Geschrieben am 15. April 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Juan Villoro: Das dritte Leben

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Von Frank Rumpel

Warum sich im Urlaub nicht einfach mal entführen lassen? Des ultimativen Kitzels wegen, der sich womöglich beim Basejump schon nicht mehr einstellen mag. Zu wenig Lebensgefahr. Deswegen dringen ab und an ein paar bewaffnete Guerilleros – verkleidete Schauspieler, die die Gelegenheit nutzen, mal gut bezahlt brutal zu sein – in die Pyramide ein, um aus dem Luxusressort an der mexikanischen Karibikküste ein paar Gäste zu verschleppen, denen eine Exkursion in die eigene Angst als die ultimative Urlaubsform gilt.

Aquarienfische machen Töne

Ausgedacht hat sich das der mexikanische Journalist und Autor Juan Villoro. Und diese Idee wäre nicht halb so gut, wenn sie nicht in Mexiko spielte, wo nach wie vor der Drogenkrieg tobt, wo sich Kartelle blutig um Territorien und Einfluss beharken und in den Wäldern von Chiapas Zapatisten leben. Doch all das taucht allenfalls an den Rändern dieser Geschichte auf, liefert das ganz reale Hintergrundrauschen für diese mit bitterem, schwarzem Humor gesättigte Geschichte. Im Zentrum stehen zwei Männer, die etliche Jahre in derselben Rockband spielten. Mario stieg schließlich aus, eröffnete die Pyramide und wurde deren Manager. Sein Kumpel Tony ging fast an den Drogen kaputt, bekam gerade so die Kurve und betreut seither in der Pyramide ein eher randständiges Projekt: Er überträgt die Bewegungen der Aquarienfische in Töne.

Kurz hintereinander gibt es zwei Tote, einen angestellten Taucher und dessen Freund. Das ist üble Publicity fürs Hotel und wirft zudem ein schlechtes Licht auf den Sicherheitsdienst des Schuppens, der in der Gegend längst das einzige noch intakte Touristenressort ist. Alle anderen haben aufgegeben und nutzen die verfallenden Immobilien nun zur weit einträglicheren Geldwäsche, wie der in London ansässige Investor der Pyramide verrät und laut darüber nachdenkt, sein gut gehendes Hotel vielleicht ebenfalls zu schließen.

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Zynische Strategien

Ein gewitzter Kommissar, der nebenher auch Prediger ist, ermittelt, doch dienen diese Ermittlungen, die sich da eher zurückhaltend durch den Roman schlängeln, vor allem als Motor für diese Geschichte. Im Kern geht es um die seltsame Freundschaft zwischen Mario und Tony. Mario will den anderen um sich haben, weil er schwer krank ist und Tony ihn durch bloße Anwesenheit mit besseren Zeiten verbindet.

Es ist eine wilde, aber auch stets kontrollierte Farce, die der 1956 geborene Autor da mit großer Präzision erzählt. Durch die Augen des Ich-Erzählers und Außenseiters Tony betrachtet er, was im Hotel vor sich geht und hat so Gelegenheit, das Geschehen auch gleich zu analysieren, indem er etwa fragt, was das für eine dekadente Gesellschaft ist, die sich solche Freizeit wünscht und die bereit ist, eine schlichte Show als ganz reale Bedrohung zu akzeptieren. Er entlarvt, wie einfach doch die Mechanismen der Exklusivität, wie zynisch die Strategien der Investoren sind und wie simpel und grausam die Realität doch immer wieder die Fiktion unterläuft. Daraus macht Villoro eine brillante Geschichte über Gescheiterte und Versehrte, von denen es einige in letzter Minute schaffen, sich aus dem Staub zu machen. Und es ist eine Geschichte über eine kaum weniger versehrte Gesellschaft, nicht nur in Mexiko.

Frank Rumpel

Juan Villoro: Das dritte Leben (Arrecife, 2012). Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Hanser-Verlag, München 2016. 286 Seiten, 19,90 Euro.

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