Geschrieben am 1. Juni 2013 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Alf Mayers Blutige Ernte: Alkohol im Kriminalroman. Teil V

Alkohol im Kriminalroman – unsere Serie, heute Teil V, von Alf Mayer geht fröhlich weiter …

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERAGnädig beduselt die Welt ertragen

Charles Ray Willeford III, Jahrgang 1919, der als Vollwaise aufwuchs und, minderjährig, zu Depressionszeiten als Hobo durch die USA trampte, ging mit 16 zur Armee, verpflichtete sich auf 20 Jahre, landete bei der Kavallerie, war auf den Philippinen stationiert, ehe er im Zweiten Weltkrieg – Pferde gegen Hitlers Panzer schienen dann doch keine so gute Idee – als Panzerkommandant in Pattons Dritter Armee bei der 10th Armored Division in Europa an der Front kämpfte, unter anderem bei der „Battle of the Bulge“, beim Zurückschlagen der Ardennenoffensive (Nazi-Euphemismus: „Wacht am Rhein“) wie auch beispielsweise bei der Eroberung von Trier, und dabei ein halbes Dutzend Orden sowie einige Schrapnellwunden einsammelte. Seine Autobiographie „Something about a Solider“ (1986) ist ein Dokument der Lakonie:

„The abnormal becomes normal in combat. You do lots of things without thinking – if you thought at all about getting hit, you wouldn’t be able to function. You become something of a Schopenhauer fatalist; if it’s your time to get hit there’s nothing you can do about it, so that’s that. I was actually enjoying what I was doing.“

Willeford lernte sozusagen für seine spätere Zeit als Autor.

„A good half of the men you deal with in Army are psychopaths. There’s a pretty hefty overlap between the military population and the prison population, so I knew plenty of guys like Junior in ‚Miami Blues‘ and Troy in ‚Sideswipe‘.“

51gtVgNkXmL._SY300_Willeford becherte gerne, aber er war ein eher harter Hund. Mit einem weichen Herzen. Ein Produkt der Kriegsgeneration, eine Kollege von Chandler, James M. Cain und John MacDonald (siehe Teil IV), auch in seinen Romane spiegelt sich das schwierige Verhältnis zu den Frauen, ein klein wenig weniger neurotisch als bei Jim Thompson (siehe ebenfalls Teil IV), aber immer noch heftig genug, um alkoholisch mildernde Begleitumstände reklamieren zu müssen und zu wollen. Sein erster Roman, „High Priest of California“ (Royal Books, New York 1953), erreichte mit folgendem Cover-Blurb eine Auflage von 151.000: „A roaring saga of the male animal on the prowl“/„The world was his oyster—and women his pearls!“

170px-PickUpCoverWilleford: Ein Barkeeper als Hauptfigur

Sein zweiter Roman „Sperrstunde“ (Pick-up) von 1955 hatte einen Barkeeper als Hauptfigur, nach der Arbeit geht der erst mal einen trinken. „Mein Name ist Harry Jordan“, stellt er sich der Frau vor, der er in „seiner“ Kneipe drei Kaffee serviert und auf eine Bezahlung verzichtet hatte, weil er sie ohne Handtasche hereinkommen und ihre Not gesehen hatte und nun mit ihr an einer anderen Theke steht.

„Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, und wenn ich nicht arbeite, trinke ich.“ Sie antwortet: „Mein Name ist Helen Meredith. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt, und ich arbeite überhaupt nicht. Ich trinke dauernd.“ Er nimmt sie mit in seine Bleibe, eine Pension. „Sie war die attraktivste Frau, die mir seit Jahren begegnet war. Die Tatsache, daß sie Alkoholikerin war, störte mich nicht. In gewisser Hinsicht war ich selbst Alkoholiker. Sie scheute sich nicht zuzugeben, dass sie soff; sie war sich dessen wohlbewusst und sie hatte nicht die Absicht aufzuhören. Sie hatte mir nicht erst sagen müssen, daß sie soff. Einen Alkoholiker erkenne ich innerhalb von zwei Minuten.“

