Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Alf Mayer: Der Grafiker Hans Hillmann

… Und: … Action!! …

So avant ist sogar der avant-verlag selten wie mit diesem Buch. Querformat. Leinen. Cinemascope. 264 Seiten. Bildspektakel. Klassiker. Ein Buch für die Schatzkammer. 

Johann Ulrich & Thomas Gilke (Hg.): Hillmann. Ein Zeichner und seine Welten. Text & Zeichnung: Hans Hillmann. Vorwort von Andreas Platthaus. Avant Verlag, Berlin 2020. 264 Seiten, 50 Euro.

Das Wahnsinnigste an diesem Buch: WIE hypermodern, wie umwerfend aufregend, wie lebendig, prall und wie radikal die Arbeiten des Zeichners, Grafikers, Illustrators und Plakatkünstlers Hans Hillmann (1925 – 2014) noch immer sind. 

Es ist die erste umfangreiche Monografie, die sich einem Künstler widmet, der bereits Anfang der 1980er die Graphic Novel, als dieser Begriff für die Gattung noch gar nicht erfunden war, zu einem einsamen Höhepunkt führte. Seine in siebenjähriger Arbeit entstandene Interpretation der Dashiell-Hammett-Novelle „Fliegenpapier“, 1982 durch Vermittlung von Franz Greno bei Zweitausendeins erschienen, ist immer noch atemberaubend modern und wird 2021 eine Deluxe-Neuausgabe beim avant-verlag und eine Ausstellung in Frankfurt haben.

Hans Hillmann kommt vom Film, so seltsam das für einen Grafikkünstler klingen mag. Bei ihm jedenfalls liegen diese Musen dauernd miteinander im Bett, viele seiner Bilder wirken wie einem ungeheuer rasanten Film entsprungen – sagen wir Peckinpah, in jenem Moment, in dem die bewaffneten Reiter durch die Glasscheiben des Westernsalons brechen, sagen wir Arthur Penn, wenn die Gewehrsalven Bonnie & Clyde zerfetzen, oder Sergio Leone, wenn in „Es war einmal in Amerika“ Robert De Niro seine in ein Bettzeug eingewickelte Schrotflinte abfeuert, oder Francis Ford Coppola, wenn Sterling Hayden als korrupter Cop in „Der Pate“ eine Bleiladung ins Gesicht bekommt. 

Noch während seines Studiums bei Hans Leistikow an der Werkakademie in Kassel wird er von Walter Kirchner angesprochen, der mit seinem Göttinger Filmverleih Neue Filmkunst das anspruchsvolle Autorenkino ins muffige Nachkriegsdeutschland holt. Schon bald erhält er den Gesamtauftrag für alle Filmplakate des Unternehmens. Wenn man sie heute sieht, wird auf der Stelle klar, wie avantgardistisch damals die Filme von Buñuel, Godard, Antonioni, Eisenstein, Kurosawa, Glauber Rocha oder Ingmar Bergman gewesen sind. Mehr als einhundertfünfzig Plakate hat Hillmann für Kirchner gestaltet – das hier besprochene Buch zeigt sie nicht, denn es beschäftigt sich mit dem Illustrator, nicht dem Plakatkünstler Hillmann. Es gibt dazu bereits Veröffentlichungen (siehe das P.S.), die entsprechende Ausstellung im Folkwang-Museum hieß „Der Titel wird im Bild fortgesetzt“.

Arbeiten für „twen“

Hillmann, 1959 zum Professor an die Staatliche Hochschule für Bildende Künste Kassel berufen. gestaltet 1963 bis 1965 die ersten Titelblätter der avancierten Zeitschrift „film“, erhält mehrfach die Auszeichnung „Das beste deutsche Plakat“, 1962 den Toulouse-Lautrec-Preis auf der internationalen Plakatausstellung in Paris. 1964 ist er auf der documenta III vertreten, im gleichen Jahr sorgt sein radikal minimalistisches Plakat für die „Kieler Woche“ international für Furore, und dies sind nur die ersten Stationen seiner Karriere.

