
Ein Löwe tötet einen Soldaten – Allegorie auf die Strafe Gottes für die Hochmut des Menschen. Romanisches Hauptportal um 1200 n. Chr. an der Kirche San Pietro fuori le mura, Spoleto (Umbrien). Foto: Wiki-Commons Wolfgang Sauber
Die Kumpanei der Unangreifbaren
Von Felix Hofmann
Endlich ist die Menschheit im alternativlosen Zeitalter der Unfehlbarkeit angekommen. Die USA, wie immer, mit Abstand führend. Vollkommen in der Aufholjagd absorbiert: die Türkei. Aber auch Ungarn und Polen sind unfehlbar geworden. Nicht zu vergessen: Russland. Wobei es in den verschiedenen Beziehungen untereinander nicht ganz unproblematisch zugeht. Die ungarischen und russischen Unfehlbarkeiten sind offenbar kompatibel, und man macht in Symphatie füreinander, während die polnische und die russische Unfehlbarkeit sich gegenseitig ausschließen, weshalb man hier auf schonungslose Konkurrenz setzt und Kriegswaffen in Anschlag bringt, was dem Wesen und der Natur der Unfehlbarkeit selbstverständlich viel besser entspricht. Und noch seltsamer: trotzdem sind die gegenüber Rußland entzweiten polnischen und ungarischen Unfehlbarkeiten sich ansonsten ganz sympathisch.
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Die freundliche Unfehlbarkeits-Kumpanei zwischen Rußland und Türkei ist noch nicht ganz geklärt, wird aber ganz sicher an der Türkei scheitern, denn dort will man die Wiederkehr des Osmanischen Unfehlbarkeits-Reiches, was die Russen ganz und gar nicht mögen. Und man will zudem die Kurden abschaffen, möglichst viele, denn die sind keine richtigen, nämlich unfehlbare Türken, sondern zweifelhafte und unzuverlässige, also nur fehlbare. Die Konflikte laufen schon, demnächst werden dann vorbildliche Kriege daraus. Genau deswegen ist die Türkei im Nordatlantischen Bündnis, weil sie ja eine tausendkilometerlange Küste direkt am Nordatlantik hat, an der entlang man sich gegen die unwürdigen Fehlbarkeits-Attacken der Kurden verteidigen muß.
An solchen Ungereimtheiten kann man ganz gut den sich gegenseitig ausschließenden Führungsanspruch der USA und der Türkei erkennen, was die gehobene Unfehlbarkeit angeht, weshalb diese beiden jetzt zwangsläufig zu bellenden Feinden geworden sind, obwohl sie im selben Militärbündnis stecken. Wenn’s dann mal richtig zur Sache geht, werden die anderen Bündnispartner schwer in Bedrängnis kommen, wem sie jetzt vertragsgemäßBeistand zu leisten haben. Vielleicht beiden gleichzeitig? Wär’ja ganz hilfreich für die Rüstungsindustrie.
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Aber auch, sozusagen auf den niederen Ebenen, ist die Bedrängnis schon losgegangen: Ungarn ist tatsächlich noch ein bißchen unfehlbarer als Polen, zum Ausgleich dafür haben beide, Polen und Ungarn, einen ganz klaren Unfehlbarkeitsvorsprung vor der Regierung des Freistaats Bayern, dessen fast fertig ausgebrütete Unfehlbarkeit noch nicht ganz so innerlich gefestigt ist wie die in Polen und Ungarn, aber schon ein gutes Stück Weg dorthin vorangekommen, was die Bayern mal wieder zur Avantgarde für Deutschland macht, wie so oft. Und alle haben ihre ganz speziellen Beziehungen zur russischen Unfehlbarkeit. Hinzu kommen die freundschaftlichen Gefühle Griechenlands zum ebenfalls im Unfehlbarkeits-Karussell sitzenden, aber, zumindest in Griechenland und Europa, relativ leise auftretenden China, was wiederum der Verachtung der Griechen gegen die türkischen Unfehlbarkeits-Zumutungen auf dem selben Rummelplatz ein bißchen Auftrieb gibt. Da weißbald keiner mehr, wer wem, im Falle eines Falles, wirklich helfen soll in diesem Vertragsbündnis, das EU heißt, und in dem es trotz des Us sogar an einer Minimal-Einigkeit mangelt, wie man gegen die Unfehlbarkeit der Russen mit ihren Sympathisanten vorgehen soll, da man es ja noch nicht mal ansatzweise zu einer eigenen EU-Unfehlbarkeit gebracht hat.