Am nächsten Tag gehen sie wieder miteinander aus, ziehen durch die Bars von San Francisco. Und dann gibt es, 1955, in einem Pulp-Roman, eine ziemlich erotische Stelle – auch das gehört zu den Annehmlichkeiten des Alkohols, seine streckenweise erotisierende Wirkung. Harry also, mit Helen in der Bar:

„Aber eins will ich klar stellen“, sagte ich: „Ich werde dir nie sagen, daß ich dich liebe.“
„Das Wort bedeutet sowieso nichts.“
„Ich hätte nicht gedacht, daß ich das einmal von einer Frau hören würde. Aber es ist wahr. Die Liebe ist in dem, was du tust, nicht in dem, was du sagst.“
Vorsichtig raffte ich den Saum ihres Rockes mit den Fingern zusammen, bis der Saum über das Knie hochgerutscht war. Mit der Hand drückte ich das warme Fleisch über dem Rand des Strumpfes. Es war so weich, wie nur ein Frauenschenkel weich sein konnte. Sie spreizte die Beine unter meiner Berührung ein wenig und nippte an ihrem Glas. Ich versuchte, ein bißchen höher zu kommen, und sie klemmte meine Hand zwischen den Knien fest.
„Immerhin, Harry“, tadelte sie, „sind wir hier nicht allein, weißt du.“
Ich nahm die Hand von ihrem weichen Schenkel, und sie zog den Rock wieder herunter und lächelte mich mitfühlend an.

miami-blues„Mitfühlend“, bei Charles Willeford, diesem wirklich großen Autor der metaphysisch-direkten Kriminalliteratur, dessen Nase in späteren Lebensjahren von gehöriger Zecherei erzählte, finden sich immer wieder kleine Spuren jener Sehnsucht nach Berührung, nach Frieden zwischen Mann und Frau. Dem Kulturwissenschaftler Leonard Cassuto war ein Kochrezept in Willefords „Miami Blues“ (1984) der Anlass zu einer Studie über die „Hard-Boiled Sentimentality. The Secret History of American Crime-Stories“ (Columbia University, NY 2009).

Harry und Hellen landen im Bett, aus der Affäre wird eine Obsession, wird eine Beihilfe zum Selbstmord, wird eine Anklage wegen Mordes. Wider Erwarten wird Harry freigesprochen, als er hinaustritt in den Regen, folgt die vorletzte Zeile dieses Romans. Damals schockierte sie bis ins Mark. Solch ein Protagonist war 1955 ein Tabu- und Kulturbruch. Willeford schrieb:

„Aber der Regen ließ nicht nach; allenfalls wurde er noch heftiger. Ich verließ den Schutz der Markise und ging bergauf durch den Regen. Bloß ein großer, einsamer Neger. Im Regen.“

9780393315400Und noch einmal: Schwarzer Mann, weiße Frau

Im gleichen Jahr, 1955, erschien ein weiterer Roman mit ähnlichem Kontext und Ende. Eine weiße Frau, ein schwarzer Mann im Hotel, eine Trinkerbeziehung, ein gewaltsamer Tod. „The End of a Primitive“ besiegelte das Exil von Chester Himes, der Amerika den Rücken drehte, weil er als ein politisch bewusster Schriftsteller keinen Boden sah. Es war der Roman, der für Chester Himes den Übergang von einem Autor des Protestes zu einem Kriminalautoren einleitete. Himes über sein Buch:

„I put a sexually frustrated American woman and a racially-frustrated black American male together for a weekend in a New York apartment, and allowed them to soak in American bourbon. I got the result I was looking for: a nightmare of drunkenness, unbridled sexuality, and in the end, tragedy.“


Charles Willeford, der sich immer wieder mit dem gerade mal zehn Jahre älteren Himes beschäftigte, benannte 1988 in seinem Text „Chester Himes’ Novels of Absurdity“ (versammelt in seinem „Writing & Other Blood Sports“; Dennis McMillan, Tucson 2000) die Produktionsumstände von „The Primitive“:

