
Du Feix-it Austria
In Österreich kennt jedes Schulkind Franz Grillparzer und dessen Stück „Der Traum ein Leben“, das zur Schulbuchlektüre gehört (vielleicht auch nur gehörte). Ob sich Antonio Fian, den man in Deutschland auch kaum kennt, mit seinen Träumen in Grillparzers Tradition stellt, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass seit vielen Jahren, im Gefolge der österreichischen Anschlussfähigkeit an das nördliche Reich, darüber debattiert wird, ob es eine österreichische Literatur gibt, die eben nicht (nur) deutsch, sondern a bisserl mehr ist. Fian gibt Nachrichten von diesem „mehr“, in Österreich ist er ein Star unter Sprachfexen, die sich über seine Dramolette zerkugeln.
Die erste Hälfte seines Buchs handelt von mehreren Träumen, so absurd, doppelbödig und todesnah, wie das angeblich typisch österreichisch ist. Fians „NACHRICHTEN AUS EINEM TOTEN HOCHHAUS“ – aus guten Gründen in Blockbuchstaben auf dem Titel, fängt schon heiter an, mit einem Text, der in einer Sterbeklinik spielt, changierend zwischen realistisch klingenden Szenen und geträumtem Irrsinn erzählt er von dem Anruf eines toten Freundes, der Zigaretten braucht, vom geschrumpften Großvater und der noch nicht ganz toten Elfriede Gerstl, von Panik und Mord.
Es könnte sein, dass Fians Humor, böse, widersprüchlich, heiter entlarvend, im protestantischen Teil des großen nördlichen Nachbarn nicht verstanden wird, weil alles mehrdeutig, oder wie Qualtinger gesagt hätte, hintergründig ist. Idyllische Passagen schlagen in Szenen um, die den Kennern österreichischer Verhältnisse als echte Gräuel vertraut sind.
„Das gerade an die Macht gekommene Regime ließ massenhaft Menschen verhaften und, nachdem sie in Schnellverfahren abgeurteilt worden waren, ermorden.“ Gehört das noch zu den Träumen oder zu den Gespenstern, die er in seine irritierende Assoziationen hineinwebt, stets haarscharf am Horror und ebenso haarscharf an einer Wirklichkeit vorbei, die hinüber fließt in Phantasien, von denen jeder Zeitungsleser weiß, dass sie von real existierenden Entwicklungen gespeist sind. Die Traumgeschichten brechen mit dem Aufwachen ab, es gibt keine Lösung und keine Pointe, Fian lässt seine Leserin mit lauter unbeantworteten Fragen … tja was? Allein? In der Luft hängen? Seine Sprache ist bei all den Grausamkeiten so schön, dass die Rezensentin keine Worte findet, um diese Spannung zu erklären. Man sollte die Geschichten in kleinen Portionen lesen, jeden Abend vor dem Einschlafen eine – damit sich nicht zu viel davon in die Träume einschleicht.
Die zweite Hälfte des Buchs nähert sich der österreichischen Geschichte und Gegenwart essayistisch. Die Zugfahrt entlang der Mur-Mürz-Furche würfelt die alte braune und die jüngere blaue Realität des netten kleinen Landes durcheinander. Bilde ich‘s mir nur ein oder höre ich Anklänge an Herzmanovsky-Orlando, auch so ein sehr österreichischer Autor, der mit dem Zug durch die Steiermark fuhr? Wenn Sie immer schon mehr über österreichische Literatur wissen wollten, treffen Sie hier auf Werner Kofler, Ernst Jandl, Elfriede Jelinek, Elfriede Gerstl, österreichische Literatur und österreichische Skandale verheddern sich in einem Monolog, der zwar skurril klingt, aber von den tatsächlichen Pleiten in Jörg Haiders schönem Kärnten handelt. Eine weitere Geschichte spielt im ungarischen Pécs, wo sich das titelgebende tote Haus oder Totenhaus befindet – oder vielleicht doch nur hingedichtet wurde. Der Aufenthalt als eine Art Stadtschreiber bietet Gelegenheit, um nicht nur Werner Kofler zu ehren, sondern auf schon bestehende und noch zu erwartende Blödheiten in Literaturbetrieb und Universitäten anzuspielen.
Nichts ist eindeutig, der Autor widerspricht sich oder widerspricht der Wahrnehmung, von der er gerade erzählt hat, und bis zum Schluss war mir nicht klar, ob diese Texte eher von absurden Geschichten oder von Absurditäten der Geschichte berichten. Auch was man ohne tiefere Kenntnis des kleinen südlichen Nachbarn vielleicht im nördlichen Deutschland nicht versteht ist herrlich zu lesen, sowohl Fantasy, phantastische Assoziation, grausliche Heimatgeschichte und grenzüberschreitender Traum.
Hazel Rosenstrauch
Antonio Fian: Nachrichten aus einem toten Hochhaus. Literaturverlag Droschl, Graz-Wien 2020. 120 Seiten, 18 Euro.
Hazel Rosenstrauchs Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen. Aus jüngerer Zeit von ihr: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro), eine CulturMag-Besprechung hier.