Das nur als kleine Beispiele, um zu zeigen, daßes sogar zu den derzeitigen Bestleistungen in der Unfehlbarkeits-Olympiade noch Komparative und zum höchsten unerschütterbaren Bewußtseinszustand noch sportliche Überlegenheiten gibt, was man eher nicht vermutet hätte. Daran wird klar, so richtig bis in den letzten Winkel durchdacht ist die Unfehlbarkeit noch immer nicht. Wenn man allerdings an dieser volkstümlichen und dabei aber trotzdem erstrebenswerten Denkart weiter hart arbeitet, kann man so unangenehme Sachen wie Pleonasmen, Tautologien und andere weltliche Verschmutzungen in Zukunft womöglich irgendwann doch noch vermeiden.
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Angesichts der 52%, die jetzt mit knallharter, zugleich aber grundehrlicher Sturheit gegen 48% durchgesetzt werden, kann man sagen: auch England hat nun seine Ansprüche auf Unfehlbarbeit angemeldet, was das an solcher Hyper-Politik im Moment eher desinteressierte Schottland demnächst auf brutalste Art und Weise zu spüren bekommen wird. Von der Grenze zwischen Irland und Irland gar nicht erst zu reden.
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Nachdem es vor einigen Jahrzehnten wegen übertriebener Anwendung seiner selbstfabrizierten kulturellen wie rassischen wie militärischen Unfehlbarkeit aus dem erlauchten Kreis der damals relevanten – also Geschichte machenden – Nationen hinausgeworfenen worden war, hat sich das seitdem geläuterte, demokratisch-nette Deutschland durch Erfindung einer ganz neuen Art von Politik auf die heute relevante Warteliste gesetzt, auf die zur Erlangung von moderner, auch in nicht-unfehlbaren Ländern anerkannter Unfehlbarkeit, die, um die gemäßigte Version zu betonen, umbenannt wurde in Alternativlosigkeit. Es handelt sich dabei um die provinzielle, aber dennoch nicht harmlose Behauptung von Irrtumsabstinenz in Politik, Bürokratie und Zeitgeist, die zugegebenermaßen nicht vergleichbar ist mit dem massiven Unfehlbarkeits-Kultstatus, den die USA und die Türkei inzwischen weltweit erreicht haben, und ebenso nicht vergleichbar mit dem Überangebot von Unfehlbarkeiten in Nordkorea, vielleicht aber ein bißchen mit der lupenreinen Alternativlosigkeit in Russland, die interessanterweise vom Alternativ-Deutschtum besser verstanden wird als vom Durchschnitts-Deutschtum, von dem sie zuerst diagnostiziert wurde. Diese andersartigen Deutschen sind genau in dem Augenblick aus dem allgemeinen Polit-Dung erwachsen, als die führenden Politikpersonalien der Durchschnitts-Deutschen verkündeten, zu ihnen gäbe es keine Ablösung, keine Abwechslung, keine Alternative. Was folgerichtig dazu führte, daß auf der Stelle die exakt zur staatlich gelenkten Gleichschaltung passende Komplementär-Gleichschaltung zur Volkspartei wurde – genau wie ihre Feinde: halb griesgrämig, halb trotzig, und als Bonus auch noch ein bißchen giftig. So gibt es jetzt in Deutschland zwei konkurrierende Unfehlbarkeiten, die ihren gegenseitigen Geschwister-Hass mit viel medialem Aufwand inszenieren, und darüber ganz vergessen, daßdie Alternativ-Selbstherrlichkeit aus der Durchschnitts-Selbstherrlichkeit hervorgegangen ist, weshalb beide dazu verdammt sind, für immer ein schwelgerisches Dasein in symbiotischer Lebensgemeinschaft zu führen. Denn, wie wir alle wissen: die Alternativen gehen nicht einsam und allein auf das Ende der Demokratie zu, die Alternativlosen haben den