Warum die zweite Staffel misslungen ist – und trotzdem absolut sehenswert.
Von Marcus Müntefering
Vorbemerkung 1: Der folgende Text enthält so gut wie keine Handlungsdetails, da die zweite Staffel von „True Detective“ (kurz TD2) in Deutschland bislang nur im Original ohne Untertitel bei Sky Anytime und Go ausgestrahlt wurde und somit nur eine Minderheit der CrimeMag-Leser sie gesehen haben dürfte. Die synchronisierte Fassung zeigt Sky ab 17. September 2015. Es dürfte in diesem Jahr die einzige legale Möglichkeit bleiben, die Serie in Deutschland zu sehen. Anlässlich der DVD-Veröffentlichung – voraussichtlich im Frühjahr 2016 – wird CrimeMag sich ein weiteres Mal und intensiver mit „TD2“ auseinandersetzen.
Vorbemerkung 2: Kaum eine TV-Serie in diesem Jahr wurde sehnlicher erwartet als die Fortsetzung von „True Detective“, dem Überraschungs-Hit des vorvergangenen Winters. Und kaum eine Serie wurde jemals zuvor dermaßen konsequent, geradezu reflexartig in Grund und Boden geschrieben wie „TD2“. Hatte ich nach der für viele bereits enttäuschenden 1. Folge „The Western Book of the Dead“ auf Krimi-Welt noch meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass die hochkomplexe, aber streckenweise überkonstruierte Exposition nur den Weg ebnet für ein packendes, modernes Cop-Drama, muss ich nach Ansicht aller acht Folgen zugeben – „True Detective 2“ ist auf ganz viele Arten ganz fürchterlich misslungen. Aber: Deshalb darauf einzudreschen, als gäbe es sonst nichts zu kritisieren in der (Fernseh-)Welt, wäre kleingeistig. Es finden sich genügend Ansatzpunkte, die eine „Lektüre“ unbedingt empfehlenswert machen. (Auf das Romanhafte von „True Detective“, das weit über andere Serien hinausgeht, sollte man zu einem späteren Zeitpunkt unbedingt zurückkommen.)
Vorbemerkung 3, Achtung Spoiler: Hier soll sehr kurz skizziert werden, worum es in „TD2“ geht. Dafür müssen einige wenige Details aus der ersten Folge der 2. Staffel „verraten“ werden. Wer gar nichts über die Handlung wissen will, überspringt diesen Teil einfach. Der folgende Text wurde so geschrieben, dass er auch ohne diese inhaltliche Vorbemerkung verständlich ist.
Die Hauptfiguren der Serie sind Detective Ray Velcoro (Colin Farrell) – unberechenbarer Trinker, Kokser, geschieden, korrupt, trotzdem ein guter Cop; Detective Ani Bezzerides (Rachel McAdams) – spielsüchtig, beziehungsunfähig, trotzdem ein guter Cop; Motorrad-Polizist Paul Woodrugh (Taylor Kitsch) – aufrecht, Muttersöhnchen, Macho, sich seiner sexuellen Ausrichtung nicht sicher, trotzdem ein guter Cop; Frank Semyon (Vince Vaughn) – Gangsterboss, der ein großes Bauprojekt plant und seine gewalttätige Vergangenheit hinter sich lassen will. Das Setting ist Vinci, eine von Korruption geplagte Stadt südlich von Downtown Los Angeles. Frank hat den Bürgermeister und den City-Manager von Vinci in seiner Tasche – glaubt er. Als letzterer spurlos verschwindet, setzt er Ray darauf an, der seit Jahren für den Gangster arbeitet. Doch nicht Ray, sondern Paul findet Casper – seine Leiche. Paul, Frank und Ani werden zusammenarbeiten müssen, um den Fall aufzuklären.
1. Das Vorgänger-Problem
Als „True Detective“ im Februar 2014 seine HBO-Premiere hatte, war das vielzitierte neue goldene Zeitalter der TV-Serie schon fast vorüber. Die ganz großen Serien wie „Six Feet Under“, „Sopranos“, „The Wire“ und (das leider durch vorzeitige Absetzung seiner wahren Größe beraubte) „Deadwood“ waren längst Geschichte, hoffnungsvolle Nachfolger wie „Mad Men“ und „Game of Thrones“ erschöpften sich in Wiederholungen des ewig Gleichen. Der Gedanke, eine Serie zu produzieren, die sich von Season zu Season selbst runderneuert, war folgerichtig. Zumal der Auftakt unfassbar gut war. Pizzolatto (und sein Regisseur Cary Fukunaga) nahmen sich das völlig ausgelutschte Genre der Buddy-Cop-Show vor und transzendierten es. Alles an „TD1“ fühlte sich neu und großartig an: die elliptische Erzählform, bei man nie genau wusste, ob man den Bildern trauen konnte, die dichte Textur an Anspielungen, die Ausflüge ins Okkulte, die großartigen Hauptdarsteller Matthew McConaughey und Woody Harrelson, die mit Rust Cohle und Marty Hart zwei der interessantesten Fernsehfiguren wirklich zum Leben erweckten, die Südstaaten-Atmosphäre, in der jederzeit alles möglich schien, die von T Bone Burnett perfekt ausgesuchte Musik, beginnend beim rauhen Titelstück der „Handsome Family“.