„Thanks to a small advance for a collection of short stories, Himes rented as small apartment in Mallorca, and with the aid of speed (Dexamyl) wrote one of his most popular novels, ‚The Primitive‘. When Himes drank, and he drank a good deal at this period of his life, he suffered blackouts, often for hours, although to the people around him he seemed to be acting normaly. He was able to incorporate these blackouts into the text of ‚The Primitive‘, as well as some of his finest surrealistic sequences, thanks to speed.“

books_roundup-6724Zwei Intellektuelle sind die Hauptfiguren in Himes’ Roman. Kriss ist eine weiße Frau ohne moralische Skrupel oder Vorurteile, sie arbeitet bei einer New Yorker Stiftung, und sie mag Schwarze. Himes gibt ihr Affären mit 87 Männern und eine gescheiterte Ehe mit einem weißen Homosexuellen. Seit ihrer Scheidung kann sie es nicht mehr ertragen, alleine aufzuwachen, und sie trifft auf Jesse Robinson, einen schwarzen Schriftsteller, Autor zweiter Protest-Romane, mit denen er künstlerischen, aber keinen kommerziellen Erfolg hatte.

Er lebt von einem Vorschuss auf ein drittes Buch, als sein Manuskript abgelehnt wird, durchwandert er New York in einem alkoholischen Blackout, erinnert sich an Kriss, ruft sie an und besucht sie mit mehreren Flaschen Schnaps. Zusammen flüchten sie sich in den Suff, verbringenden ein halluzierendes Wochenende. Als Jesse aufwacht, findet er eine nackte Kriss mit einem Messer im Herzen, ruft das Polizeihauptquartier an: „I’m a nigger and I’ve just killed a white women.“

3293204619Die Harlem-Romane: „Keine inneren Monologe, nur action“

Mit einem Tausend-Dollar-Vertrag überzeugte Marcel Duhamel, Lektor der „Serie Noir“ bei Gallimard, Himes damals dann von einer Zukunft als Kriminalautor. Er würde ja, wenn er wüsste, wie, entgegnete Himes. Fang damit an, dass einer etwas tut, ein Mann öffnet eine Tür, Licht scheint in seine Augen, eine Leiche liegt auf dem Boden, er dreht sich um … Immer Aktion im Detail, bildhaft, entgegnete ihm Duhamel. Keine inneren Monologe, nur Action. Willeford beschreibt die (von Himes Bruder Joe überlieferte) Szene so:

„Like motion pictures. Always the scenes are visible. No stream of consciousness at all. We don’t give a damn who’s thinking what – only what they’re doing. Always doing something. From one scene to another. Don’t worry about making sense. That’s for the end. Give me 220 typed pages.“

In Willefords Magisterarbeit von 1964, die später als „New Forms of Ugly: The Immobilized Hero in Modern Fiction“ veröffentlicht wurde, steht Chester Himes an zentraler Stelle. Die Marotte des Miami-Polizisten Hoke Mosley, in einer mit Handschuhleder verstärkten Jackentasche mit ein paar Patronen zu spielen, ist eine Verneigung vor Chester Himes, dessen Harlem-Detektive Coffin Ed Johnson und Grave Digger Jones ebensolche Lederverstärkungen in ihren Taschen hatten.

„Hoke always carried several loose .38-caliber tracers in the outside pocket of his jacket, and he’d lined it with glove leather for this purpose.“

imagesWillefords eigene Ambivalenz dem Genre gegenüber äußert sich in „New Forms of Ugly“ deutlich; er fand, Himes hatte sich mit seinen Harlem-Romanen als Künstler ausverkauft, und fürchtete, dass man das auch über ihn sagen könnte. Zu seiner Serie mit Hoke Mosley musste er überredet werden, ursprünglich hatte er in dem nie veröffentlichten Manuskript „Grimhaven“, das auf „Miami Blues“ folgen sollte, den Detektiv seine beiden Töchter umbringen und dann die Hinrichtung erwarten lassen. Die letzte Zeile dort: „Waiting for absolutely nothing.“

Willeford beschrieb Himes als „highly skilled craftsman; his narrative was swiftly paced, and he had a superb ear for dialogue. In recent years, however, Himes quit writing serious novels. He lived in France, and was engaged in writing a series of comic mystery novels featuring two Harlem detectives … These mysteries, as good as they are, and they are very good, were an unhappy compromise for one of our most talented American novelists.“

Memorial to American writer Chester Himes on Moraira Castle Beach, Spain.