Weg schon vorher entdeckt und sind auf ihn abgebogen. Die ergiebigsten und immer weiter sprudelnden Quellen für das Alternativ-Deutschtum sind die Christlichdemokratischen (deutschstämmig), die ihren im Namen geführten Unionismus mit fortgesetzten Loyalitätszumutungen zerdeppert haben, und die Christlichsozialen (bayernstämmig), die den auch in ihrem Namen strahlenden Unionismus mit allzuviel autoritärer Vehemenz aufgeladen haben. Die Alternativdeutschen sind bloßeine Abspaltung von diesen beiden. Und wenn’s irgendwann drauf ankommt – das soll heißen: wenn’s in den Endkampf gegen Links- und Öko-Unfehlbarkeit geht – wird es natürlich eine glorreiche Wiedervereinigung geben. Auf den untersten Polit-Ebenen, die der Natur der überregionalen Massenmedien gemäßkeine Beachtung verdienen, sind die ersten Koalitionen zwischen bißchenrechts und vielrechts schon in Funktion. Nicht zu vergessen und nicht zu unterschätzen die zusätzliche Quelle, die ganz unabhängig von der großspurigen Politik sprudelt: die Massenmedien, insbesondere die Schlager- und Volksmusik-Sendungen im deutschen Gebühren-Fernsehen. Dauerwerbesendungen für’s völkische Gemüt. Und ein Ende ist nicht abzusehen.
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Alle Religionen sind, wie könnte es anders sein, seit jeher unfehlbar. Nach Außen hält die Attitüde einigermaßen, was sie verspricht, aber intern gibt’s – aktuell besonders auffällig im Islam – damit offenbar schwerste Probleme, die dazu führen, daßdie verschiedenen, ebenfalls griesgrämigen, trotzigen und immer schlecht gelaunten Ausprägungen über alle nationalen Ländergrenzen hinweg sich gegenseitig zu annullieren versuchen. Hier klappt es mit dem Komparativ und den sportlich-fair hinzunehmenden Unterlegenheiten noch nicht so recht. An dieser Stelle ist der nicht unwichtige, die gängige Hysterie vielleicht etwas korrigierende Hinweis angebracht, daßder Islam in den eigenen Reihen wesentlich mehr Leichen produziert, und zwar kontinuierlich und fast täglich, als ihm das auf den Hoheitsgebieten von Christen und Juden zwar nachgesagt wird, aber gar nicht so gut gelingt.
Das Christentum hat und kultiviert seine nicht minder eindeutigen Gelüste auf Unfehlbarkeit, ist aber, anders als in früheren Jahrhunderten, zu deren Durchsetzung nicht mehr so ohne weiteres bereit, Scheiterhaufen, Folterungen, Enthauptungen und Massenexekutionen einzusetzen. Aber, man weißja nie, was alles aus der Geschichte wieder aufgewärmt wird, denn so weit weg sind die gefeierten Massen-Exekutionen im spanischen Bürgerkrieg, bei denen sich Militär und Katholizismus verbündeten, um die demokratischen Nachbarn auszurotten, nun wirklich nicht; und auch nicht die Jugoslawienmassaker, in denen Orthodoxe und Katholiken einander mit nicht zu übersehender Entschiedenheit abschlachteten; und auch nicht die Nordirlandbomben, mit denen Protestanten und Katholiken einander mit wachsender Begeisterung zerfetzten, eine sauber und klar gezogene Frontlinie, die noch heute existiert und jederzeit wieder re-animiert werden kann.
Da bringt man als treues Mitglied des weltweit organisierten Gesamt-Christentums schon auch ein paar Tote mit auf die Waage, um in der Konkurrenz zu anderen organisierten Religionen bestehen zu können, auch wenn diese sich im Moment ein bißchen virulenter aufführen als die etwas in die Defensive geratene organisierte Bibel-Leserschaft.