Und auch wenn „TD1“ am Ende nicht alle Versprechungen einlösen konnte und auf einer überraschend profanen Note endete: Man hatte das Gefühl, etwas Großem beizuwohnen, einer Serie, die wirklich etwas über das Leben erzählt, und das auf so spannende Weise, wie man es nie zuvor gesehen hatte. Und vielleicht niemals zuvor hatten sich im Internet so viele Menschen zu einer Serie ausgetauscht; der Hype begann mit Folge 1 und hörte nach Folge 8 längst nicht auf. Denn sofort begannen die Spekulationen darüber, wie es weitergehen würde. Wo „TD2“ spielen würde, wer in „TD2“ spielen würde und was in „TD2“ erzählt werden würde. Die Messlatte lag enorm hoch.
2. Das Kritiker-Problem
Natürlich fanden sich auch kritische Stimmen. Vor allem am Frauenbild der Serie wurde herumgemäkelt. Unbedingt lesenswert ist in diesem Zusammenhang Emily Nussbaums scharfzüngige Polemik „Cool Story, Bro“, die sie für den New Yorker schrieb. Vielleicht liegt hier einer der Ansätze für das Scheitern von „TD2“. Vielleicht hat Pizzolatto sich zu sehr beeinflussen lassen von denjenigen unter den Kritikern, die darüber lamentierten, dass es in der ersten Staffel keine starken Frauenrollen gab. Ein Vorwurf, der zumindest in zwei Hinsichten nicht zutraf. Zum einen war „TD1“ eine Serie über zwei Cops, die einen ziemlich vertrackten Fall lösen müssen, und über eine komplizierte Männerfreundschaft, die sich über einen langen Zeitraum hinweg beweisen muss. Zum anderen sind sowohl Rust als auch Marty am Ende Opfer ihrer Unzulänglichkeiten im Zwischenmenschlichen. Und Martys Ehefrau Maggie (sehr gut: Michelle Monaghan) ist diejenige, die diese Unzulänglichkeiten genau erkannt hat – und trotzdem etwas für beide Männer empfindet. Auch wenn sie die beiden schließlich gegeneinander ausspielt und am Ende ihr Glück nur durch die Trennung finden kann.
Für „TD2“ hat Pizzolatto nun gleich zwei prominente Frauenrollen geschrieben. Zum einen Franks Ehefrau Jordan (Kelly Reilly), eine anämische Schönheit mit dunkler Vergangenheit, die ihrem Mann auch beratend zur Seite steht und unter einem unerfüllten Kinderwunsch leidet. Leider hat sich Pizzolatto offensichtlich nicht sehr für sie interessiert; die Szenen mit ihr und Frank gehören zu den absolut schwächsten der Staffel.
Ganz anders sieht es mit der Polizistin Ani (Rachel McAdams) aus, der Pizzolatto sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet hat. Sie ist very fucked up, aber gleichzeitig besitzt sie eine enorme Kraft. Sie ist das eigentliche emotionale Zentrum der Serie, auch wenn ihr Partner wider Willen, der Cop Ray (Colin Farrell), mehr Bildschirmzeit haben mag.
3. Das HBO-Problem
„TD1“ hatte acht Folgen, die meisten davon um eine Stunde lang – das passte perfekt. Also hatte Pizzolatto die Vorgabe, auch die zweite Staffel der Anthologie-Serie im selben Format zu drehen. Doch gut acht Stunden Erzählzeit, das gibt die Story nicht her. Das dürfte viele der redundanten Szenen erklären, die „TD2“ manchmal fast unerträglich langweilig machen. Und viele der völlig überflüssigen Nebengeschichten, die aus dem Nichts auftauchen und ins Nirwana verschwinden. Denkbar also, dass „TD2“ mit sechs Episoden deutlich besser geworden wäre.