Memorial to American writer Chester Himes on Moraira Castle Beach, Spain.

Chester Himes: „Writing some strange shit“

Himes hielt sich für seine Noir-Romane an zwei Polizisten, die er in Los Angeles gekannt hatte. „I was writing some strange shit“, sagt er in seiner Autobiografie. Oder wie Grave Digger einmal meint: „So much nonsense must make sense“ (Cotton Comes to Harlem). Himes:

„My mind saw the world as a cesspool of buffoonery. Even the violence was funny. A man gets his throat cut. He shakes his head to say you missed me and it falls of. Damn reality, I thought. All of reality was absurd, contradictory, violent and hurting. It was funny, really. If I just get the handle to joke. And I got the handle, by some miracle. The only time I was happy was while writing these strange, violent unreal stories. I accepted them to myself as true: I believed them to be true as soon as they sprang from my thoughts. The Harlem of my books was never meant to be real; I never called it real; I just wanted it to take away from the white man if only in my books. So I was happy writing my ‘Serie Noire’ stories, and besides they permitted me to live.“

In seiner Autobiografie, „My Life of Absurdity“ (1976) liest sich das so:

„And I thought I was writing realism. It never occurred to me that I was writing absurdity. Realism and absurdity are so similar in the lives of American blacks one cannot tell the difference.“

41bENCaxtcL._SY300_Der junge Chester Bonmar Himes (1909–1984) war in seiner Jugend ins kriminelle Milieu von Cleveland geraten, hatte in der Prohibitionszeit (siehe Teil II) mit Spielern, Prostituierten und Gangstern zu tun, jobbte im Gilsy-Hotel und verdiente sich auch mit dem illegalen Alkohol ein Zubrot. Nach einigen Bewährungstrafen wurde er 19-jährig Ende 1928 wegen eines bewaffneten Raubüberfalls zu 20 bis 25 Jahren Haft bei harter Arbeit verurteilt und in das Staatsgefängnis von Ohio eingewiesen. Dort begann er zu schreiben, es gelang ihm, erste Kurzgeschichten zu veröffentlichen. 1930 wurde er Zeuge eines Gefängnisbrandes, bei dem mindestens 320 Häftlinge starben, thematisiert in seiner Erzählung „To What Red Hell“ und dem Gefängnisroman „Yesterday Will Make You Cry“.

In seinen Harlem-Romanen sind Bars, Spielhallen, Drinks und Fusel und alle möglichen Drogen selbstverständlicher Alltag. Seine Charaktere heißen Chink Charlie, Baby Sis, Reverend Short, Valentine Haines, Deep South, Mamie Pullen, Dulcy, Pigmeat, Poor Boy, Doll Baby, Alamena, und natürlich die Detektive Grabschaufler und Sargfüller.

Sein Roman „Pinktoes“ (1961, dt. als Schwarzer Samt in heissen Nächten) hat folgenden Anfang: „In no other city in the world are there more liquor stores, more churches, more brothels, more lies than in Harlem …“

In „If He Hollers Let Him Go“ heißt es über eine Frau:

„She had a husky liquor voice with queer undertones and she wasn’t even half pretty. But there was an animal sleeping in her …“ In „The Crazy Kill“ (1959, dt. Fenstersturz in Harlem, bearbeitete von Manfred Görgens, Unionsverlag 1998), wird der Eintritt in eine Bar so beschrieben: „…Inside it was cool, and so dark he had to take off his sun glasses on entering. The unforgettable scent of whisky, whores and perfume filled his nostrils, making him feel relaxed.“

„A Rage in Harlem“ (Die Geldmacher von Harlem), mit dem Himes loslegte, errang sogleich in Frankreich 1958 den prestigeträchtigen „Grand Prix de la literature“. Ein Zitat aus dem Roman:

Two rough-looking men jumped about the floor, knocking over chairs and tables, cutting at one another with switchblade knives. The customers at the bar screwed their heads about to watch, but held on to their places and kept their hands on their drinks. The whores rolled their eyes and looked bored.

