Geschrieben am 13. Februar 2010 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Bescheidener Vorschlag VI

Retten Sie Afrika!

Die Fußball-WM in Südafrika macht aus dem Kontinent ein Thema. Afrika ist Schauplatz unglaublich bescheuerter TV-Events, von dümmlichen Romanen und ein Profilierungsfeld phrasendreschender Politicos. Dabei ist Afrika eine Schnittstelle von Makro- und Mikrokriminalität, von Politik und Verbrechen, von Ausbeutung und Unterdrückung – ein gewalttätiger Polit-Thriller von gewaltiger Dimenson. Lena Blaudez, die in Afrika gelebt hat, platzt der Kragen …

Wenn es Afrika nicht gäbe, man hätte es erfinden müssen. Wer? Grzimek? Kalt! Die Bürokraten der Entwicklungshilfeindustrie! Sie brauchen Afrika, um zu überleben. Ein derart gigantisches internationales, bilaterales, staatliches, nichtstaatliches, privates, karitatives oder sonst wie geartetes Unternehmen braucht schließlich eine Daseinsberechtigung, Geld und Arbeitsplätze. Also muss ein richtig schlimmes Projekt her. Was würden die alle denn sonst machen? Keine wichtigen Konferenzen mehr, keine Tonnen Hochglanzbroschüren mehr, kein „Umdieweltgejette“, keine Langzeit- oder Kurzzeitstudien, keine Recherchen, Mikro, Makro oder Medium, Machbarkeitsstudien und Basiserhebungen, keine wichtigen Reden und eminenten Persönlichkeiten.

Aber zum Glück gibt es Afrika! Das Herz der Finsternis. Die Bürde des weißen Mannes. Der hungernde, mordende, korrupte und unfähige Kontinent mit seinen gierigen Eliten. Deutsche TV-Prominenz wiegt schwarze, ausgehungerte Kinderlein auf dem Arm. Bono und Konsorten erfreuen sich mittels Almosenpolitik des Gutmenschentums. Den nigerianischen Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka regt er auf: „Der hält uns wohl für blöde. (…) Diese Bonos, Geldofs und wie sie alle heißen, sagen, dass man uns helfen muss und unterstellen damit, dass wir dazu selbst nicht in der Lage sind. Das ist Rassismus.“

Die Prominenten, die neuen Missionare, meint er, helfen nur, um sich selbst zu helfen. Auch die Damen und Herren Politiker erbrechen unverdrossen die immergleichen Plattitüden. Bei Sonntagsreden, triefend vor Humanitätsgedusel, werden schließlich Wähler gewonnen. Und die florierende Hilfsbranche macht Gelder locker und vermeidet so, die wirklichen Ursachen der Armut in Afrika beim Namen zu nennen. Ist doch alles christliche Nächstenliebe! Oh ja, wir haben Mitleid, geben Geld und sind moralisch tipptopp. Die Medien jubeln, es gibt etwas, was für Quoten sorgt: Ein ganzer Kontinent für Projektionen der eigenen Angst. Ein schwarzer Kontinent als Kulisse für die Probleme der Weißen.

Minister und Schlagersänger fühlen sich besser

Wussten Sie, dass wir jetzt das Afrika-Jahr haben? Vor 50 Jahren wurden 17 afrikanische Staaten unabhängig, vor 125 Jahren teilte die Berliner Konferenz den Kontinent unter sich auf. Und was ist jetzt? Fußball-WM!

Also Afrika-Jahr. Das Thema Entwicklungs-„Zusammenarbeit“ rutscht wieder auf die Tagesordnung der Politik. Nach Billionen Dollar Entwicklungshilfe – der größte Anteil davon ging nach Afrika – und Hunderttausenden Arbeitsplätzen (für die Weißen, versteht sich) sind die Länder südlich der Sahara ärmer als je zuvor. Die Zahl der Hungernden steigt, ebenso wie die Analphabetenrate und die Kindersterblichkeit. Warum also gibt es Entwicklungshilfe? Das fragt man sich. Der ugandische Journalist Henry Lugeba hat darauf eine verblüffend einfache Antwort: „Weil sich Eure Minister und Schlagersänger dann besser fühlen.“

Dead Aid ist der Titel des Bestsellers der sambischen Ökonomin Dambisa Moyo. Weder arm noch ohnmächtig konterte die Ökonomin aus Kamerun, Axelle Kabou, in ihrer vielbeachteten Streitschrift gegen schwarze Eliten und europäische Klischees. Viele afrikanische Intellektuelle, wie der ugandische Journalist Andrew Mwenda, der die verlogenen Hilfsgeschäfte anprangert und seine Kritik an den afrikanischen Regierungen mit Gefängnisaufenthalten bezahlte, fordern: Schluss mit der Entwicklungshilfe!