4. Das Fukunaga-Problem
Es gilt als sicher, dass sich Pizzolatto und sein Regisseur Fukunaga während der Dreharbeiten zu Staffel 1 überworfen haben. Für „TD2“ heuerte HBO gleich sechs Regisseure an, darunter Justin Lin, der durch die „Fast & Furious“-Filme bekannt geworden ist. Vielleicht wollte sich Fukunaga nicht dem Gesetz der Fernsehbranche beugen, nach dem bei einer Serie nicht der Regisseur, sondern der Drehbuchautor beziehungsweise Showrunner das Sagen hat? Und man kann darüber spekulieren, dass Pizzolatto in der zweiten Staffel ein Korrektiv fehlte, ein kontinuierlicher Partner, der ihn von Zeit zu Zeit auf Kurs bringt. Denn eines ist klar: Pizzolatto ist sehr von sich und seiner eigenen Genialität überzeugt. Dass merkt man in den meisten der vielen Interviews, die er in den vergangenen 18 Monaten gegeben hat. Wer mehr darüber wissen will, wie Pizzolatto tickt, dem sei stellvertretend ein sehr langer Artikel in der „Vanity Fair“ empfohlen, der auf einem Set-Besuch bei den Dreharbeiten zu „TD2“ beruht.
Neben Pizzolatto und Fukunaga trug auch Kameramann Adam Arkapaw, der auch bei der großartigen Serie „Top of the Lake“ (zur CM-Rezension) ausgezeichnete Arbeit leistete, entscheidend zum Erfolg von „TD1“ bei: Seine Bilder von einem Louisiana, das gleichzeitig von üppiger Schönheit und durch die Ölraffinerien grausam zerstört ist, prägen den Look der Serie. Hier hat man bei HBO allerdings einen fast ebenbürtigen Nachfolger gefunden: Nigel Bluck inszeniert Kalifornien in all seiner Ambivalenz: zersiedelt und weitläufig, kaputt und glamourös. Der Look von „TD2“ besitzt eine magische Anziehungskraft. Oder wie es im Season-Fazit der US-Ausgabe des „Rolling Stone“ heißt: „The endless overhead shots gliding over L.A.’s knotted freeways, the many quiet closeups of its main characters as they did nothing but sit and smolder, the sinister thrum of the electronic score overseen by T Bone Burnett – put it together and you get a rhythm and vibe unlike much else on TV right now.“
5. Das Besetzungsproblem
Das Casting der 2. Staffel, vom Gerüchtestadium bis zur Bestätigung, wurde quasi live im Internet kommentiert. Und obwohl in dieser Hinsicht „TD1“ nicht zu toppen war – tatsächlich kann man McConaughey und Harrelson für ihre unglaubliche Präsenz nicht genügend preisen -, herrschte allgemein ziemliche Zufriedenheit mit der Auswahl der vier Hauptdarsteller. Große Namen wie Colin Farrell, Rachel McAdams und Taylor Kitsch als Cops, das müsste doch passen. Skepsis gab es eigentlich nur wegen Vince Vaughn. Der Mann, der wie ein zu groß geratenes Kuscheltier wirkt und vor allem für sein komisches Talent bekannt ist, sollte in „TD2“ einen eiskalten Gangsterboss geben.
Leider behielten die Skeptiker Recht: Vaughn wird seiner Rolle nie gerecht, bleibt steif und wirkt gehemmt. Er hatte allerdings auch das Pech, dass Pizzolatto sich seine schlechtesten Dialogzeilen für den Gangster Frank Semyon (und seine Ehefrau) aufbewahrt hat. Darunter One-Liner wie: „Never do anything out of hunger – not even eating“ oder „I always saw the difference between a whore and a pimp. A whore still can have integrity“. Da darf man durchaus froh sein, wenn man nicht alles versteht, was gesagt wird – was tatsächlich der Fall ist. Eigentlich alle Figuren in „TD2“ nuscheln, als wollten sie McConaughey/Cohle Konkurrenz machen, dessen Philosophie (die Welt als flacher Kreis und so) oftmals nicht nur inhaltlich unverständlich, dabei aber immer faszinerend blieb. Der Unterschied: Bei Cohle hatte man immer das Gefühl, dass man eine brillante sprachliche Volte verpassen würde, bei Frank und Co. die nächste Peinlichkeit. Noch einmal Frank: „That’s one off the Bucket List – mexican standoff with actual mexicans.“
Nun hat Pizzolatto natürlich nicht alles verlernt, gelingt ihm durchaus der ein oder andere pointierte Dialog. „What is Vinci?“, fragt am Ende ersten Folge jemand. „A city, supposedly“, antwortet Ray Velcoro, bevor die Folge mit einem schönen Kameraschwenk und Nick Caves majestätischer Coverversion des Country-Klassikers „All the Gold in California“ zu Ende geht.
