Der DJ als Schamane
Prinzip sanfte Überwältigung: immer mit der guten alten Tante Techno am Steuer, aber auf angenehm holprigen Wegen, die auch über Chicago-House und Detroit führen. Von Tina Manske
Von Anfang an sind die Aufgaben klar verteilt. Dieses Doppelalbum, aufgeteilt in Tag und Nacht, beginnt natürlich mit der Nacht – wie könnte es bei einem DJ anders sein. „Night“ macht gleich zu Beginn klar, dass hier die Metropolenschwärmer unter sich sind. Und dann aber das: Brian Ferry als Gastsänger auf dem Opener „U Can Dance“! Man ist überwältigt und kann sich plötzlich gut vorstellen, wie das gewesen sein muss, als die Leute zum ersten Mal David Bowie zu Ohren bekamen. Das ist purer organischer Pop; kein Wunder, dass die Pet Shop Boys „Teufelswerk“ vergöttern. Auf den folgenden Tracks setzt sich das Prinzip sanfte Überwältigung fort, immer mit der guten alten Tante Techno am Steuer, aber auf angenehm holprigen Wegen, die auch über Chicago-House und Detroit führen. DJ Hell, der sich jetzt nur noch Hell nennt, der erfolgreichste deutsche DJ, hat mit seinen mittlerweile auch schon 47 Jahren (auf Ibiza zählt jedes Jahr doppelt!) ein Doppel-Album vorgelegt, das in seiner langen Karriere sicherlich zu den Höhepunkten zählt.
Schon der Vorgänger „NY Muscle“ aus dem Jahr 2003 war ein Glanz, doch mit „Teufelswerk“ übertrifft Helmut Geier sich selbst. Dass bei „The DJ“ P. Diddy als Gastrapper auftritt, ist denn wohl auch mehr ein Distinktionsgewinn für diesen als für den Herrn des Hauses.
Kraftwerk stolzieren vorbei
Insbesondere der „Day“-Teil ist magisch. Wie Hell in „Carte blanche“ das Vogelgezwitscher der sich ankündigenden Dämmerung mit seinen Tasten und Knöpfen nachahmt, ist nicht nur rührend, sondern romantisch im besten Sinne des Wortes. An „Nightclubbing“, das bahnbrechende Album von Grace Jones, erinnert nicht nur das Cover-Artwork, sondern auch ein gleichnamiger Track. Aber Nachtleben hin oder her: Hier wankt kein abgekämpfter Plattendreher durch die quietschende Discotür, hier ist ein ganz nüchterner Schamane am Werk, mit der Nase an der Luft. Bands wie Neu! oder Can werden auf leichte Art und Weise zitiert und auf Augenhöhe diskutiert, Kraftwerk stolzieren vorbei. „Teufelswerk“ ist im Ganzen eine tiefe Verbeugung vor den Erfindungen, die elektronische Musik aus Deutschland gemacht hat, und gleichzeitig eine eindrucksvolle Performanz von Hells eigener Stärke.
Tina Manske
Hell: Teufelswerk. 2 CD. International Deejay Gigolo Records (Vertrieb: Rough Trade).