Wie könnte es schöner enden – Carlos hat im Urlaub den perfekten Mann gesehen. Lesen Sie selbst:
Kanarische Trilogie III: Der perfekte Mann
Wenn schon, denn schon. Wir waren in Playa Blanca im Irish Pub. Ich wäre auch gerne noch in Jimmy’s Treff nach Puerto del Carmen gegangen, dem Treff der deutschen „Residenten“, da hat leider meine Frau gemauert. Der Pub bringt’s aber auch schon, denn er ist nicht einfach irisch, er ist Irland. Exterritorial, ein Stück Land, einzig erobert zur Feier jener dialektischen gälischen Lust an Leben und Selbstvergiftung.
Ich denke, außer ein paar kleinlauten Engländern waren wir die einzigen Ausländer, auf jeden Fall die einzigen Gäste, die sich in den Schatten setzten. Lanzarote liegt südlich von Marokko, man konnte das verbrannte Fleisch fast riechen. Gewaltige fetttriefende Burger, randvolle Pints wurden von drallen blonden Prachtweibern im Sekundentakt unters Volk gebracht. Im Pub liefen lautstark Pferderennen, auf die noch lautstärker gewettet wurde, aus der Anlage hämmerte U2.
Today’s Special: Irish Stew. Schweres Lammfleisch mit Kohl unter afrikanischer Sonne. Wären die Iren 70 000 000 gewesen und hätten den Zweiten Weltkrieg angefangen, Stalin wäre eine Fußnote der Weltgeschichte, ein Komma.
Ein Tisch faszinierte mich besonders: Vier komplett ausgemergelte Männer in der zweiten Lebenshälfte, wenn man ihre Lebenserwartung mal realistisch auf fünfzig Jahre ansetzt, saßen in der Knallsonne, mit nackten magentafarbenen Oberkörpern, einzig von Shorts bedeckten Hummerbeinchen (gekochter Hummer), qualmend, als würden sie demnächst exekutiert. Der Tisch war mit zahllosen Pintgläsern beladen, vollen, halbvollen, leeren. Die üppigen Kellnerinnen taten ihr Möglichstes, aber da war kein Nachkommen. Immer mal wieder rannte einer zum Wetten nach drinnen, ansonsten hatten die Männer einen Sonnentag angesetzt. Es war 12.30 Uhr. Der mir am nächsten Sitzende war am Körper gerötet wie alle, im Gesicht aber bereits beim Violett des hoffnungslosen Trinkers angelangt. Sein rechtes Auge war blau geschlagen, ein deutlich sichtbarer Cut war mit zwei Stichen genäht. Wahrscheinlich von ihm selbst.
Dann trat ein neuer Charakter aus dem Dunkel der Bar. Er war viel dicker als ich, mir also gleich sympathisch, und schämte sich seines Leibes gar nicht. Nein, geradezu figurbetont spannte ein dottergelbes T-Shirt, olivfarbene Shorts, luftige Sandälchen, eine Sonnenbrille hinter der man zwei Ray Orbinsons hätte unterbringen können, graues Haar im Prinz-Eisenherz-Stil, irritierend war nur sein kaffeebrauner, fast indisch anmutender Teint. Mochte er eurasischer Abkunft sein, kulturell hatte er sich entschieden. Während er noch behaglich an seinem Lager schnabulierte, bestellte er im Ton verbindlich, aber mit natürlicher Autorität einen Gin-Tonic, ließ sich zunächst die verfügbaren Ginsorten aufzählen und wählte mit Bedacht die seine.
Als der Drink vor ihm stand, entnahm er einem Lederbeutel einen Tablett-PC, schloss riesige metallene Kopfhörer an und hörte – ich habe geschildert, dass der Ort nicht eben leise war und ergänze hiermit das Meeresrauschen – so laut Dudelsackmusik, dass ich sie fünf Meter entfernt problemlos hätte mitsingen können. Wenn ich Ire wäre.
Das wäre überhaupt schön.
Während dieser Lärmdusche tippte er irgendwas ein – Pferdewetten? Wenn, dann völlig emotionslos. Plötzlich stoppte er das Sackpfeifeninferno, erhob sich und ging gemessenen Schritts ZU DEM MIT DEM VERNÄHTEN AUGE und bat, nein, verfügte, dieser möge ihn mit seinem Tablett fotografieren.
Ich hätte diese Figur höchstens um Sterbehilfe gebeten …
Der Angesprochene allerdings erhob sich sofort und wollte an Ort und Stelle zu Diensten sein.
„No“, sagte der Erhabene, wies mit dem Kopf nach links. „In the sun!“
Da machte es auch nichts mehr aus, dass ohnehin alles in greller Mittagssonne lag, der Todesnahe gehorchte sofort. Mit dem zweiten Foto war man’s zufrieden, man nahm wieder Platz.
Irgendwann fragte der Violette sogar noch einmal artig nach, ob das Foto denn wirklich gut sei.
Der Dicke nickte freundlich und sagte: „Yes.“
Als wir gingen, war ich traurig. Schon wieder war etwas vorbei, was nie wiederkommt, schon wieder war vom Lebenskalender ein Blatt verweht. Denn zweifellos wird einem das, was mir gerade widerfahren war, kein zweites Mal auf Erden vergönnt: Ich hatte den perfekten Mann gesehen.
Carlo Schäfer
Kanarische Trilogie Teil I und Teil II.
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Playa Blanca Bild: wikimedia commons, gemeinfrei