„Entwicklungshilfe hilft den Tyrannen bei der Unterdrückung“, meint der kenianische Ökonom James Shikwati, der unter anderem im Spiegel und der FAZ publiziert. „Wer Afrika helfen will, darf kein Geld geben. (…) Wir sollten die Entwicklungshilfe beenden und beginnen, einfach Geschäfte miteinander zu machen. Das wäre ein Austausch unter Gleichen. Man würde dann beginnen, uns zuzuhören, anstatt uns zu belehren.“ Wie Shikwati meinen viele afrikanische Experten, nur eigenständige Entwicklung könne eine funktionierende Wirtschaft ermöglichen.

Geld an korrupte Regierungen, wie durch die umstrittene Budgethilfe, brächte nur den Eliten etwas – und die schaffen die gigantischen Vermögen außer Landes. Diktaturen würden gefestigt, die Mentalität der Ohnmacht würde gestärkt, Abhängigkeit von Almosen zementiert, Schulden produziert, Eigeninitiative im Keim erstickt, wirtschaftliche Energie gelähmt, eine Kultur der Verantwortungslosigkeit erzeugt, Investoren abgehalten und die Korruption angeheizt. Die Kontrolle der Geber verletze die Würde der Nehmer. Der Paternalismus sei die gewählte Form des Gebens, Entwicklungsvorschläge würden von Außen stammen. Das meinen die. Nutzt ihnen aber auch nichts.

Entwicklungshilfe – ein Blowjob für die Konzerne?

Windige Ganoven bei Weltbank und IWF erfanden sogenannte Strukturanpassungsprogramme mit diversen Auflagen. Gleichzeitig tobte und tobt der Protektionismus, dass es nur so kracht. Oooops, das ging nach hinten los! (Es sei denn, der Niedergang der afrikanischen Wirtschaften war das Ziel.) Schutzzölle und restriktive Einfuhrbestimmungen (beispielsweise hohe Zölle auf Endprodukte, damit sie in den Industrieländern selbst hergestellt werden können) lähmen nicht nur die afrikanischen Wirtschaften, sondern behindern ebenso ausländische Investoren. Kriminelle Handelspolitik treibt also erst die Länder in den Ruin, um sie dann mit ein wenig wohltätiger Entwicklungshilfe zu beglücken.

Keine Doppelmoral? Stand heute: Der afrikanische Anteil am Welthandel beträgt so um die 1 (in Worten: ein!) Prozent. Laut Weltbank lebt 70 Prozent der afrikanischen Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag. Im Vergleich: Eine europäische Kuh wird mit zwei Dollar pro Tag bezuschusst. Die mörderische Subventionspolitik gibt den afrikanischen Ländern den Rest. Billiggemüse aus Holland, Tomatenmark aus Italien, Milchpulver aus Frankreich – mit Steuergeldern subventionierte Lebensmittelüberproduktionen aus Europa, zu Dumpingpreisen auf die afrikanischen Märkte geschüttet, vernichten die Existenzgrundlage der afrikanischen Bauern. Eine mörderische Politik, denn Hunger ist eine effiziente Massenvernichtungswaffe.

In Europa nicht absetzbare Hühnerreste werden zu Schleuderpreisen auf den afrikanischen Märkten gewinnbringend verscherbelt und treiben den einheimischen Hühnermarkt in den Ruin. Gefrorenes billiges Schweinefleisch versetzt afrikanischen Fleischhändlern den Todesstoß. Die westafrikanische Küste wird von europäischen Fischfangflotten leer gefischt. Die Fischer können nicht mehr von ihrem Job überleben, sie verkaufen ihre Boote. An Menschenhändler. Auf denen Flüchtlinge nach Europa kommen. Wenn sie nicht vorher ertrinken. Killer-Wirtschaftsgebaren.

Minister Niebel verkündet ungeniert, Entwicklungszusammenarbeit (auch „Business der Barmherzigkeit“ genannt) sei der Türöffner für die Wirtschaft. Jo! Zehnmal (Schätzung) so viel wie in diese Länder unter dem Titel „Entwicklungshilfe“ fließt, kommt zu uns zurück. Afrika ist schließlich ein Kontinent mit einem enormen Reichtum an Bodenschätzen. Wen würde er denn sonst wohl interessieren? Also Entwicklungshilfe! Ein philanthropischer Ansatz? Mitnichten. Es geht um Öl und Erze, politisch-strategische Interessen und Absatzmärkte. Erst kommt die Ökonomie, dann kommt die Moral.

Vertrauen ist super, Kontrolle fällt weg

Experten schätzen, dass die Entwicklungshilfe – außer manchmal ein wenig bei einigen Mikro-Projekten (Beispiel: dörfliche Frauenselbsthilfegruppe) – trotz des Einsatzes unendlich vieler wirklich engagierter Fachkräfte nichts gebracht hat. Warum nicht? Bürokratie, Missmanagement, miserable Koordination, destruktive Konkurrenz, ständige Umstrukturierungen der Ziele, diffuser Aktivismus, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für sich selbst. Einzig eins muss klappen, der Mittelabfluss. Der UN entsteht – nach eigener Schätzung – in ihrem gigantischen Bürokratieapparat ein Schaden von jährlich rund sieben Milliarden US-Dollar durch schlechte Koordination.

