Inside Men – kalt, klar, hart
– Also ziemlich ideal … Anna Veronica Wutschel hat DVDs geschaut:
„Mein Mann wird alles tun, was sie von ihm verlangen. Das lernt man dort, sie tragen keine persönliche Verantwortung. Mein Mann ist kein Held“, sagt John Conistons Ehefrau (Nicola Walker) zu einem maskierten Gangster, der sie und die kürzlich adoptierte Tochter als Geisel genommen hat. Denn Coniston ist Manager eines Gelddepots, in dem sich Paletten mit Bargeld in riesigen Hallen aneinanderreihen, und nur mit seiner Kooperation kann dieses Geld gestohlen werden. „Mein Mann ist kein Held“, sagt Kirsty Coniston und meint es auch so. Schließlich kann Coniston, der frisch gebackene Familienvater, der „nicht mal ein eigenes Kind zeugen kann“, wie seine Untergebenen frotzeln, charakterlich als Triumph penibelster Korrektheit betrachtet werden. Seit Jahren ist er der erfolgreichste, vorbildlichste Manager der Firma, und sollten doch einmal ein paar Pfund in der Buchführung fehlen, ersetzt er sie vorübergehend aus seiner eigenen Tasche.
Doch nun wird „sein“ Gelddepot ausgeraubt, die vermeintlich ruhige Arbeitsstätte – „nicht einmal Kriminelle wollen heutzutage noch Bargeld, die tummeln sich im Internet“ – zum Schauplatz eines imposanten Raubes. Immerhin 172 Millionen Pfund wird man erbeuten, und die Polizei wird später lediglich ein paar Handlanger festnehmen können? Doch wie kam es überhaupt zu dem Coup? Welches Genie hat den Plan erdacht? Und wozu wäre der Einzelne fähig, wenn sich ihm die Möglichkeit böte? Wie viel wäre dann genug? Ist genug je genug? Oder rasch zu viel? Diese Fragen umkreist „Inside Men“ in kalten, klaren Bildern, harten Schnitten und einem unterkühlten Ton. Dabei springt die Handlung zwischen den unterschiedlichsten Zeitebenen virtuos, selbst in den Rückblenden nicht chronologisch, vor und zurück. So erlebt man die ersten Vorkommnisse – ein erster kleiner Diebstahl, dann ein zweiter – die zu einer immer größer werdenden Verschwörung führten, die Planung des Coups, die Rekrutierung geübterer Gangster, den blutigen Überfall und das Nachbeben des aus allen Fugen geratenen Komplotts als kunstvoll verschachteltes Drama, das ebenso auf Action setzt wie auf die ganz kleinen Gesten.
Sicherlich, das große Verbrechen, der Geldraub, wird hier nicht neu erfunden, und die Figur des genial pingeligen John Coniston erinnert in mehrfacher Hinsicht an Walter White, den braven Chemielehrer aus der mit Preisen überhäuften Serie „Breaking Bad“, der sich dazumal mit enormer Akkuratesse und komplizenhafter Sympathie des Zuschauers zum kriminellen Superhirn entwickelte. Verglichen damit stehen „Inside Men“ lediglich vier Stunden Spielzeit zur Verfügung, und doch bildet sich der vermeintlich vorrangig erzählte Geldraub immer mehr zu einer feinen Charakterstudie heraus.
John Coniston, der hervorragend von Steven Mackintosh dargestellt wird, ist ein bescheidener, unscheinbarer Mann, der gern funktioniert, bis er sich eines Tages der Herausforderung stellt. Und einen Entschluss fasst, einen Plan entwirft, das Steuer in die Hand nimmt und pure Freude empfindet, wenn er sein kleines kriminelles Verbrecherherz von Minute zu Minute härter schlagen hört. Doch Coniston wächst erst mit der Aufgabe und selbstverständlich kann er so einen ausgeklügelten Coup nicht allein erledigen.
So gehört bald mehr aus Zufall als aus Berechnung der besonnene Chris (Ashley Walters) zur Gangster-Crew. Dieser kümmert sich daheim um seine alkoholkranke Mutter und seine schwangere Freundin, und eigentlich ist er nur bemüht, alles in seinem Leben richtig zu machen. Doch dazu braucht der im Gelddepot als Wachmann engagierte Chris dringend eine Perspektive. Die scheint ihm zunächst der draufgängerische Marcus (Warren Brown) zu bieten, denn Marcus ist nie knapp an Ideen, dafür aber immer an Geld. Und so findet Marcus in Chris bald einen Komplizen, mit er gemeinsam kleinere „bescheidene“ Summen Geld aus dem Depot schmuggelt. Kein großer Deal, aber eben etwas Cash nebenbei, direkt auf die Hand. Dumm ist dabei nur, dass Coniston die zwei beim Diebstahl erwischt und ihre Gaunerei ihn auf eine eigene Idee bringt.
Warum ein kleines Verbrechen anzeigen, wenn man gemeinsam ein großes, ganz unerkannt aufziehen könnte? Und damit das ganze Depot leer räumen könnte? Der loyale Chris zögert, Marcus, der Schaumschläger, ist indes hellauf begeistert und steuert ein paar eigene Ideen zum Plan bei. Derartige Initiative fürchtet auch beständig seine Proll-Freundin Gina (famos! Kierston Wareing), die Marcus zwar liebt, aber keinen rechten Respekt vor ihm hat. Und so spioniert Gina Marcus vorsichtshalber lieber nach, kontrolliert ihn und stellt ihn bald zur Rede, schließlich ist der Kerl einfach nicht clever genug, um etwas allein auf die Reihe zu kriegen. Diese Einschätzung nagt zwar gewaltig an Marcus Selbstbewusstsein, doch finden die zwei am Ende im gemeinsam begangenen Verbrechen erneut zusammen.
Rasantes Tempo, rasanter Schnitt und eine Erzählweise, die, ohne den dramatischen Bogen jemals aus dem Auge zu verlieren, viele kleine Schlenker einlegt, um mehr Fragen zu stellen als zu beantworten. Und so eröffnet „Inside Men“ ein ganzes Tableau an möglichen Handlungsmotiven, Perspektiven, ohne sich auf eindeutige Aussagen, simple Antworten festlegen zu lassen. Permanent werden Themenkomplexe wie Moral, Verantwortung, Schuld oder auch der Reiz des Risikos umkreist. Und so lotet das Drama verborgene Abgründe aus, die Grenzen des Einzelnen und stößt dabei auf überraschende Erkenntnisse. Durch ein hervorragendes Timing und mit einer famos aufgelegten Schauspieler-Crew schraubt sich die Spannung bis zum Schluss, zu einem für viele wohl eher enttäuschenden Ende, scharf nach oben.
Anna Veronica Wutschel
Inside Men: 3 DVDs. Studio: Edel Motion. Laufzeit: 240 Minuten plus 142 Minuten Bonus (The Body Farm, Episode 1 und The Fades, Pilotfolge). Produktionsjahr: 2012. Darsteller: Steven Mackintosh, Warren Brown, Ashley Walters, Kierston Wareing u. a.). Regisseur: James Kent. Erscheinungstermin: März 2014. Sprache: Deutsch, Englisch. Untertitel: keine. Audio: Dolby Digital 2.0. 22,99 Euro. Den Blog von Anna Veronica Wutschel finden Sie hier.