Der Soundtrack wurde wie schon in Season 1 von T Bone Burnett zusammengestellt, und der Musiker/Produzent hat wieder herausragende Arbeit geleistet. Der Theme-Song stammt von Leonard Cohen („Nevermind“, ein bemerkenswerter Track vom ansonsten eher mediokren Album „Popular Problems“ aus dem Jahr 2014), zu hören gibt es auch die Raveonettes, die New York Dolls – und immer wieder die Newcomerin Lera Lynn, die in mehreren Folgen als traurige Sängerin zu hören und sehen ist, die in einer ansonsten leeren Bar den tief melancholischen musikalischen Hintergrund für die Gespräche zwischen Ray Velcoro und Frank Semyon liefert. Diese Bargespräche gehören zu den stärksten Szenen der Serie, auch weil die Inszenierung hier die eigene Künstlichkeit kommentiert – überflüssig zu erwähnen, dass es auch hier viel Kritik gab, die viel damit zu tun hat, dass die Bar samt Sängerin nicht „realistisch“ wirken.
6. Das Story-Problem
In der 1. Staffel wurde die letztlich ziemlich überschaubare Story durch eine komplexe Erzählstrategie verkompliziert, „TD2“ hingegen wird linear erzählt. Dafür ist dieses Mal die Story so komplex, dass es beinahe unmöglich ist, zwischendurch den Überblick zu behalten. Pizzolatto verliert den eigentlichen Fall immer wieder aus den Augen, der Zuschauer den Überblick – und zeitweise das Interesse. Eine Geschichte über politische Korruption, organisiertes Verbrechen und Mord will Pizzolatto erzählen, vor allem aber über die Sünden der Väter (und Mütter), die ihren Kindern das Leben zur Hölle machen. Ray, der nicht mit seinem Sohn klarkommt, Ani, die ihren Vater, einen Guru, gleichzeitig hasst und liebt, Paul, dessen Alkoholikermutter ihm etwas zu viel Liebe entgegenbringt – und Frank, der seinen Vater gehasst hat und nicht sicher ist, ob er wirklich Vater werden will. Das Thema Eltern/Kinder zieht sich durch sämtliche Ebenen, wird immer wieder aufgenommen und liefert schließlich auch die Lösung für das zentrale Rätsel der Geschichte.
Nur logisch, dass Pizzolatto die real existierende Stadt Vernon als Setting aussuchte. Vinci, wie die Stadt in „TD2“ heißt, ist ein industrieller Vorort von Los Angeles, wo etwa 50.000 Menschen arbeiten, die aber nur etwa 100 Einwohner hat. Die Stadt ist bekannt für ihre Korruptheit, wobei es zwei Familien sein sollen, die hier seit Jahrzehnten das Sagen haben. Die „Los Angeles Times“ berichtet regelmäßig über Vernon/Vinci, stellvertretend soll hier ein Artikel empfohlen werden.
Pizzolatto hat in einem früheren Interview gesagt, dass ihn das Genre Crime nicht besonders interessiert, aber wie sehr er in „TD2“ die Polizeiarbeit vernachlässigt, das ist kriminell.
Schon in der ersten Staffel war ziemlich unglaubwürdig, wie Woody Harrelson den entscheidenden Hinweis auf den Killer findet (grünes Haus), dieses Mal sind die Kommissare „Zufall“ und „Wieso-das-denn-Jetzt“ im Dauereinsatz.
Und jetzt?
Woran genau die zweite Staffel von „True Detective“ gescheitert ist, konnte hier nur skizziert werden, um nicht zu viel zu verraten. Wer demnächst anfängt, die Serie zu sehen, dem sei der Blog des Magazins „The Atlantic“ empfohlen: Drei Journalisten tauschten nach jeder Folge ihre Gedanken aus. Bösartig, aber geistreich und hier nachzulesen.
Ob es noch eine dritte Staffel von „True Detective“ geben wird, ist momentan noch nicht klar. HBO-Präsident Michael Lombardo jedenfalls hat Pizzolatto grünes Licht gegeben, wohl auch, weil die Quoten der zweiten Season besser waren als die Kritiken: „I’ve already called him and said ,Nic, if you want to do a Season 3, let’s start talking’.“ Bleibt abzuwarten, ob der nicht uneitle Pizzolatto von den Kritiken so schwer getroffen wurde, dass er die Waffen streckt, oder ob er in Jetzt-erst-recht-Stimmung ist. Vielleicht wäre es für ihn gar keine schlechte Idee, zunächst einen zweiten Roman zu schreiben. „Galveston“ ist nicht nur das Beste, das Pizzolatto bislang gemacht hat, sondern war auch in vielerlei Hinsicht (Setting, Stimmung) die Keimzelle von „TD1“.
Marcus Müntefering