Kompromisswilliger Mainstream
Südengland. Ein kleines Dorf, eine junge Frau, die sich vom Rest der Welt abschottet. Hört sich nach Minette Walters an, ist aber Sharon Bolton. Die erfreute bereits mit dem gut lesbaren und durchaus spannenden Thriller Todesopfer, und wieder legt sie ein gut lesbares und durchaus spannendes Buch vor, Schlangenhaus heißt es, und um Schlangen geht es. Henrike Heiland fasst in die Grube.
Südengland also. Ein kleines Dorf, Schlangen, die sich urplötzlich zur Plage entwickelt haben, und Schlangen, die eigentlich gar nichts in Südengland, geschweige denn Europa, zu suchen haben. Wie gut, dass die junge Frau, die sich vom Rest der Welt abschottet, nicht nur Tierärztin ist, sondern gleich noch so etwas wie eine Expertin für Echsengekreuch und Schlangengeziefer. (Natürlich gibt es da die tiefe Wunde in ihrer Vergangenheit, weshalb sie sich nun lieber um Kaninchen kümmert, aber das kommt noch.) Die Tierärztin wird von einer aufgeregten Mutter aus der Nachbarschaft gerufen, weil sich im Bettchen der kleinen Tochter eine Schlange herumtreibt. Die Kreuzotter ist an sich ein harmloses Tier, dessen Biss man bei guter Gesundheit schon mal wegstecken kann, aber für Kleinkinder eignet sie sich eher nicht. Mutig greift Clara, so heißt die Tierärztin, ein, rettet das Baby und erfährt von einem Rentner, ebenfalls aus der unmittelbaren Nachbarschaft, der kürzlich erst an einem Kreuzotternbiss starb.
Richtig wirklich aufregend wird alles natürlich erst, als die Kreuzottern in ganzen Rudeln in ein Haus einfallen und sich unter ihnen eine absolut tödliche Giftschlange befindet. Die Koryphäe unter den Kennern exotischer Giftschlangen – Sean, ein attraktiver junger Mann von ungemein erdigem Reiz – befindet sich zufällig gerade in der Gegend und hilft Clara, der tapferen Tierärztin, was dem attraktiven jungen Assistant Chief Commissioner der hiesigen Polizei – Matt, er lebt weniger von erdigen Reizen als von Charme und Ritterlichkeit – nicht so recht passt. Bald schon baggern nämlich beide Männer an der kratzbürstigen Clara rum. Und die ist nicht ohne Grund kratzbürstig. Sie fühlt sich nämlich so gar nicht wohl bei dem Gedanken, mit anderen Menschen Kontakt zu haben. Was wiederum an einer offenbar entstellenden Narbe im Gesicht liegt, die sie seit jüngster Kindheit mit sich herumträgt und zumindest vor sich selbst zu einem hässlichen Freak macht.
Natürlich zählen für die beiden Herren die inneren Werte, Clara ist ja ein mutiges, intelligentes und ja, unkonventionelles Ding, und es soll sich auch herausstellen, dass sie gar nicht so hässlich ist, wie sie immer tut. Soweit zur Soaphandlung. Die Krimihandlung wird dadurch belebt, dass irgendwer in einem alten, verlassenen Haus zu wohnen scheint, der so aussieht wie einer, von dem alle glauben, er sei gerade gestorben. Außerdem stellt sich heraus, dass der arme alte Rentner aus der Nachbarschaft gar nicht an einem Kreuzotternbiss gestorben ist, wohl aber am Gift dieser Schlange. Allerdings hatte er soviel Gift in sich, dass es nicht von einer einzelnen Schlange stammen konnte. Wie also …? Ach, was für ein Rätsel. Flankiert wird der Gruselstrang noch von ein paar alten Leutchen im Ort, die kryptische Andeutungen machen, Versatzstücke aus der Vergangenheit zerren und ab und an mal einen längst vergessenen Namen hauchen. Und oh, die abgebrannte Kirche, das Feuer aus den 50er Jahren, über das keiner reden mag.
Wie schon in Todesopfer wählt Bolton eine eingeschworene Gemeinschaft, in der die Protagonistin die Außenseiterin ist, die es sich nicht nehmen lässt, hinter die Kulissen zu schauen. Und wieder geht es um mythische Rituale, um Glaube und Aberglaube, dem sich eine junge Naturwissenschaftlerin gegenübersieht. Das sind gute und bekannte Zutaten, die da verrührt werden. Sie sorgen für Spannung, der Leser bleibt mit Interesse dran, gut lesbar ist es ja außerdem. Man weiß auch durchaus, worauf man sich einlässt, und wird nicht enttäuscht: ein bisschen georg(e)esk kommen die Figuren daher, ein bisschen walteresk die Ausgangskonstruktion, ein bisschen grahamesk das Inspector Barnaby-Setting.
Doch bleibt bei allen großen Vorbildern nicht aus, dass es hier und da deutlich zwackt: Die Figuren sind letztlich zu banal und flach, die einzelnen Szenen lange nicht so kunstvoll gebaut wie bei Walters oder so virtuos geschrieben wie bei George, und irgendjemand könnte Ms Bolton ruhig mal sagen, dass ein Thriller nicht ausschließlich von einem doch arg in die Länge gezogenen Showdown lebt, der zum Vorblättern und Querlesen animiert.
Anspruchsvoll ist was anderes, innovativ auch, aber trotzdem macht es unterm Strich Spaß, Schlangenhaus kann man mal nebenher weglesen, ohne sich zu langweilen, die Handlung packt, wie es eine gut gemachte Soap tut (man will dann schon wissen, wer von den beiden Kerlen sie nun bekommt, oder wer von den beiden Kerlen denn nun der Böse ist, einer muss ja, oder wie das überhaupt ist mit diesen beiden Kerlen) und das ist letztlich einiges wert. Mehr, soviel sei behauptet, will die Autorin wohl auch gar nicht. Das ist okay. Warum es dann aber gleich ein als Krimisensation gepriesenes Hardcover sein musste, und warum Sharon Bolton von irgendwem auf dem Schutzumschlag als Riesentalent betitelt wird, das bleiben die vielleicht größten Geheimnisse, die sich um das Schlangenhaus ranken.
Henrike Heiland
Sharon Bolton: Schlangenhaus (Awakening, 2009). Roman.
Deutsch von Marie-Luise Bezzenberger:
München: Manhattan 2009. 512 Seiten. 19,95 Euro.