Welcher Schrotgröße ist am besten für Schnepfen?
Morden ist eine ziemlich heitere Angelegenheit. Manchmal fühlt man sich danach ein bisschen besser. Zunimdest in einem irischen Dörfchen. Aber irische locations haben ja schon immer was von Weltalltag. „Bogmail“ von Patrick McGinley ist dafür ein wunderbarer Beleg. Klaus Kamberger freut sich.
Donegal? Klingt nach Provinz, ziemlich sogar. Ist es auch. Mit dem Zeigefinger auf der irischen Landkarte immer feste nach oben, links: Dún na nGal. Dahinter kommt dann das Meer. Immer noch Europa, aber das nun in seiner skurrilsten Ausformung. Donegal, das ist ein Landstrich mit Küste, höchster Berg 759 m, wo man nach vier bis fünf doppelten Whiskeys nichts weniger als die endgültig weltbewegenden Fragen klärt.
Nämlich ob Wattwürmer im Grunde nicht Hermaphroditen sind; mit welcher Schrotgröße man am besten Schnepfen schießt; und dass man einen abgehackten Fuß seinem ursprünglichen Besitzer kriminaltechnisch am besten über den unverwechselbaren Schweißgeruch zuordnet. Da passt es dann, dass am Ende eines so tief ausgeloteten Abends sich Roarty, der Dorf-Pub-Besitzer, ein paar Stouts und eine Flasche Schnaps intus, mit seiner 13bändigen Enzyclopaedia Britannica ins Bett legt und sie kapitelweise auswendig lernt. Aus dem Grammophon ertönt ihm dazu Schumanns Cello-Konzert.
Doch dann nimmt derselbe Roarty auch mal einen kiloschweren Band seiner Enzyclopaedia zur Hand und erschlägt damit seinen Barkeeper. Warum? Weil es halt sein muss. Die Leiche entsorgt er im naheliegenden Moor („bog“). Aber irgendwer muss ihn dabei beobachtet haben. Jedenfalls liegt bald darauf eine black-, nein, besser: eine bogmail in seinem Postkasten. Und etwas später taucht dann, als kaum zu leugnendes Beweisstück, besagter Fuß auf. Worauf der Dorfpolizist, sonst immer nur mit der Jagd auf Hühnerdiebe beschäftigt, zu großer Form aufläuft.
Steckt vielleicht dieser Engländer, der seit einiger Zeit im Dorf wohnt und natürlich im Pub verkehrt, hinter alldem? Oder hat der Dorfpfarrer, dieser fette katholische Kanonikus, der überall in der Gemeinde die Fäden zieht, auch hier seine Finger im Spiel? Aber eigentlich ist das auch egal – jedenfalls für den Leser. Denn im Grunde ist es gar nicht der „Krimi“, also die Spurensuche samt Überführung des Täters, was an diesem wunderbar bösen, schwarz-humorigen Roman so fesselt. Es ist die Sperrigkeit der Leute in einer abgelegenen Landschaft, die offenbar nichts als seltsame Querschädel hervorbringt.
Als Patrick McGinleys „Bogmail“ vor mehr als dreißig Jahren in Dublin erschien (und uns bis heute sträflicherweise vorenthalten wurde, ehe Steidl den Roman jetzt in einer preiswürdigen Übersetzung endlich auf dem deutschen Markt placiert hat), waren die Iren indessen gar nicht so amused, wie wir das heute sein dürfen – schilderte er seine Landsleute da oben an der rauen Küste doch als total abgehängte Hinterwäldler, die sich vor allem vom Whiskey ernähren und den Katholizismus (nicht zu verwechseln mit dem katholischen Glauben!) für ein in jeder Hinsicht unwandelbares Naturphänomen halten. Dabei ist nach der „Bogmail“-Lektüre doch jetzt eines mehr als sicher: Das wirkliche Leben findet in Donegal statt. Wo sonst? Alles andere ist Täuschung.
Übrigens: „Bogmail“ gilt heute in Irland bereits als „Klassiker“ und ist dort folgerichtig vor kurzem neu erschienen, diesmal bei New Island in seiner Dubliner Reihe „Modern Irish Classics“.
Klaus Kamberger
Patrick McGinley: Bogmail. Roman mit Mörder (Bogmail, Dublin 1978 u. 2013). Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 2016. Hardcover. 336 Seiten, 24 Euro.