One joker slashed the other’s arm. A big-lipped wound opened in the tight leather jacket, but nothing came out but old clothes – two sweaters, three shirts, a pair of winter underwear. The second joker slashed back, opened a wound in the front of his foe’s canvas jacket. But all that came out of the wound was dried printer’s ink from the layers of old newspapers the joker had wrapped around him to keep warm. They kept slashing away at one another like two rag dolls battling in buck dancing fury, spilling old clothes and last week’s newsprint instead of blood.
The customers laughed.
„How them studs goin’ to get cut?“ someone remarked. „Might as well be fightin’ old ragman’s bag.“
„They ain’t doin’ nothin’ but cheatin’ the Salvation Army.“
„They ain’t tryin’ to cut each other, man, Them studs know each other. They just tryin’ to freeze each other to death.“

In „Lauf, Mann lauf“ (Run Man Run) erschießt ein schlechtgelaunter und halbverrückter Polizist, der die Nacht bei einer Hure verbracht hat, zwei farbige Angestellte der Nachtschicht, weil sie eben, wie es der Zufall will, gerade da sind. Der dritte kann entkommen, er wird schwer verletzt und gleich in eine Zwangsjacke gesteckt, weil er behauptet, ein weißer Polizist habe auf ihn geschossen. Um diesen Zeugen zu beseitigen, wird der trunksüchtige Polizist immer rabiater, wird zu einem von Rassenhass und Alkohol verrückt gewordenen Amokläufer …

AGameForTheLivingPatricia Highsmith: Die hasserfüllte Ehe in der Zeit des Kalten Krieges

Ebenfalls durchaus etwas übrig für kosmische Scherze – was ja nur eine Umschreibung für eine an der Welt verzweifelnde Haltung ist – hatte auch Patricia Highsmith, Jahrgang 1921. Einmal wohnte sie sogar Tür an Tür mit Chester Himes: in der Yaddo Art Colony in Saragota Springs, New York. (siehe Artikel bei kaliber38). Ihr erster Roman, „Strangers on a Train“, erschien 1950 und gleich schon fand sie sich als Krimischriftstellerin etikettiert, „which means also to find oneself fated to no more than three-inch long reviews in the newspapers, squeezed in among good and bad books which get the same brief treatment – and by bad books, I mean the books of careless hacks“.

Sie gilt als europäische Autorin, lebte dort auch die meiste Zeit ihres Lebens, aber ihre Romane sind pures Nachkriegsamerika (siehe Teil IV), ihr wiederkehrendes Thema: „Showing the American’s everyday or garden variety of schizophrenia“, wie David Cochran in „America Noir. Underground Writers and Filmmakers of the Postwar Era“ (2000) schreibt.

In „Game for the Living“ beschreibt Highsmith ihren Protagonisten Theodore so: „He believed the world had no meaning, no end but nothingness, and that man’s achievements were finally all perishable – cosmic jokes, like man himself … Theodore thought he was as happy as anyone logically could be in an age when atomic bombs and annihilation hung over everybody’s head.“

Vieles in Highsmiths Werk kann als Metapher des Kalten Krieges gelten. Im „Zittern des Fälschers“ (1969) lernt der amerikanische Autor Howard Ingham in einem tunesischen Küstenort einen Landsmann kennen. Francis Adam sieht sich als „unofficial ambassador for America, I spread goodwill and the American way of life“, was den sardonischen Howard sofort an Vietnam denken lässt. Was die Amerikaner dorthin exportieren, denkt er, ist das „capital system in the form of the brothel industry, and the American class system by making Negroes pay higher for their lays“. Einen Einbrecher erschlägt er mit seiner Schreibmaschine, ohne ein besonders schlechtes Gewissen zu haben – ein sozusagen privater Spiegel der Grausamkeiten und des zivilisatorischen Verlustes in Vietnam.

Der Highsmith-Standard-Plot, das sind zwei Charaktere gefangen in einer „dreadful marriage of hate“ – wie der Publizist I.F. Stone einmal das Verhältnis der USA und der Sowjetunion im Kalten Krieg beschrieb. Keine schöne Realität. Patricia Highsmith war zeitlebens eine schwere Trinkerin. „Pat sah aus wie Mischung aus Prinz Eisenherz und Rudolf Nurejew. Sie rauchte Gauloises und trank ihren Gin pur“, beschreibt Marijane Meaker in „Meine Jahre mit Pat“ (Diogenes, 2005) ihr Kennenlernen.

