Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Clemens Goldberg: Der Ton macht die Musik

Anna Prohaska © Wiki-Commons/ Amadalvarez

Ver-Stimmt

Anna Prohaska ist international eine der bedeutenden Opernsängerinnen. Ein Twitter-Post von ihr landet auf Facebook, den ich lese. Da ist von einem Gespräch im Deutschlandradio Kultur mit dessen Abteilungsleiter für Kultur und aktuelle Politik, Thorsten Jantschek, die Rede. Er habe sich angesichts der Schließungen im Kulturbereich sehr abschätzig und unerträglich geäußert. Was ich lese, ist schlimm genug. Während des Shutdowns könnten Dramaturgen ja mal Stücke entwickeln und Beleuchter ihre Geräte in Ordnung bringen. Museum könne man auch mal sein lassen. Ich mache einen kleinen Post in dem Sinne, dass es schon erstaunlich sei, wie Menschen in der Funktion von Herrn Jantschek über Kultur dächten. Prohaska sagt noch nüchtern „Beruf verfehlt“, andere äußern sich, wie immer gerne im Netz, viel drastischer.

Ein enger Freund ruft an: „Wir müssen reden“. Da sei jetzt so viel Hass im Netz, dabei habe der Mann doch eigentlich – viel wichtiger – gesagt: der Shutdown sei unumgänglich, man müsse auch zu den Veranstaltungen hinfahren, statt dessen rege man sich über verfehlte Kleinigkeiten auf. „Hör Dir das mal an, dann sprechen wir wieder.“ 

Mache ich. Es fällt mir schwer, nicht gleich abzuschalten, weil der Mann einen unerträglich schnöseligen, herablassenden, unempathischen Ton in der Stimme hat. Da fällt mir Prohaska, die Sängerin, ein: „nöliger Jammerton“, schrieb sie. Sängerinnen sind empfindlich, ich als Cellist und leidenschaftlicher Verfasser von Hörstücken vermutlich auch. Dabei geht das schnell genuschelte „natürlich müssen wir das machen“ (gemeint: die Schließungen) unter. Aber Anderes bleibt hängen: was fehlt ihnen am meisten? „Sport in der Halle“ – da setzt es schon leicht bei mir aus, „vielleicht auch Museum“, aha. Dem Moderator des Kultursenders, der damit ja seinen Chef zum Gespräch bittet (eine weit verbreitete Unsitte, aus Kostenersparnis?) fehlt der Restaurantbesuch. Jantschek spricht von „Gejammere und Geheule“ der institutionellen Kulturschaffenden, die er nur schwer ertrage. Natürlich gäbe es auch freie „Künstler und sowas“, aber auf die geht er nicht ein, für die hat er kein Wort des Mitgefühls. Nein, er ist wütend über die etablierte Kultur, das „Elitephänomen“. Dabei könnten „die User, die Verbraucher“ doch auch mal was anderes machen. Es ist dieses unsägliche Amalgam, die schlechte Sachkenntnis, bei der alles durcheinander gerät. „Es bringt doch nichts, wenn in einem Saal von 2000 nur 50 Leute sitzen.“

… nicht die Philharmonie …

Wirklich? Philharmonie Berlin, 2250 Plätze, ca. 500 Gäste. Hat Jantschek wirklich eine Ahnung, wie viele Menschen auf der anderen Seite in den zahllosen Theatern und Konzertsälen arbeiten und unter welchen Bedingungen? Was Kurzarbeit für ein Mitglied des Opernchors oder des Corps de Ballet bedeutet? Ja, überhaupt bekämen doch auch die Freien super Geld und ganz unkompliziert dazu. Nein, Thorsten Jantschek muss keine solchen Anträge stellen, er wird seinen Posten unter allen Umständen bei besten Bezügen weiter „bekleiden“, denn mehr ist es in seinem Fall nicht. Ich selbst habe seit Februar gerade mal zwei kleine Konzerte gespielt, alle anderen Dinge „entfielen“.

Es geht nämlich nicht um einen Monat, wie Jantschek meint. Das dauert jetzt schon seit Februar. Dass aber Künstler ohne Auftritt wie der Fisch auf dem Trockenen zappeln, dass sie den direkten Austausch brauchen, das kommt im Denken dieses ausgebildeten Philosophen gar nicht vor. So könnte ich weiter über diese verschlampte Denkweise „jammern und heulen“. Aber was mir viel wichtiger ist: Der Ton macht die Musik. Wir entscheiden visuell in 2 Sekunden, ob wir jemand mögen oder nicht, aber bei der Stimme ist es noch viel drastischer, nichts zu machen, kaum revidierbar. Ja, es ist unerträglich, dass nicht nur auf diesem Leitungsposten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Leute sitzen, die null Leidenschaft, wenig Kenntnis und keine Empathie für den von ihnen verantworteten Bereich haben. Drastischer bleibt mir aber diese Stimme im Gedächtnis, die all das was Jantschek auch noch Vernünftiges zu sagen hatte komplett verstellte und verstimmte. 

Clemens Goldberg

Der Cellist, Musikwissenschaftler, Radio-Autor und Moderator Clemens Goldberg lebt in Berlin. 2003 gründete er die Goldberg Stiftung, inzwischen längst ein fester Bestandteil des Kulturlebens nicht nur in Berlin, sondern auch international, und auf vielfältige Weise mit den Akteuren der Musik des 15. Jahrhunderts verbunden. Nach dem Vorbild der Florentiner Akademie im 15. Jahrhundert errichtete die Goldberg-Stiftung auch eine Internet-Akademie. Jenseits der eingefahrenen universitären Forschung in einzelnen Disziplinen soll ein freies interdisziplinäres Forum für Beiträge zur Ästhetik, Musikwissenschaft, Soziologie, Geschichte, Literatur-wissenschaft und Semantik zur Verfügung stehen. Schwerpunkt: das Zeitalter der Renaissance.  
Internetseite der Stiftung: www.goldbergstiftung.org

Sein KickAss zu einem Scheingefecht stand in unserer letzten Ausgabe, November 2020, hier.