Eine Idee wäre: Nachprüfen, warum die einzelnen Programme nach hinten losgehen oder versanden, also: Wirkungsanalysen (im Fachspeak: Evaluierung). Zitat Niebel: „Ist kein Thema!“ Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (aufstoss, wieder dieses Wort) und Entwicklung hat 3 ½ (!!!) Vollzeitstellen für die Evaluierung. Für die gesamte deutsche Hilfe. Weder die staatlichen noch die Nicht-Regierungs-Organisationen können die Wirkung ihrer Arbeit wirklich belegen. Evaluierungen, routinemäßig durchgeführt, sind oft falsch, schlicht Gefälligkeitsgutachten oder haben keine Konsequenzen. Ist das nicht herrlich? Eine ganze Industrie, die sich den Teufel darum scheren muss, was bei ihrer Arbeit raus kommt. Effektivität ist wurscht. Weder personelle noch finanzielle Konsequenzen. Erzählen Sie das mal einem deutschen Mittelstandsbetrieb.

Kunst ist Waffel

Übrigens: Entwicklungshilfegelder sind Steuergelder. Also aufgepasst – es geht um Ihr Geld! Leise macht ein Satz die Runde: Die Armen der reichen Länder finanzieren die Reichen der armen Länder. Das ist aber von der Regierung nicht persönlich gemeint. Es geht nicht gegen Sie. Es geht um Einfluss. China kauft sich in Afrika in aberwitzigem Tempo ein, Indien folgt auf dem Fuße. (Übrigens: Beide Länder sind Empfänger von Entwicklungshilfe aus Deutschland.) Hey, und was wollen Sie denn ohne Handy mit dem Coltan aus den Bürgerkriegsgebieten des Kongo anfangen, wo drauf sitzen, wenn die Tropenholzstühle aus sind?

Aber, unter uns gesagt: In einem Jahr wird mehr fürs Militär ausgegeben, als bisher in über 50 Jahren Entwicklungshilfe geflossen ist. Also rollen Sie sich auf der Couch zusammen und gucken Sie „Eine Liebe in Afrika“ oder was es sonst so an Schmonsens im deutschen Fernsehen gibt. Eine Flut von Filmen, Liebesschlockern und saublöden Kriminalromanen (bei denen Gefälligkeitskritiken gerne das Wort „liebenswert“ bemühen), „ergreifenden“ Lebensgeschichten und ähnlichem Zeug vermitteln uns ein Bild von Afrika, das die verstaubten Klischees aufpoliert und uns nur sehen lässt, was uns in den Kram passt und unsere immergleichen Vorurteile bestätigt. Bedauerliche, aber unabänderbare Phänomene: Servile Neger und dicke Mamis, angeborenerweise sind leider alle faul und saufen wie die Fische, schnackseln gern (daher auch das viele AIDS), sie stehlen und sind korrupt, warten nur auf Daueralimentierung und ansonsten gibt es viele gruselige Rituale und Mysterien, huuuu. Na, kein Wunder, dass es nichts mit ihnen wird.

Film und Literatur, also Kunst, ist Waffe – meinte 1928 der kommunistische Dichter Friedrich Wolf. Kunst in diesem Bereich, wenn man es denn so bezeichnen könnte, ist wohl eher Waffel. Zuckrig süß, schnell aufgegessen und hinterher wird einem schlecht.

Wen interessiert die afrikanische Realität?

Die Wahrnehmung afrikanischer Lebensverhältnisse ist nicht nur getrübt, sondern grob verzerrt, zumal geglaubt wird, wir könnten die afrikanischen Probleme lösen – mit Geld. Probleme, die wir gar nicht erkennen oder wissen wollen. Sie werden übertüncht und nicht etwa angesprochen, die entscheidenden Fragen werden nicht gestellt. Von Augenhöhe kann keine Rede sein. Stattdessen wird Potentaten der rote Teppich ausgerollt, ihre Geldwäsche unterstützt und bei der Unerdrückung der Meinungsfreiheit weggesehen. Soziale Hilfsprogramme, die nach Jahrzehnten kein Eigenengagement sondern Opfermentalität und die Taktik der immer offenen Hand gefördert haben, können kaum als erfolgreich bezeichnet werden. Aber: Immer weiter so, lautet die Devise. Gebt ihnen Geld und noch mehr Geld! Gebt ihnen den Rest!

Deswegen mein bescheidener Vorschlag: Sammeln Sie einfach gegen das schlechte Gewissen ein paar olle Klamotten und abgelatschte Schuhe für die armen Kinder in Afrika. Damit machen Sie dann im Kleinen, was die Politik im Großen tut. Ein Pflästerchen fürs Gemüt, egal wem’s schadet, und ansonsten wird kräftig abgesahnt. Augen zu, die tendenziösen Medienberichte fraglos konsumiert, niemals nachsehen, was das für Informationsquellen sind und was die wohl mit ihren Stereotypen über Afrika bezwecken! Dann bleibt alles wie es ist. Und das wollen wir doch. Oder?

So retten Sie Afrika, ganz bestimmt!

Lena Blaudez