenfalls von den Burkhardts übersetzt. „Die Poesie ist der Versuch, das Unsagbare auszusprechen, der extremste und risikoreichste Gebrauch der Sprache“ (Roberto Juarroz). Gott in seiner Abwesenheit anzurufen – dieses Unsagbare kann nur die Poesie in Worte übersetzen.

Carl Wilhelm Macke

Das Gedicht ist erschienen in: Roberto Juarroz: Vertikale Poesie – Poesía vertical. Übersetzt aus dem Spanischen von Juana und Tobias Burghardt. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2005.

Nachsatz zur Reihe “Weltlyrik”: Die fast tägliche Konfrontation mit Nachrichten von verfolgten, inhaftierten oder hingerichteten Journalisten lässt gleichzeitig auch den Wunsch nach anderen Bildern und einer anderen Sprache wachsen. Immer wieder erfährt man auch von Journalisten, die nicht nur über das Dunkle und Böse in der Welt recherchieren, sondern auch Gedichte schreiben. Wie heißt es in einem Gedicht von Georgos Seferis „Nur ein Weniges noch/ und wir werden die Mandeln blühen sehen…“ (www.journalistenhelfen.org).

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