Geschrieben am 15. Februar 2017 von für Bücher, Crimemag

Ernst Strouhal: Der Krieg und die Spiele

150918_IFK_Buchreihe_Band3_Umschlag_V2.inddDas kalte Herz – bei aller Hitze

Kriegsspiele sind Kältekammern der Geselligkeit. Ihr Spiel erfordert ein durch und durch gepanzertes Ich des Spielers, das Spielbewusstsein ist dabei in hohem Maße ambivalent: Einerseits muss während des Spiels vergessen werden, dass gespielt wird (ansonsten wäre jedes Spiel bloß langweilig), andererseits muss jedes Spiel auch im Bewusstsein, dass bloß gespielt wird, erfolgen (ansonsten wäre das Spiel wie der Krieg selbst unerträglich, unendlich bösartig, unendlich grausam. Der Wiener Kulturwissenschaftler und Spiele-Experte Ernst Strouhal trifft diese Feststellung in seiner Einführung zu dem von ihm herausgegebenen Sammelband „Agon und Ares. Der Krieg und die Spiele“. Es bleibt bei weitem nicht die einzig bemerkenswerte Passage in diesem äußerst anregenden Buch, das auf einem gleichnamigen Symposium 2015 am IFK (Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien) beruht. Alf Mayer hat sich in das Werk vertieft und ist fasziniert.

In insgesamt 19 Beiträgen gehen ausgewiesene Spezialisten dem Verhältnis von Spiel und Krieg und dem Spiel als Medium politischer Propaganda vor allem im 20. Jahrhundert nach. Analysiert wird die Instrumentalisierung von Brett- und Kartenspielen bis hin zu Sportspielen und Kriegssimulationen am Computer. Eine Spannweite also vom griechischen Wettkampf (Agon) bis zu den heutigen Nachfolgern des Atari-Spiels „Battlezone“ vom Anfang der 1980er. Ein zusätzliches Plus ist die geradezu üppige Bebilderung. Alles sehr informativ! (Von Ernst Strouhal stammt auch der 2016 erschienene Prachtband „Die Welt im Spiel – Atlas der spielbaren Landkarten“ (Brandtstätter Verlag).

Schiller: Der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt

Friedrich Nietzsche und Jacob Burckhardt verstanden den Agon als Grundprinzip der griechischen Kultur: Der Einzelne kann seine Fähigkeiten im geordneten Wettkampf erweitern und verbessern, wobei er gleichzeitig der Gemeinde nützlich ist. Auch die Olypmischen Spiele haben diesen Ursprung. Friedrich Schiller postulierte in seinem 15. „Brief zur ästhetischen Erziehung des Menschen“, der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt. Diese Totalisierung des Ludischen ist inzwischen erreicht. Die Ausweitung der Spielzone auf so gut wie alle gesellschaftlichen Bereiche ist Realität geworden. Spiele können helfen, Desaster vorauszusagen, sie können Profite maximieren und Märkte beeinflussen, sie eignen sich zur Schlachtfeldsimulation und zu anderen „Gedankenspielen“, sie sind nützlich geworden. Ganz undenkbar, sie Kindern vorzuenthalten. Tabuzonen gibt es nicht mehr. Krieg, Gewalt, verdeckte Einsätze, Attentate, Pornografie, Spionage und Gegenspionage, Diebstahl und allerlei anderes asoziales Verhalten sind gang und gäbe.

Gamification nennt man die Durchdringung unserer Gesellschaft mit Methoden, Metaphern, Werten und Attributen der Computerspiele. Obwohl der Begriff erst nach 2010 geprägt worden ist, liegen seine Wurzeln viel weiter zurück. „Das gegenwärtige Jahrhundert könnte man in den Geschichtsbüchern nicht besser, als unter dem Titel: Das Spielsaeculum nennen”, bemerkte Daniel Bernoulli im Jahre 1753. Spielsucht und Spielwut, Spiellust und der Verlust durch das Spiel prägten die Ludification der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ebenso wie die unserer Tage. Nur dass eben heute alles allumfassender ist. (Persönliche Anmerkung: Schon 1995 sah ich bei einer Reise durch Russland in den hintersten Dörfern Kinder mit ihrem Nintendo spielen.)

Auch Arnold Schönberg hat eine Idee

Der Braunschweiger Mathematiker und Entomologe Johann Christian Ludwig Hellwig entwickelte 1780 ein schachbasiertes Kriegsspiel, dargelegt in der Schrift „Versuch eines aufs Schachspiel gebaueten taktischen Spiels von zwey und mehreren Personen zu spielen“, das in Zusammenhang stand etwa mit Christoph Weickmanns Schachspiel von 1644, mit Kartenspielen wie „Jeu de la Guerre“ und „Jeu de la Fortification“ des frühen 18. Jahrhunderts oder mit Georg Venturis 1797 vorgestelltem Kriegsspiel „Regeln für ein Neues Kriegsspiel für den Gebrauch an Militäranstalten“. In vielen Ländern Europas verbreitet war ein Lauf- und Würfelspiel, das unter dem Namen „Gänsespiel“ bekannt war, und als Vehikel für diverse Inhalte – auch jegliche Propaganda – diente. Alleine in dem Artikel „Reise nach Moskau. Politik und Propaganda in russisch-sowjetischen Spielen vor dem Zweiten Weltkrieg“ Feld für Feld vorzurücken, ist erkenntnisträchtig. Oder mit Lydia Mischkulnig bei der „Schlachtenreise im Sugoroku. Krieg und Kriegspropaganda im japanischen Gesellschaftsspiel“, einer japanischen Form des Gänselaufspiels, dessen Illustrationen das Frontgeschehen ebenso wie fremde Städte, Sitten und Lebensweisen nahebringen und Soldatenleben, Heldenmut, Kampfszenen und Kaisertreue intensivieren.