Georges Simenon, 1963, Foto von Erling Mandelmann

Georges Simenon, 1963, Foto von Erling Mandelmann

Simenon: „Gerade noch knapp kein Alkoholiker“

Müsste er fliehen und könnte er nur einen seiner Romane mitnehmen, dann wäre dies „Drei Zimmer in Manhattan“, antwortete Simenon auf die Frage nach dem ihm wichtigsten Buch. Es ist aus dem Jahr 1946, auf Deutsch erschien es erstmals 1959. „Es ist die – von Sentiment und Alkohol geprägte Geschichte eines Mannes, der all seine Glückssehnsucht auf eine Frau projieziert und konzentriert.“ Francois Combe, gerade in New York angekommen, abends in einer Bar eingekehrt und dort eine Frau kennengelernt, hat sich in sie verliebt, geradezu maßlos verliebt.

„Er war glücklich. Er schwamm im Glück. In einem Glück, das morgen, in einigen Tagen beginnen würde, vorerst aber in einer Angst bestand, weil er eben jenes Glück noch nicht in Händen hielt und grauenvolle Angst davor hatte, es zu verlieren „Im Grunde wusste sie immer noch nicht, dass er sie liebte. Sie konnte es gar nicht wissen, nachdem er selbst es erst vor ein paar Stunden entdeckt hatte.“ – Von ihm aus könnte alles sofort losgehen. – „Er hätte am liebsten gelacht. Es war ein wenig grotesk. Sie hinkte mit ihrer armen Liebe so sehr hinter seiner Liebe her, die sie noch gar nicht ermessen konnte und die er ihr schenken wollte.“

Diese fast schon delirierenden Gefühlsergüsse kontrastiert der Autor mit einer Beobachtungsgabe der eigenen Art. Durch den ganzen Roman zieht sich ein Blick auf den Rest der Welt, der mit höchster Aufmerksamkeit all die Spuren des Trinkens und des Alkohols rings um die Hauptfigur registriert. Schon auf den ersten Seiten sinniert der Protagonist, nachts um drei aus dem Bett gesprungen und ruhelos auf die Straße gegangen, über seine Nachbarn:

„Was tranken sie zum Abendessen? Jedenfalls wohl so einiges, vor allem Winnie, denn ihre Stimme wurde bald tiefer und klangvoller.“ Er konnte sich „das unordentliche Atelier vorstellen, in dem häufig ein zerbrochenes Glas auf dem schwarzen Fußboden lag“. Dann sieht er an einer Kreuzung die Gäste eines gerade schließenden Nachtclubs auf ein Taxi warten: „Zwei Männer, die zu viel getrunken hatten, konnten sich an einer Straßenecke einfach nicht trennen, drückten einander immer wieder die Hand, gingen ein paar Schritte in verschiedene Richtungen, kamen aber gleich darauf wieder aufeinander zu, um sich ein letztes Geheimnis anzuvertrauen oder sich gegenseitig noch einmal ihrer Freundschaft zu versichern.“ Er geht in eine Bar, absichtslos setzt er sich neben eine Frau. Es ist die, in die er sich verlieben wird …

„Ich vermied es gerade noch so, ein Alkoholiker zu werden“, fasste Simenon in „Als ich alt war“ in einem Eintrag von 1961 seine Jahre in den USA zusammen, er hatte sich dort von 1945 bis 1955 niedergelassen. „Gewisse Leute haben mich mit Rotwein arbeiten sehen, andere mit Apfelmost, Muscadet, Whisky, Grog, mit was weiß ich noch alles. Wer mich betrunken gesehen hat, wird mich immer betrunken sehen, für das Gegenteil gilt das gleiche.“ Mit seinen Maigret-Romanen gewöhnte er sich das Weintrinken an, kam Anfang der 40er Jahre dann auf täglich drei Flaschen Claret.

