Geschrieben am 18. Oktober 2014 von für Carlos, Crimemag

Carlos

carlos41

De mortuis nihil nisi bene.

Auch wenn’s manchmal schwerfällt. Aber dann doch …

Nun ist er ja schon eine kleine Weile in den ewigen Jagdgründen, nun darf man es ja ein bisschen sagen: Ich mochte Herrn Reich-Ranicki aus der Ferne eher gar nicht, halte und hielt ihn für eine Krawallschachtel, einen Egomanen und Brüllaffen, der grade so gut was anderes zur fortwährenden Selbstpreisung hätte wählen können als die Literatur.

„Reich Ranicki Buch“ von Smalltown Boy in der Wikipedia auf Deutsch - Selbst fotografiert. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reich_Ranicki_Buch.jpg#mediaviewer/File:Reich_Ranicki_Buch.jpg

„Reich Ranicki Buch“ von Smalltown Boy/ Wikimedia Commons 3.0

Es liegt ja auch nahe, dass er einen Teil seiner Unangreifbarkeit nicht ganz ungeschickt imperial geregelt hat: Dass z. B. Schirrmacher Marcels literarisch nun wirklich überschaubare Lebenserinnerungen zu feiern und zu loben sich genötigt sah, man glaubte gar, er spräche von einem anderen Buch, dürfte sich einem strammen Schwitzkasten seitens des Hausblatts verdankt haben. Während der Ausstrahlung des „Literarischen Quartett“s, das ohnehin immer ein Soloamoklauf mit mehr oder weniger gehorsamen Stichwortgebern war, dürfte wiederum eine Art Schießbefehl im Falle des Ungehorsams gegolten haben.

Jetzt war ich aber in Frankfurt und saß in diesem Taxi und hörte von meinem Chauffeur, dass er immer Herrn Reich-Ranicki gefahren habe, und zwar dank eines artigen Kompliments während der ersten zufälligen Fahrt: „Sie sind bekannt wie der Eifelturm.“

„Geben Sie mir Ihre Handynummer.“

Für die Wahrheit dieser Geschichte spricht u. a., dass der Fahrer, selbst nicht ganz fehlerfrei Deutsch sprechend, R.-R. verblüffend gut imitieren konnte und dann auch grammatikalisch vollkommen korrekt. Außerdem spricht dafür, dass er jeden erinnerten Joke des tollen Greises in enormer Lautstärke wiedergab.

Und es geschah: Durchaus mühsam, aber es war plötzlich möglich, aus dem üblichen Krawall eine gewisse Verschmitztheit, schier Zuwendung zu etwas anderem als ihm selbst zu dekonstruieren.

Marcel Reich-Ranicki als Mitmensch und Helfer, wenn auch in denkbar reaktionärer Weise, los geht’s:

Es fragte R.-R. den Fahrer eines Tages, was mit ihm sei, er sei so still. Aus dem Fahrer brach es heraus, er habe so furchtbaren Liebeskummer, er habe schon dreißig SMS geschrieben und die Mailbox vollgeheult, aber seine Freundin spreche nicht mit ihm … „Hören Sie damit auf!“, habe R.-R. gebrüllt. (Ich finde man hört ihn geradezu toben.) „Das ist falsch! Das ist Belästigung! Sie machen jetzt eine Woche gar nichts!“ (Die Stimme des Fahrers war mittlerweile ganz die des Dahingegangenen, was im nächtlichen Regen durchaus ein wenig metaphysisch-gruselig war.) „Und nach einer Woche …“ Nein, das muss man so schreiben: „UND NACH EINER WOCHE KAUFEN SIE MINDESTENS 33 BACCARAROSEN! UND DANN SCHREIBEN SIE EINE KARTE DAZU!“

„Herr Reich-Ranicki, was soll ich schreiben? Ich bin ein Bauer.“

SONY DSCBereits die keineswegs biblische oder sonst wie symbolistische, aber natürlich tollwütige Zahl 33 finde ich sensationell, aber es kam noch besser. Genau zwei, aber auch nicht eine mehr, Möglichkeiten gebe es, so belehrte der Gottselige den unglücklichen Kutscher, was er auf die Karte schreiben könne:

Entweder: Du bist nicht alles für mich, aber ohne dich ist alles nichts.

Oder: Als du geboren wurdest, weinte Gott, denn er hatte seinen schönsten Engel verloren.

„Ich habe das dann gemacht und meine Freundin war begeistert.“ (Unklar blieb, welchen Satz er wählte, aber ich schätze mal beide.)

Tja. Das hatte er demnach drauf mit den Frauen, der Possenschmied R.-R., mit den etwas doofen allerdings. Der alte Geck, ich will gar nicht wissen, wie viele Dumpftussen er mit seinen Vorkriegskniffen nackig gemacht hat, wie oft er seine zerknirschte und gedemütigte Gattin mit der Baccarawährung vielleicht nicht versöhnt, aber zumindest wieder zum Küchendienst bezirzt hat.

Ich bin einfach begeistert.

Wir waren am Ziel angelangt. Ranicki habe immer „toll“ Trinkgeld spendiert. Ich verstand.

Dass ich mir aber die Handynummer nicht habe geben lassen, um immer, immer mehr zu erfahren! Was bin ich für ein Arsch.

Carlo Schäfer

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