„Die gesteigerte patriotische Empfindung unserer Tage“ qua Brettspiel war auch dem Komponisten Arnold Schönberg einen (nie in Serie gegangenen) Entwurf wert, sein nach dem Ersten Weltkrieg entwickeltes sogenanntes „Koalitionsschach“. Herausgeber Ernst Strouhal nimmt sich in einem Beitrag der Sache an: „Alles andere als eine Petitesse.“

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Schönbergs „Koalitionsschach“ (Quelle: Wiki-Commons)

Mehr als 1.800 Spiele und Puzzles aus 20 Ländern, die im zeitlichen Konnex zum Zweiten Weltkrieg (also etwa 1923–1947) produziert wurden, hat Gejus van Diggele in seiner Sammlung, mindestens 500 weitere sind ihm bekannt. Weniger als 30 davon wurden oder für Regierungen entwickelt. „Der Rest wurde konzipiert und produziert von Unternehmen und Individuen, primär nicht um einer Ideologie zu dienen, sondern um die Kriegsbegeisterung finanziell zu nützen, ja auszubeuten. Wir sollten lieber nicht mehr einfach von „Propaganda-Spielen“ oder von „Spielen und Puzzles als Propagandamedien“ reden und schreiben“, findet er.

Kriegsspiele sind Echo von Kriegsbegeisterung und -hetze, sie erzählen ein dunkles Kapitel der materiellen Kultur: Ritterburgen und Belagerungsspiele, Holzschwerter und Gewehrattrappen bedienten seit Jahrhunderten puerile Phantasien, ebenso die unzähligen Jeux de la Guerre, Games of Bombardement und frühen Kriegssimulationen, die in der Offizierausbildung zum Einsatz kamen. Je näher ein Krieg rückte, desto mehr wurde in den Kinderzimmern aufgerüstet, das Publikum auf Vaterlandstreue eingeschworen, die Hemmschwellen gesenkt.

Der Schock, den der Zweite Weltkrieg in den USA hinterließ, führte rasch zum Aufbau einer elektronischen Verteidigungsindustrie, die über die Luftabwehrtechnologie zur Computerindustrie überleitete. Studierende des Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelten auf dem ersten außer Dienst gestellten Minicomputer PDP-1 das erste Computerspiel „Spacewar!“, das zur Keimzelle der Computerspielkultur wurde. Längst haben sich die auf Konsolen, Tablets, PCs und Handys vorherrschenden Spiele mit den interaktiven Bildern für die militärische Ausbildung und mit Rekrutierungssoftware wie „America‘s Army“ verschränkt. Führt man sich das Ausmaß all dieser virtuellen Dauerballerei, „Spec-Ops“ und virtuellen Territoriumskämpfe vor Augen, ist die Welt tatsächlich „a terrible mess“ (Donald Trump).

Der Begriff des Kriegs-Spiels lässt sich an Obszönität kaum überbieten, bedeutet das Eine doch Gewalt, Tod und entsetzlicher Schrecken, das andere die freie Entfaltung nach lustvoller eigener Vorgabe. Doch gerade an diesem Paradox entfaltet sich seit Jahrtausenden eine Kultur, die das Schreckliche bannt, verdrängt, symbolisiert, darstellt und in Technik umwandelt, sagt Martin Warnke (Computer-Kriegs-Spiele, oder: Eine Kultur der Gewalt; in: „Bilderschlachten“, 2009).

Alf Mayer

Ernst Strouhal (Hrsg.): Agon und Ares. Der Krieg und die Spiele. Schauplätze der Evidenz. Schriftenreihe des IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Wien, Band 3. Mit Beiträgen von Franz Ablinger, Philipp Bojahr, Gejus van Diggele, Mathias Fuchs, Stephan Günzel, Manfred J. Holler, Margarete Jahrmann, Larisa Kočubej, Helmut Lethen, Thomas Macho, Lydia Mischkulnig, Rolf F. Nohr, Ulrich Schädler, Liddy Scheffknecht, Adrian Seville, Ernst Strouhal und David Tartakover. Campus Verlag, Frankfurt 2016. Klappenbroschur. 397 Seiten, viele Illustrationen, 29,95 Euro. Verlagsinformationen.

Ebenfalls in diesem Zusammenhang empfehlenswert: der Dokumentarfilm „Krieg und Spiele“ von Karin Jurschick, BRD 2016, 90/bzw. 52 Minuten (TV-Fassung).

 

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