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Um noch ein wenig bei den Christen zu verweilen: die Unfehlbarkeit der polnischen, russischen und ungarischen Ostchristen generiert ganz andere Handlungsanweisungen als die alternativlose Mitmenschlichkeit der Westchristen in Schweden, Norwegen, Dänemark, Holland, Deutschland (angeführt von den Bayern, Sachsen und Nordrheinwestfalen). Na ja, sagen wir: vorläufig noch. Denn man mußdarauf hinweisen, daßsowohl die Dänenchristen als auch die Schwedenchristen als auch die Hollandchristen sich gerade Hals über Kopf aus der bedingungslosen Hilfsbereitschaft verabschieden, und die Deutschlandchristen dann wohl auch (angeführt von den Bayern, den Sachsen, den Nordrheinwestfalen). Und nicht zu vergessen, daßder norwegische Massenmörder Breivig sich wortreich aufs Christentum berufen konnte und das noch immer tut, ohne den Rauswurf aus seiner Religionsgemeinschaft zu riskieren.
Auch in Israel hat man seit einiger Zeit diverse Unfehlbarkeiten für sich entdeckt und wendet sie seitdem in Politik und Religion konsequent an. Es gibt im Land aber eine Opposition dagegen. Die ist natürlich fehlbar und steht daher fast immer außerhalb der schon genannten Relevanz, jenem imaginären Areal, von dem aus Geschichte gemacht wird. Dagegen ist sicher: an den Orthodoxen wird die welt-weit-wachsende Unfehlbarkeit noch viel Freude haben.
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Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Rassisten dieser Welt. Sie haben –deutlich bis zum Abwinken –die Unfehlbarkeit zwar in ihrer Desoxyribonukleinsäure, müssen aber noch an ihrem unsympathischen Image arbeiten.
Und im selben Atemzug die Digitalisierungs- und Internet-Propagandisten, die jetzt schon einen viel nachhaltigeren Zivilisationssprung für sich reklamieren als es Herrn Adolf H. gelungen ist, der statt ein tausendjähriges hinzulegen sich dann doch mit einem bloßdutzendjährigen Reich begnügen mußte. Die auf Digiribonukleinsäure laufenden Lebewesen planen mit Hilfe von Zahlen und Pixeln die Zukunft der Welt positiv zu sichern, und diesmal nicht mehr auf irgendeine willkürliche und daher lächerliche Dauer begrenzt, sondern nun als wirklich endgültige und unendliche Zivilisation. Aber natürlich mit derselben Methode wie bei allen anderen Menschheitsrettungen: durch Alternativlosigkeit.
Trotz gegenteiliger Beteuerungen und breit gestreuten Illusionen der Digisäure-Generation, die uns weismachen will, das heilige Welt-Netz sei die größte Revolution aller Zeiten mit dem größten Befreiungspotential aller Zeiten, hat sich das blutströmende, gasverseuchte und bombenknallende 20. Jahrhundert überhaupt nicht revoluzzerhaft sondern ganz bruchlos und kontinuitätsbewußt ins zwar digitalströmende aber doch weiterhin auch blutströmende, gasverseuchte, bombenknallende 21. fortgesetzt. Die Anfänge, das erste und zweite Jahrzehnt, sind sehr vielversprechend verlaufen. So viele schöne und bunte Kriege und Bürgerkriege mit so viel jubelnder Beteiligung von so vielen schönen bunten Smartphone-Bildchen und Internet-Filmchen wie zur Zeit hat’s noch nie zuvor in den Massenunterhaltungsmedien gegeben. Die digital in alle Welt verbreiteten Haß-, Folter- und Totschlag-Phantasien sind denen aller vorhergehenden analogen Zeitalter schon heute weit überlegen. Auf diesem Sportfeld der welt-weit-wabernden Unfehlbarkeits-Siegermentalität sind die Digital-Freaks tatsächlich mit weitem Vorsprung führend, und somit vielleicht doch ein bißchen revoluzzerhaft.
