Carlos hat in seinen Archiven gegraben und kulturell Wertvolles gefunden, dass er uns nicht vorenthalten will – und dazu noch eine kryptische Bemerkung über Karl Karst, die wir zur gegebenen Zeit dechiffrieren werden.
Flämischer Marzipan, Nordkorea & Karl Karst
Der Diktator fragte, was es zu essen gebe.
Der Koch verbeugte sich, gab Artigkeiten von sich des Inhalts, dass es sich beim Generalissimus um ein ewiges Licht handle, um die Blüte des Volkes, den Bezwinger der Finsternis, das Gewirk göttlicher Schmiedekunst, ein Diadem der Ewigkeit mithin, das Ein und Alles eines jeden, den letzten Scheiß, dachte er, aber das merkte der Große nicht.
„Es gibt‟, fuhr der Koch fort, „Meister aller Klassen, Gottes geheimer Plan, ewiger Fels der Wahrheit, Komet durch die Äonen, Herr der Herrlichkeit, Steinbockleber unter mundgeblasenem Blattgold an kirgisischem Zwergreis, zuvor Rotsektsorbet mit moldawischem Pflaumengebims, Dattelmousse über Harznudeln wegen der Holdbeere gegenüber kanadischem Wildhopfen, trotz dänischer Stoßmilch im Sausteiß; abschließend Mirakel aus Schokolade, persischem Sesam, Pfälzer Süßkartoffel im Heu/Vanillemantel jenseits walisischer Minze.‟
Der Diktator freute sich; das war sein Leibgericht.
Trotzdem ließ er den Koch sicherheitshalber erschießen.
Das Eheweib des Diktators, den sie Land auf Land ab den Unvergleichlichen, Einzigartigen usw. zu nennen gelernt hatten, war Kummer gewöhnt, tat den hämmernden Schwanz des Kammerdieners müde ab, nahm ihn gleichsam resignierend eigenhändig aus der schmerzenden Scheide. Was sollte das denn alles?
Der Bursche, bis dahin redlich bemüht, war ehrlich beunruhigt, aber sie löste seine Furcht mit einigen wenigen Worten: Es sei schon recht gewesen, sie sei jetzt aber müde und hier sei eine Portion flämischen Marzipans, den solle er seiner Frau mitbringen.
Sie lag auf ihrem Quecksilberbett, nackt, noch atemlos, aber durchaus bei sich.
Illusionslos sah sie im platinen Deckenspiegel ihren zerstörten Leib.
Die Männer steckten sich, bevor sie morgens um halb vier in die Bergwerke ausrückten, Zwiebelhälften in die Taschen, um im Bedarfsfall auf der Stelle losheulen zu können. Der Diktator war alt.
So. Das habe ich geschrieben, und zwar vor über zwanzig Jahren. Es stimmt mich nachdenklich, denn ich kann nicht entscheiden, ob ich damals geradezu seherisch das Nordkorea der Kims beschrieben habe (kurz nachdem Ruine Linser es gepriesen hatte!), oder ob ich haarscharf an der Zwangseinweisung vorbeigeschrammt bin. War eine Trinkwette im Spiel?
Das Ganze geht auch noch weiter: Terroristen, ein Exilkönig sowie die Diktatorensöhne „Grind“ und „Klinge“ treten auf, letzten beiden werden in die Luft gesprengt.
Dann, nach einem Besuch des Diktators bei einem Rollschuhballett zu seinen Ehren endet das Skript.
Warum habe ich nicht weitergeschrieben? Oder war das ganz richtig so?
Vermutlich hat das Werk einfach aufgehört, weil es Zeit für Enterprise auf Sat1 war.
Langsam habe ich Angst vor alten Dateiordnern. Was ich mache, wenn ich als Nächstes eine ins absurde gedrehte 9/11-Vision finde, weiß ich nicht. Vielleicht mich stellen, wem auch immer bzw. wer will, kann mich haben.
(Der Autor sucht …)
Aber nein, stattdessen findet sich da ein Fragment mit dem Titel: „Die hundert letzten Tage des Karl Karst vor seinem Tod durch Platzen“.
Ich wäre möglicherweise längst berühmt, wäre ich dieser gänzlich behämmerten Chaosschreibe treu geblieben. Oder eben in der Gummizelle.
Wie auch immer, ich muss jetzt Schluss machen und noch ein wenig den Herrn Diekmann von der BILD hassen.
Carlo Schäfer
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