Geschrieben am 27. November 2010 von für Carlos, Crimemag, Kolumnen und Themen

Carlos

Heute: Aus der Reihe großer, noch unpublizierter Prosawerke

Liebe Leserinnen und Leser. Was ist das:

Gisbert, der stille Sachwalter aller Kontrakte seiner exilpersischen Herrschaft, ging durch den Schlosspark, der in einem milden Frühlingslicht dem Advokaten neu und voller Verheißung schien. Neues und Verheißungsvolles widerfuhr ihm ja auch, wenn er bedachte, wie schicklich und dabei rührend unglaubwürdig die Jungfer Hedwig seinen Antrag vorerst abschlägig respondiert hatte. Das Billet trug er bei sich, am Herzen sogar.

Sollte wirklich eine bessere Zeit beginnen? Sollte auf die Finsternis das Helle folgen, ganz so, wie es ihm Pastor Hainfeld in der Todesnacht seines geliebten Friedrich verheißen hatte?

Friedrich! Rückgewandt erschien ihm sein Sohn schon immer wie ein Engel gewesen zu sein, von einem Engel geboren, der dazu die Kraft nicht hatte. Seufzend imaginierte er Cosimas letzten, brechenden Blick.

Sollte er hoffen dürfen, dass dies alles nun, wenn schon nicht vergessen sein würde, denn vergessen würde er nie, so doch verblassen könnte?

Wie er so sann und schritt, bemerkte er gar nicht, dass er im Begriff war, den Park an einer ihm unbekannten Stelle – ging er doch normalerweise nie weiter als bis zur Ruine des fürstlichen Badehauses – zu verlassen, um im Bannwald des letzten Earls von Petraka anzulangen.

Ja, selbst als er schon eine gute Weile seinem Pariser Wildleder knotiges Wurzelwerk zugemutet hatte, wurde ihm nicht gewahr, in welcher peinlichen Situation er sich bereits befand. Es wusste doch jeder und freilich auch er, dass der Earl neben vielen Schrullen die eine sehr hatte, nämlich den Bannwald gänzlich menschenleer wünschte, war er doch in einer spalterischen Bruderschaft der Templer, diese sich sicher war, ließe man Fuchs und Hase nur ganz in Frieden, so möchten sie eine Sprache entwickeln, die dem Hebräischen ähnelte.

Doch schließlich kehrte Gisbertens normaliter so wache Besinnung zurück, und er erschrak ob seines Aufenthaltsortes und sogleich noch einmal, denn von Ferne hörte er den hellen Glockenschlag der orthodoxen Kapelle von Smrsk und das gleich sieben Mal. Es würde bald dunkel werden und auf der Halbinsel pflegten auch die Frühlingsnächte noch schauderhaft kalt zu werden.

Rasch befühlte er seine Taschen, ob ihm wohl irgendetwas zuhanden war, hilfsdessen er die drohende Pneumonie, wenn nicht das schiere Erfrieren würde abwenden können. Doch zu seiner anwachsenden Sorge waren da nur ein Faden, ein Brieföffner, ein Zipfel baltische Dauerwurst und ein Bild von Friedrich. Und welches Wunder: Das Bild sprach zu ihm.

„Mit dem Faden Vater kannst du dir, wenn du dich nur recht geschickt anstellst, eine Decke knüpfen, mit dem Brieföffner dich gegen die wilden Tiere des Waldes verteidigen …“

„Friedrich!“, unterbrach Gisbert das Wunder in Tränen schwimmend, „wie ist das nur möglich … und was mache ich mit der Wurst?“

Im selben Moment traf ihn die Kugel des Earls und er hauchte sein Leben aus, schneller, als der Flügelschlag eines Schmetterlings, dieser sein Lieblingstier auf Erden gewesen war, hauchte er (wie gesagt) sein Leben aus.

Inspektor Gustavson und sein Assistent Fritz Gollenhauer gelang es fast mühelos, den Earl zu überführen, schon schwerer fiel es, den Schwerbewaffneten dingfest zu machen, sein nur allzu treuer Gärtner José wurde darüber zum Krüppel geschossen, fand aber gnädige Aufnahme im Hospiz der Diakonisse Trudel.

Der Earl selbst wies am Tage seines Erhängens das hl. Abendmahl zurück, nicht Bitten, nicht Tränen des Monsignore erweichten ihn, der Hagestolz, der er war, der blieb er, möge sich Gott seiner annehmen. Amen.

Die Jungfer Hedwig freilich blieb ihr langes Leben lang ebendies, Jungfer und diente den Aussätzigen und Blinden der abgelegenen Bergdörfer mit heiligem Ernst.

Das ist, ist ja wohl klar, ein Krimi. Einer wird erschossen, der Erschießer wird verhaftet, ein bisschen Liebe und Melancholie und Mystik, ansonsten jede Menge logische Entgleisungen, abgekupferte Wendungen … Vielleicht sprachlich ein bisschen zu ambitioniert, aber ansonsten einfach ein (leider) stinknormaler deutscher Krimi. Timing, Psychologie ect. das brauchen wir nicht.

PS: Der Lektor würde wohl mehr Lokalkolorit fordern. Schließlich soll das Ding ja verkauft werden. Und zwar scheißegal wie.

Carlo Schäfer

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