Seine Arbeiten gehören zum Kanon der internationalen Designgeschichte, er entwickelt eine neue visuelle Sprache, die mit den Konventionen traditioneller Gestaltung bricht und neue Standards in Typografie und Bildästhetik setzt. Für seine Filmplakate arbeitet er mit Reduktion, mit Verfremdungen, Foto-montagen, unkonventioneller Flächenaufteilung und Typografie als Teil des Bildes. Seine Plakatmotive symbolisieren den Kern der Filme. Er sagt dazu: „Ich habe Bücher von Pudowkin und von Eisenstein gelesen. Und es war interessant, was sie über Filmmontage schrieben. Da hab ich gedacht, vielleicht kann ich das auch für die Grafik benutzen in gewisser Umformung. Das waren durchaus interessante Beiträge, überhaupt das ganze Denken in Montage.“

Das ganze Denken in Montage, das ist vielleicht überhaupt der zentrale Satz über Hans Hillmann. Mir begegnete dieser Ausnahmezeichner außerhalb der Kinos zuerst in der Zeitschrift „twen“, wo er mit kräftig hingetuschten Bildformeln in (zumeist) harten S/W-Kontrasten mit überwiegend doppelseitigen Aufmacher zu Kurzgeschichten u.a. von Alfred Andersch, Roald Dahl, Somerset Maugham oder Stanley Ellin in Erscheinung trat und das dann auch in der von Hans Magnus Enzensberger und Gaston Salvatore herausgegebenen Zeitschrift „TransAtlantik“ weiterführt. Goldene Zeiten der Zeitschriftengestaltung, und dann später noch einmal, anfangs der 1990er, beim leider kläglich versandeten und heute nur noch als Schickimicki-Anzeigenmedium aufgelegten Magazin der „Frankfurter Allgemeinen“.

Das von Johann Ulrich und Thomas Gilke (der auch für Gestaltung und Herstellung zeichnet) herausgegebene Buch zeigt uns Hillmann als Zeichner und Illustrator, darunter viele Arbeiten für das FAZ-Magazin, etwa die zwischen 1990 bis 1995 entstandenen Serien „Berühmte Liebespaare“, allesamt sehr expressiv, geradezu rahmensprengend, seien es Adele Sandrock & Arthur Schnitzler, Bonne & Clyde (wow!) oder Mussolini und seine Geliebte Claretta Petacci. Ein eigenes Kapitel entführt in Städte und Landschaften, Pamplona etwa, ganz expressiv, der Ätna, Venedig, immer wieder, dazu Nizza, Boston, New Orleans.  Und mitten drin, Seite 59, ein Blick wie von einem auf maximale Höhe ausgefahrenen Kamerakran hinunter auf einen Zebrastreifen, der von oben leicht schräg in die untere Bildhälfte führt. Ein Mann mit Aktenkoffer hat ihn gerade überquert, sitzt auf dem Hintern und stützt sich ab, die Füße gegen den Rinnstein gestemmt, als stünde er oben auf einem Hochhaus und würde in einen Abgrund schauen. Ein paar Meter weiter, rechts von ihm, hält sich eine Frau ebenfalls am Rinnstein-Mauerrand fest, während sie sich in den Straßenabgrund vorwärts tastet. Was für eine irre, buchstäblich ver-rückte Perspektive.

Andere Bilder haben einen Schattenwurf wie der wildeste Film noir. In der Reihe „Schwarzes Schaf“ begegnen wir dem Hauptmann von Köpenick, Fanny von Reventlow, Knut Hamsum oder Klaus Kinski. Der fläzt sich als zungenbleckender Stier mit rasiertem, bloßen Hintern auf einem breiten Bett, der Bettbezug unter dem Vieh besteht aus lauter Frauengesichtern.

Hyperrealismus wechselt mit Expressivem. Bewegung mit Gefrorenem. Hillmanns Tableaus sind dynamisch. Seine Figuren raufen, kämpfen, tanzen, stampfen, dampfen. Seine Bilder sprühen Kraft, manche wirken wie eben frisch mit Tinte gespritzt. Das mit Unterstützung von  Rosa Marlies Hillmann, der Witwe des verstorbenen Grafikers, entstandene Buch lässt uns ganze Sequenzen miterleben und auf den Zeichentisch und in das Skizzenbuch sehen. Wahrlich eine Begegnung in Bewegung. Hillmann selbst dazu:

„Der Illustrator sollte sich jede einzelne der Phasen vorstellen, die sich wie ein Stück Film im Kopf projizieren, dabei beobachten, wie sich die Bilder verändern, wie sie die Personen nacheinander in andere Räume, vor wechselnde Hintergründe stellen. Es empfiehlt sich, den Vorgang mehrmals zu wiederholen, um Varianten der Wege, der Räume zu prüfen – soweit der Text das nicht festlegt –, auch um die so gefundenen Zwischenphasen aus unterschiedlichen Blickrichtungen und in wechselndem Licht und Schatten zu sehen.“ Durch dieses Vorgehen, so hat er die Erfahrung gemacht, „können Bildideen provoziert werden, die nicht entstanden wären, wenn man in einem zu oberflächlichen Verständnis von Werktreue dem Text gefolgt wäre. Außerdem ist es eine Arbeit, die das Vorstellungsvermögen fordert und fördert – eine der wichtigsten Voraussetzungen für diesen Typ der Illustration.“

Und auch:

„Das Verfahren, statt einer Idee möglichst viele zu produzieren, ist nicht nur anregend, versetzt einen in euphorische Stimmung und kann dann zu weiteren, möglicherweise noch besseren Einfällen verleiten, es bietet noch andere Vorteile: man kann die eigenen Ideen in Konkurrenz zueinander sehen und dann die jeweiligen Vor- und Nachteile der Vorschläge besser erkennen, als wenn man sich ständig mit einem einzigen Erzeugnis beschäftigt.“

Ein Buch wie eine Fahrt auf dem Nürburgring oder die steilen Straßen San Franciscos hinab. Oder sagen wir: ein Kinobesuch, breiteste Leinwand, roter Sessel, geilster Film.

Alf Mayer

P.S. Die Neue Filmkunst, der Verleih von Walter Kirchner, nahm die Arbeit am 30.1.1953 in Göttingen auf. Am gleichen Tag startete die Sartre-Verfilmung „Die schmutzigen Hände“, der erste Film, den die Firma in den Verleih nahm, im Frankfurter Luxor-Kino am Hauptbahnhof. Kirchner hatte seit 1947 den studentischen Filmclub der Universität Göttingen geleitet und ermöglichte beispielsweise die deutschen Erstaufführungen von „La belle et la bête“ (1946), „La dolce vita“ (1959), „Los Olvidados“ (1950) oder „Roma città aperta“ (1943-45) sowie die Wiederaufführungen von Fritz Langs „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) oder „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925).  Neben dem Duisburger Atlas-Verleih wurde die Firma zum wichtigsten Verleiher der Filme der verschiedenen internationalen Neuen Wellen und des Autorenfilms. Profil gewann der Verleih auch durch die Filmplakate von Isolde Baumgart – auch sie wäre einmal eine Monografie wert – und Hans Hillmann oder Jan Lenica. Kirchner begann schon früh, umfangreiche und oft analytisch interessierte Programmhefte zu den Filmen zu vertreiben. (Ein antiquarisches Angebot hier, geradezu ein Schnäppchen.) Kirchner versuchte, die Kette der Lupe-Kinos zu übernehmen, musste aber 1974 Konkurs anmelden. 1976 gründete er die Lupe GmbH, um die verbliebenen Filmrechte weiter auszuwerten, an die 200 Filme von heute klassischen Autoren wie Antonioni, Bergman, Fellini und Pasolini.

Im Museum Folkwang in Essen gab es 2013 eine Ausstellung der Hillmann’schen Filmplakate. Der Katalog dazu: Der Titel wird im Bild fortgesetzt – Filmplakate von Hans Hillmann. Edition Folkwang 2013, 127 Seiten.

Ebenfalls behandelt wird Hillmann in: 
Jens Müller, Karen Weiland (Hrsg.): Film Kunst Grafik – Ein Buch zur neuen deutschen Filmgrafik der sechziger Jahre. Deutsches Filmmuseum, Frankfurt 2008, 366 Seiten.
Jens Müller (Hg.): Hans Hillmann – Das visuelle Werk. Lars Müller Publishers, Zürich 2009, 128 Seiten.

Eine Übersicht seiner Filmplakate hier.
Ein Interview dazu hier.
Ein Hillmann-Comic & Jazz-Konzert von Itay Dvori und dem yam yabasha ensemble gab es 2016. Trailer dazu hier.


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