Geschrieben am 19. September 2017 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Essay: Markus Pohlmeyer: Verzaubert und entzaubert: die nah-ferne Welt der Mickey Maus

I Donna Daisy und Sancho Duck – Remythologisierungsversuche

 „Die Ritterin und ihr Knappe“[1] ist eine wunderbare alternative history- und gender-story: Daisy (in der echten postmodernen Entenhausener Realität Donalds Verlobte, ja genau, die Verlobte von diesem Alltagsversager, der als Phantomias und Geheimagent regelmäßig die Welt retten muss). Daisy hier nun in der Rolle von Arthus und Donald als Knappe, durchaus mit dem Potential eines Sancho Panza! Wunderbar, wie Daisy beherzt das Schwert aus dem Stein zieht. Donald: „Aber sie ist ein Weib[2]! Geht das?“ Stimme: „Heutigentags geht alles.“[3] Also das berühmte postmoderne anything goes. Und somit wäre die Damals-Zeit in die Jetzt-Zeit katapultiert. Eine machtgeile Hexe (wie immer in ihrer tragischen Rolle überzeugend: Gundel) macht dai4die Entzauberung der Welt rückgängig und zaubert, was das Zeug hält. Und sie regt sich darüber auf, dass sie wieder durch die Hexenhammerprüfung gefallen sei.[4] (Diese Anspielung erscheint mir sehr problematisch, weil der „Hexenhammer“ ein fürchterliches, menschen- und frauenverachtendes Machwerk war, ein ideologische Begleiter der Hexenverfolgungen.)

Durch die Koalition mit den drei anderen Hexen („Hicksi, Maio und Haceî“[5]) sei die Böse zu besiegen. Und so machen sich Ritterin-Super-Daisy und Knappe-No-future-Donald auf den Weg. Und erleben ein Abenteuer-Cocktail aus Odyssee und Der Hobbit, gewürzt mit etwas Telenovela und Kochshow. Hexe Nr. 1 will nämlich unbedingt bei einem Kochwettbewerb gewinnen; so gibt es z.B. „Funginela mit ihren Fliegenpilzen“[6]. Gewinnen wird aber „Hicksis Schimmelstrudel“[7]. Und Hexe Nr. 2: wenn Daisy keinen Mann für Maio finden kann, dann wird Donald zwangsverheiratet (auch wieder sehr verharmlosend, dieses Thema …). Maio hat einen unbekannten, reimenden Verehrer: „Doch wo die Poesie versagt, ist das Schwert gefragt.“[8] Daisy besiegt diesen Minnereimer in einem Turnier – und der glücklichen Hochzeit steht nichts mehr im Wege. Für die Herrin der Sümpfe müssen die 2 Ds von 3 Riesen 1 Edelstein rauben. Das Chaos bricht aus: Donald, gefangen, wird von einem Riesen gefragt, wer er denn sei (seine Antwort zeigt, dass er Homer kennt, nein, nicht Homer Simpson!): „N-niemand!“ Und dann die anderen Riesen: „He Bruder, gibt’s ein Problem? – Stell dir vor, jemand wollte unsere Diamanten klauen! – So! Und wer? – Niemand!Pah![9]

Und Dagobert (I.) liefert wieder einmal ein typisches Lehrstück, warum für die (kapitalistische) Gier Einzelner ganze Städte (und Völker, ein ganzer Planet usw., wir kennen das …) leiden müssen. Gundel, schließlich von den drei Hexen besiegt, stellt nämlich klar, dass sie gar nicht Entenburg erobern und Königin werden wollte – es ging ihr nur um eine, um die Münze, um „Herrin der Hexen zu werden“[10]. Dagobert I., der sein privates Interesse sozialisiert hat, indem er seine Glücksmünze schützen wollte, wird von wütenden Untertanen verjagt.

41JBnlckoNL__SX347_BO1,204,203,200_II Onkel Dagobert entzaubert mit Max Weber die Welt

Es war einmal in einer Mickey Maus folgende Geschichte zu lesen: Dagobert Duck. Geheimnis des Reichtums.[11] (Nach Auskunft einer anderen Mickey Maus beläuft sich dessen Vermögen auf: „29 Fantastillionen, 42 Quadrillionen, 87 Billionen, 978 Milliarden, 313 Millionen 461356 Taler und 18 Kreuzer. Tendenz steigend.“[12]) Erstes Bild, Info oben links: „Ronald Plump, ein Geschäftsmann von eher zweifelhaftem Ruf, bei Dagobert Duck …“ Plump, eine seltsam unförmige Figur mit seltsam mattgelber Haarfrisur, möchte das Geheimnis seines Rivalen ergründen, woher denn dessen Reichtum komme. Die Antwort ist calvinistisch, rational und entzaubernd: „Weil ich sparsam und fleißig bin, Plump, deshalb.“ Plump stiehlt plump Dagoberts erstverdiente Münze, den Glückszehner, weil er von diesem magische Unterstützung erhofft. Dagobert reagiert gelassen auf den Raub – und wartet ab. Plump macht nun seine Geschäfte in abergläubischer Abhängigkeit von diesem vermeintlichen ‚Wunderzehner‘ und – scheitert. Dagobert schreit ihn an, er habe „‘Fleiß und Sparsamkeit‘“ gesagt! Plump: „Das reicht, Duck. Ich versuche mein Glück beim Fernsehen.“ Dagobert hat die protestantische Arbeitsethik als mentalitätsgeschichtliches Fundament des Kapitalismus in ihrer säkularisierten Variante absolut verinnerlicht: „Weber sagt, sie ist entzaubert, d. h. die moderne Welt wird nicht mehr als von magischen oder göttlichen Mächten durchwirkt angesehen. Indem Geister und Götter aus der Natur verschwinden, wird Natur erfahrungswissenschaftlich und experimentell wahrnehmbar und technisch beherrschbar. Der Rationalismus ist nicht nur in der kapitalistischen Wirtschaft zu Hause, sondern er durchzieht alle gesellschaftlichen Bereiche wie Wissenschaft, Staat, Recht, Verwaltung und Kunst.“[13]