„Betrunken aber war ich selten“, reklamierte er. „Ich brauchte, besonders zum Schreiben, schon am Morgen einen Aufwecker, und ich war der Ansicht, dass ich anders nicht schreiben könnte. Jenseits der Arbeit trank ich alles, Aperitifs, Cognac, Calvados, Marc, Champagner.“
In Amerika gewöhnte er sich Cocktails mit Gin an, und vor allem Scotch Whisky, und betrat eine Welt, „einen besonderen, beinahe dauerhaften Zustand, in dem man vom Alkohol bestimmt wird, ob es in den Stunden des Trinkens ist oder jenen, in denen man ungeduldig auf das Trinken wartet, beinahe ebenso schmerzerfüllt wie ein Drogenabhängiger auf seinen Schuss. Wer diesen Zustand nicht kennt, wird das Leben in Amerika kaum verstehen. Nicht jeder trinkt, aber … die Massen werden weniger anonym, die Bars wirken anders als schlecht beleuchtete Orte, die Taxifahrer werden freundlicher und Leute weniger bedrohlich.“

Alkohol als kreativer Impuls, sagt der Psychiater

Simenons Sohn John erinnert sich, wie sein Vater in den Sechzigern in der Schweiz oft und oft betrunken war, manchmal zwei Monate trocken, dann wieder alle mit seinen Gewaltausbrüchen und Alkoholausbrüchen erschreckend, mit Gläsern werfend oder einem Teller voller Spaghetti.
Der Schweizer Psychiater Dr. Pierre Rentchnick weigerte sich, Simenon einen Alkoholiker zu nennen: „Georges hat den Alkohol für seinen kreativen Impuls benutzt.“ Im Lauf seines Schriftstellerlebens stieg Simenon in viele Abgründe, die große Politik kommt kaum vor bei ihm, es ist das Seelenleben seiner Protagonisten, das die Größe seines Werkes ausmacht. Das jüngst erschienene Diogenes-Magazin hält ein Interview des Literaturwissenschaftler Carvel Collins bereit, das dieser 1955 auf Simenons damaligem Anwesen in Connecticut führte.

„Wenn ich einen Roman begonnen habe“, erklärt darin Simenon, „schreibe ich jeden Tag ein Kapitel und lasse nie einen Tag aus. In dieser Zeit treffe ich keine Verabredungen, rede mit niemandem und gehe nicht ans Telefon. Den ganzen Tag lang bin ich eine meiner Figuren. Ich fühle, was sie fühlt … Die meisten meiner Romane zeigen, was um einen bestimmten Menschen herum geschieht. Die anderen Figuren erscheinen nur, wie er sie sieht. Deshalb muss ich in seiner Haut stecken. Und das ist nach fünf oder sechs Tagen kaum noch auszuhalten. Das ist einer der Gründe, warum meine Romane so kurz sind.“

In seinem großen Interview mit fünf Ärzten („Simenon auf der Couch“) bietet der große Alkohol- und Frauenfreund eine Rechtfertigung seines Lebenswerkes und nennt dabei Maigret einen  „redresseur des destins“ (Ausbesserer der Schicksale):

„Ein Schriftsteller kann seinem Leser nur helfen, wenn er ihm vor Augen führt, dass jeder Mensch seine Licht- und Schattenseiten hat, deren er sich mehr oder weniger schämt … Ich möchte meinen Lesern zeigen, dass die persönlichen Dramen, mit denen sie sich herumschlagen, nicht alleine die ihren sind und dass viele andere Menschen unter den gleichen Qualen leiden, sogar Menschen, die man lieben kann …“

Um die Welt sich gnädig zu stimmen, da hilft er sicher oft, der Alkohol. Das wussten sie alle, die Protagonisten dieser heutigen Vorstellung.

Fortsetzung folgt: Mit Ed McBain, Joseph Wambaugh, Kent Anderson, James Ellroy, Jerome Charyn … und später noch James Crumley, Lawrence Block, James Lee Burke, David Blettenberg u. a.

Hier geht es zu Teil I, Teil II, Teil III und Teil IV.

Alf Mayer

Foto Rum: wikimedia commons. Himes Memorial, wikimedia commons, public domain.

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