Wer heute nicht durchdigitalisiert ist und keine persönlichen Beziehungen zum Welt-Fangnetz unterhält, fliegt raus aus der allerneuesten Idee von fehlerfreier Zivilisation mit ihren zu gleichgeschalteten Zahlenreihen heruntergewirtschafteten Selbstbestätigungen und in verstümmelter Sprache verewigten Dummschwätzorgien. Aus meiner Sicht ein schmeichelhafter Rauswurf.
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Was all diese Unfehlbaren noch lernen müssen: ihre Herrschaftsansprüche den fehlbaren Untersubjekten (das sind die Desinteressierten), den zögernden Unrelevanten (das sind die Optimierungsskeptiker) und den unverbesserlich Unverständigen (das sind so welche wie ich) schmackhaft zu machen, um endlich Einhelligkeit, Gleichgesinntheit und Mitläufertum herzustellen. Keine einfache Aufgabe.
Besonders die derzeit unangefochtenen Unfehlbarkeits-Riesen, die frei gewählten Führer der USA, Rußlands und der Türkei, werden uns in ihrer ganzen Medien-Glorie noch viel unwiderlegbar legitimiertes Gemetzel und rhetorisch optimierten Wahn zu unserer Unterhaltung und Belustigung liefern –die unvermeidbare Konsequenz von Unfehlbarkeit. Das Beharren auf dem no-fake-ideologischen Endsieg und der no-fake-genetischen Überlegenheit wird in dem Zustand der Gnade, in dem diese Unfehlbarkeits-Charaktere sich inzwischen befinden, niemals nachlassen, und deshalb werden sie niemals nachgeben.
Die Macht der Unfehlbarkeit besteht nicht darin, was ihr Name verspricht, sondern darin, die Fehler, die sie macht, leugnen zu dürfen und sich niemals korrigieren zu müssen. Diese Macht kommt also nicht aus ihrem unanzweifelbaren Setzen von Wahrheit sondern aus ihrer Unangreifbarkeit.
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Es kann sein, daß etwa ein Dutzend weltweite Unfehlbarkeiten ausreichen, um den Planeten in diesem, dem 21. Jahrhundert, nun doch endgültig zu ruinieren, was dem 20. nur bruchstückhaft gelungen ist. Man muß kein Monstrum sein, dies hin und wieder in trüben Sekunden vorherzusagen. Dann wäre ich, dummerweise, selber unfehlbar, zumindest in meinen prophetischen Fähigkeiten, was ich gar nicht sein möchte. Oder vielleicht doch. Wenn man die Unfehlbarkeit professionell auf die Spitze treibt, würde der Planet, dessen Leit-Bewohner sich für die Macher und Manager der besten aller möglichen Welten im ansonsten kalten, schwarzen und menschenfeindlichen Universum halten, implodieren: das Ende des endlichen Wesens mit den unendlichen Ansprüchen; der Beginn tatsächlicher Alternativlosigkeit.
Denn möglicherweise ist das Universum gar nicht so dogmatisch und selbstherrlich, wie wir uns das vorstellen, sondern entwicklungs- und weiterbildungsfähig, und sieht in der Menschenleere – also der Abwesenheit von Mördern und Selbstmördern –tatsächlich was Erstrebenswertes. Das würde bedeuten, es hätte nach all den Lichtjahren Universalgeschichte gelernt, daßes selber nicht unfehlbar ist und wir, die Mörder und Selbstmörder, von all seinen Irrtümern der fatalste und finsterste sind. Deshalb hat es damit angefangen, uns zu eliminieren, was wir selber natürlich wieder nicht verstehen und aufgrund der uns eigenen Dünkelhaftigkeit für Selbst-Eliminierung halten. Wir glauben inzwischen fest daran, daßwir es selber sind, die unsere Lebensgrundlage zerstören, daßwir es selber sind, die jeden verdammten Tag die Natur ruinieren. Und wir machen immer weiter so, damit es auch ja nicht zu lange dauert. Wenn man sonst nichts hat, worauf man stolz sein könnte, dann doch wenigstens die Apokalypse selber herstellen und nicht irgend jemand anderem überlassen, den keiner kennt und nie jemand gesehen hat. Und wenn wir schon an unserem Untergang arbeiten und an dem unserer Spezies, dann wollen wir auch dabei sein und alles genau erleben und mitkriegen, wenn es endlich passiert.
