Was soll ein Toter mir schon anhaben können?
Von Wolfgang Franßen
Nach der sprachlichen Ouvertüre, die an Camus erinnert, liest sich „Farben der Nacht“ wie ein Melodrama von Douglas Sirk. Da haben wir Surab, den Hausmann ohne Job, der seine Nachbarn ausspioniert. Tina, die Ehefrau, die zu viel arbeitet und ihm und seiner Mutter die Kinder überlässt. Im gegenüberliegenden Mietshaus die verhängnisvolle Affäre um ein Mann von der Staatssicherheit und seinen jungen Liebhaber. Was hätte Verdi wohl für eine Musik dazu komponiert? Zumal das Ganze vor dem historischen Gemälde der Unruhen in Georgien stattfindet.
Drama. Verzweiflung und die Unwägbarkeiten der Liebe. Nicht gerade La Traviata. Aber auf den Spuren tausender Epigonen. Autor Davit Gabunia gilt nicht umsonst als einer der wichtigsten Dramatiker in Georgien und kennt seinen Shakespeare, seinen Strindberg, sicher auch Bergmann und unzählige Hollywoodfilme. Er weiß, wie man Spannung installiert.
Nur kommt sein Roman nach fulminantem Start eher kleinkrämerisch daher und versinkt in Alltäglichkeiten, sodass wir als Leser vieles längst erahnen, bevor es tatsächlich eintritt. Was uns als Geheimnis aufgetischt wird, ist eine vielseits erprobte Handlung.
Surab der Voyeur, beginnt heimlich Fotos vom Liebespaar zu schießen, während er gleichzeitig sich bemüht, seine Ehe in Gang zu halten.
Natürlich fällt einem das „Fenster zum Hof“ ein. So wie die ersten Seiten an Camus erinnern, doch reicht selbst die Vorstellung, dass es kein besseres Fernsehprogramm als die Nachbarschaft gibt, nicht aus, um mehr als eine literarisch ambitionierte Telenovelaschwülstigkeit abzuliefern.
„Farben der Nacht“ bietet gleich zu Anfang eine Leiche an und folgt der Vorgabe unsäglicher Krimis, die nicht von Prologen lassen wollen, um den Leser in die Geschichte hineinzuziehen. Auf den ersten Seiten gibt es also eine Unmenge Blut auf einem weißen Teppich, wird der tote Körper an sich ausgestellt. Es wird nicht die Frage nach dem Täter, der Gerechtigkeit aufgeworfen, auch taumelt kein sozialunkompetenter Ermittler an den Tatort, vielmehr wühlen wir uns in eine Verwirrung hinein. Da steht ein Mann am 20. September vor einer Leiche und beschreibt jedes Detail. Es geht ums Sterben, die Existenz, um das Sein.
Nach diesem Entree springt Gabunia in den August zurück, beschreibt Tag für Tag, bis wir wieder den 2o. September erreichen, und wissen, wer dieser merkwürdige Chronist der ersten Seiten ist. Leider verliert die Geschichte mit diesem Sprung auch ihre sprachliche Intensität, die zwischendurch kurz aufblitzt und wieder verebbt. Wir bewegen uns durch die Beschreibung von Vater, Mutter und Kind. Mit all den Problemen, die so eine Ehe mit sich bringt, weil sie sich verbraucht hat.
Subra vermisst seine Kinder, die er sonst jeden Tag zur Schule oder in den Kindergarten bringt, weil sie bei der Großmutter auf Urlaub sind. Er verbringt viel zu viel Zeit mit sich selbst, weil seine Frau lange arbeitet und auch sonst das Interesse an ihm verloren hat. Während seine Kinder bei seiner Mutter sind, hätten sie endlich einmal Zeit für sich, doch seine Frau ist zu müde, muss morgens früh raus, während Subra mehr und mehr seiner Obsession verfällt.
Er hat halt nichts zu tun. Er raucht auf dem Balkon, um die Wohnung nicht einzustinken, und wie wir alle wissen, gibt es nichts Schlimmeres, als die eigene Zeit totschlagen zu müssen. Plötzlich tauchen viel zu viele Fragen auf, deren Antworten ihn eher lähmen als beflügeln.
Zum Glück taucht in der gegenüberliegenden Wohnung der geheimnisvolle Mann mit Schlips auf. Zusammen mit Schitko, dem eigentlichen Mieter mit dem roten Alfa Romeo, der ihn nachts zum Stelldichein empfängt. Für Surab ist er nur die Schwuchtel. Auch wenn er alles fotografiert, ist er kein James Stewart. Er ist auch keine Figur aus einem Brian-De-Palma-Film, der die Täuschung zelebriert.
Natürlich ist Merab, der Mann mit dem Schlips, ein hohes Tier im Sicherheitsdienst. Wir sind schließlich in Georgien und die Sicherheitslage des Systems geht gerade den Bach runter, weil im Fernsehen Bilder über Misshandlungen von Gefängnisinsassen gezeigt wurden. Tiflis ist in Aufruhr. Alles scheint möglich zu sein. Nur leider dreht sich die Geschichte um eine ins Rutschen gekommene Ehe, sodass Surabs nächtliche Beobachtungen ihm zwar das Gefühl von Macht verleihen, er gleichzeitig jedoch blind für alles ist, was ihn umgibt. Wie weit wird er gehen? Wir wissen es schon, bevor er seinen Plan in die Wirklichkeit umsetzt, um seinem Dilemma zu entfliehen.
Ärgerlich wird es, je mehr die Unruhen in Georgien zu einer Art Theaterkulisse verkommen, um ein Melodrama auszubreiten. Die reumütige Ehefrau, bringt sich in Gefahr und irrt durch die Straßen, während die Stadt in Aufruhr ist. Was für ein Theaterbild, was für eine Filmszene. Nur leider wirkt sie aufgesetzt.
Die Musik von Verdi hätte uns das alles sicher vergessen lassen. Welcher Herzschmerz wäre aus jeder Note geflossen. Doch selbst das scheitert an der kühlen Berechnung der Szenerie und Gabunias Roman zerfällt in Privatismen. Egal, ob Rebellion, Umsturz, Aufruhr oder Unterdrückung die Menschen haben private Sorgen. Verdammt sie haben ihre eigenen Probleme.
Soll ja mitunter vorkommen.
An kaputten Ehen geht die Welt nicht unter.
Davit Gabunia: Farben der Nacht. Übersetzt von Rachel Gratzfeld. Rowohlt Berlin, Berlin 2018. 192 Seiten, 20 Euro