III Das Post-Faktische schlägt zurück und Die Rückkehr der Wahrheitsritter

„Im Netz der Lügen“[14] – eine Phantomias-Geschichte: Ein durchgeknallter Schurke will historische Fakten zu seinen Gunsten umschreiben und deshalb das Internet manipulieren. Ein Bildschirm, zu sehen eine kubusförmige Erde – folgender Text: „Die Erde war ein Würfel, eh sich die Ecken abgenutzt haben.“ Phantomias: „Aber den Unfug glaubt doch kein vernünftiger Mensch!“ Daniel Düsentrieb: „Das sagst du so! Doch leider leben wir in postfaktischen Zeiten!“ „Zwei plus zwei ist Grün mit einem Stich in Blaue![15] Der einzige Weg: aufrichtig vor den Usern die Wahrheit sagen, sie bekennen, die Masken fallen lassen! Phantomias: er habe „panische Angst vor Spinnen!“ Andere z.B., der Butler von Onkel Dagobert: „Ich habe über dai2Nacht das Licht brennen lassen!“ Dagobert dreht durch: wolle er ihn ruinieren? Und der Panzerknacker-Opa gesteht: „Ich habe gestern für Geld gearbeitet!“ Die Panzerknacker fürchten nun um ihren schlechten Ruf … Aber es funktioniert, solch eine Performanz von Authentizität! „Der Palast der Lügen“ wird zerstört.[16]

Donalds Trampelhaftigkeit führt immer wieder zu tragi-komischen Situationen, wenn er egoistisch agiert: auch haben wollen – das Glück der anderen oder Reichtum wie sein Onkel. Und seine Triumphe? Wenn er sich heroisch für seine Neffen einsetzt, wenn er romantisch (gut, nach seinen Möglichkeiten romantisch) um seine Verlobte Daisy wirbt und wenn er als Phantomias für alle gegen das Unrecht kämpft, ideologiefrei – eben ein Held!

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Viele Essays und Aufsätze von M. Pohlmeyer sind in gedruckter Form in der Reihe „Flensburger Studien zu Literatur und Theologie“ (Igel Verlag) erschienen.


 

[1] Lustiges Taschenbuch 486, 151-182. (Daraus die Zitate)
[2] Vgl. dazu: H. Weddige: Mittelhochdeutsch. Eine Einführung, 8. Aufl., München 2010, 136: „wīp […a]llgemein «Frau» als Bezeichnung für das weibliche Geschlecht – wie […] man für das männliche: ein man ein wīp, ein wīp ein man, Tristan Isolt, Isolt Tristan. […] In der Gegenwartsprache wird «Weib» als abwertend empfunden und durch «Frau» ersetzt […].“
[3] Zitate von LTB 486 (s. Anm. 1), 161.
[4] Vgl. dazu LTB 486 (s. Anm. 1), 153.
[5] LTB 486 (s. Anm. 1), 162.
[6] LTB 486 (s. Anm. 1), 166.
[7] LTB 486 (s. Anm. 1), 166.
[8] LTB 486 (s. Anm. 1), 169.
[9] LTB 486 (s. Anm. 1), 177. Vgl. dazu Homer: Die Odyssee, Übers. a. d. Grundlage v. Johann Heinrich Voß, Husum/Nordsee 2014 (Neunter Gesang, 103-116; dort Vers 366 ff. Odysseus, gefangen vom einäugigen Polyphem, wird gefragt, wie er heiße? Niemand! … und entkommt aus der Höhle von diesem Menschenfresser, indem er ihn blendet; der darauf, nun blind, gefragt von anderen Zyklopen, wer ihm das angetan habe: Niemand!)
[10] LTB 486 (s. Anm. 1), 180.
[11] Mickey Maus (18.08.2017), 42-48. Daraus auch alle Zitate entnommen.
[12] Micky Maus (25.08.2017), S. 20.
[13] V. Kruse – U. Barrelmeyer: Max Weber. Eine Einführung, Konstanz – München 2012, 72. Vgl. dazu auch M. Weber: Die protestantische Ethik und der »Geist« des Kapitalismus, hg. v. A. Maurer, Stuttgart 2017.
[14] Lustiges Taschenbuch 497, 67-95.
[15] LTB 497 (s. Anm. 14): alle Zitate von S. 71.
[16] LTB 497 (s. Anm. 14): alle Zitate von S. 90 bis S. 93.

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