Und dazu passend werden wir natürlich nicht wie Opfer einfach passiv alles über uns ergehen lassen, sondern den Lustbarkeits-Tanz dazu aufführen, zu dem alle bisherigen verschmelzen werden: den Apo-Calypso.
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Wie wäre es mit folgendem, abschließendem Gedanken? Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion, nämlich der Selbstbelustigungsakt eines phantastischen Kreativ-Organismus, der sich Milliarden von Jahren hindurch geärgert hat, daßder desorganisiert herumwirbelnde Weltraumstaub und das desorientiert herumirrende Sternenlicht zu blöd sind, ihn zu unterhalten, geschweige denn angemessen zu ehren und anzubeten, weshalb sich der verärgerte Gelangweilte dann endlich daran gemacht hat, irgendein kompliziertes und daher auch störungsanfälliges Lebewesen (Gestörtheit erhöht den Unterhaltungswert) für den bescheidenen Eigenbedarf auszutüfteln, diesem aber ein Jux und Remmidemmi versprechendes Gen zur Selbstwahrnehmung (wissenschaftlicher Name: Reflexion) eingepflanzt hat, mit einem Untergen, das in der Lage ist, glaubhaft die Fähigkeit zur Selbstoptimierung zu simulieren, woraufhin die Selbstwahrnehmung tatsächlichüber die Jahrtausende hinweg davon überzeugt ist, die Störanfälligkeit würde nach und nach durch immer weiter verbesserte Reparaturen beseitigt, was wiederum Entwicklungsfähigkeit signalisiert und irgendwann dazu führte, daßdieses endliche Wesen in seinen Selbsterneuerungsorgien Ansprüche auf Unendlichkeit anmeldete, eben bei genau dem phantastischen Organismus, der das alles ziemlich dilettantisch losgetreten hatte, bloßum sich nicht mehr zu ärgern und zu langweilen, woraufhin das sich immer weiter selbstoptimierende Wesen tatsächlich anfing, seinen Hersteller-Organismus zu loben und zu preisen, also den ursprünglichen Plan zu erfüllen, was wiederum die unfehlbaren Anthropozentriker uns seit Jahrtausenden beizubringen versuchen. Inzwischen jedoch mußte der phantastische All-Verursacher einsehen, daßdie Vergabe dieses Selbstwahrnehmungs-Gens mitsamt seinen Untergenen ein fataler Fehler war, der Ursprung aller Probleme und somit auch des Unfehlbarkeitswahns, der ja per definitionem für den Kreativ-Organismus reserviert war.
Wie wird man eine Fehlkonstruktion wieder los? Man konstruiert ein Quarantäne-Raumschiff, einen Sonderplaneten im All, auf den alles Kranke, Kaputte, Unerträgliche verbracht wird, alles Untragbare, was keinem anderen Ort im All zugemutet werden kann, auch alle Fehlkonstruktionen und sonstige Infektionen, um das restliche Universum nicht damit zu belasten oder anzustecken, und dann überläßt man die Dinge ihrem natürlichen Lauf, der darin besteht, daßdie gestörten Leit-Bewohner dieses auserwählten Planeten irgendwann ihren Lebensraum demolieren werden, weil sie sich selber hassen: ihre selbst geschaffenen Kulturen und Kulturabfälle, ihre selbst erfundenen Denk- und Herrschaftssysteme, ihre selbst konstruierten Techniken aller Art; einfach alles, womit sie sich umgeben haben und wovon sie leben, am Ende eben auch ihren Raumschiff-Planeten, den einzigen, der ihnen zusteht.
Also Leute — mehr Tempo! Endspurt! Planerfüllung!
© 2018 / Felix Hofmann