Agents of Marvel
– In den Comics haben die Superhelden des Marvel-Verlags ihre besten Zeiten schon lange hinter sich, aber im Kino feiern sie einen Erfolg nach dem anderen. Jetzt kommen sie auch ins Fernsehen. Lutz Göllner freut sich.
Etwas überraschend war es schon, dass ausgerechnet die B-Serie um die Agenten von S.H.I.E.L.D. als erster TV-Spin-off erwählt wurde. Eine regelmäßige Comicheftserie um den charismatischen, einäugigen Agentenführer Colonel Nick Fury gab es seit Jahren nicht mehr. Überhaupt war S.H.I.E.L.D. tief in den 60er-Jahren verankert. Damals stand die Abkürzung für „Surpreme Headquarters, International Espionage, Law-Enforcement Division“ und war als Spionageorganisation der Vereinten Nationen deklariert.
Der Kirby-Schüler Jim Steranko – selbst ein so schräger Vogel, dass man Filme über ihn machen müsste – definierte die Serie ab 1967 durch seine fantasievollen, überbordenden Layouts (über die Handlungen reden wir mal lieber nicht), die stark ins Psychedelische und die Pop-Art reinspielten. Es war die Zeit der ersten Bond-Filme, im Fernsehen liefen erfolgreiche Agentenserien wie „Men From U.N.C.L.E.“, und S.H.I.E.L.D. kämpfte gegen kommunistische Superagenten, alte Nazis und außerirdische Welteroberer. Der auf Zigarren herumkauende WK2-Held Nick Fury, der dank eines geheimen Serums nicht alterte, war über Jahrzehnte eine interessante, aber nie besonders erfolgreiche Nebenfigur im Marvel-Superheldenuniversum. 1998 wurde er in einem in Berlin spielenden, irre schrägen Fernsehfilm ausgerechnet vom Anti-Schauspieler David Hasselhoff verkörpert, ein Klassiker des So-doof-dass-man-Augenkrebs-kriegt-TVs.
Kleiner wirtschaftlicher Einschub: Andere Marvel-Helden werden in den Filmen des Marvel-Kino-Universums meist nicht erwähnt. Das liegt daran, dass der Verlag alle Filmrechte an verschiedene Studios verkauft hat, als er in den 90er-Jahren kurzfristig pleite war. Spiderman wurde seitdem von Sony produziert, die X-Men sind Filmhelden bei 20th Century Fox, genau wie die Fantastic 4, die zwischenzeitlich bei Bernd Eichingers Constantin geparkt waren, und das „Giant-Sized Man-Thing“ (sexistische Witze bitte hier einfügen) wurde von Lionsgate ins Kino gebracht. Der inzwischen zu Disney gehörende Marvel-Verlag hat sich mit Universal – die auch die Kinorechte am Hulk hielten – und kürzlich auch mit Sony geeinigt: Marvel/Disney produziert die Filme, die Konkurrenz übernimmt den Vertrieb.
Warum lebt Agent Coulson?
Im Jahr 2000 startete der Verlag sein verjüngtes Paralleluniversum „Ultimate“, in dem Nick Fury zum Schwarzen wurde. Da war es in Folge nur logisch, dass Fury in den Filmen von Samuel L. Jackson gespielt wurde. Im Ultimate- und Film-Universum wurde Fury zum einflussreichen Strippenzieher hinter den Kulissen. Er beaufsichtigte Iron Man, versuchte den Hulk zu lenken, machte Captain America zum Agenten und führte im ersten „Avengers“-Film die Marvel-Superhelden zu einer schlagkräftigen Truppe zusammen. Dummerweise wurde dabei sein Einsatzleiter, der charismatische Agent Coulson getötet.
Warum und wie Coulson dann zum Teamleiter der „Agents Of S.H.I.E.L.D.“ (das Akronym steht inzwischen für „Strategic Homeland Intervention, Enforcement And Logistics Division“) wird, das ist eines der großen Geheimnisse, um die sich die gesamte erste Staffel der Serie dreht, die in den USA bei ABC lief. Coulsons Team besteht aus den altgedienten Agenten Melinda May und Grant Ward, den beiden Newcomern Leo Fitz und Jemma Simmons, die als Wissenschaftler ganz schön viel Superhelden-Brimborium weg erklären müssen, und der Computerhackerin Skye, die eine dunkle Vergangenheit hat. Gemeinsam düsen sie im „Bus“, einem Flugzeug, das vertikal starten und landen kann und allerlei Technikgedöns enthält, von Auftrag zu Auftrag.
Etwas problematisch ist die TV-Serie schon, denn nach einem grandiosen und witzigen Pilotfilm – unter der Regie von Joss Whedon – kommt erst einmal … nichts! Viele Folgen lang beschränkt man sich auf den Charakteraufbau und ganz viel Wassertreten. Es ist als ob Whedon, der zusammen mit seinem Bruder Jeb und seiner Schwägerin Maurissa Tancharoen die Serie als ausführender Produzent betreut, für Monate verschwindet und erst gegen Ende der ersten Staffel wieder auftaucht. Aber dann …
Dann finden parallel im Kino die Ereignisse von „Captain America – Winter Soldier“ statt, S.H.I.E.L.D. wird zerschlagen, Nick Fury geht in den Untergrund und der Status Quo für seine Agenten ist dahin. Das ist dann schon ziemlich spannend, gut konstruiert und hat am Ende der Staffel einen Mörderkliffhänger, aber unterm Strich sind die „Agents“ doch etwas lang und wirr geraten.
Der Mann ohne Furcht
Den Fehler mit den Wassertretfolgen begeht „Daredevil“ nicht, die gesamte erste Staffel lässt sich zwar auch viel Zeit, bis Matt Murdock zum ersten Mal das Kostüm anzieht. Aber unterm Strich sind 13 Folgen eben doch viel angenehmer zu verfolgen als 22 Folgen. Die Geschichte des Rechtsanwalts Murdock, der als Kind durch einen Chemikalienunfall sein Augenlicht verliert und nun, ausgestattet mit extrem erhöhten Restsinnen (Gehör-, Geruch-, Geschmack- und Tastsinn werden durch eine Art Fledermausradar ergänzt), nachts auf Verbrecherjagd geht, ist ökonomisch erzählt: Zunächst rennt Matt einfach in schwarzen Trainingsklamotten herum, zieht sich eine Beaniemütze vors Gesicht und patrouilliert wie ein Ninja die Straßen des New Yorker Stadtteils Hell’s Kitchen (der heute Clinton heißt und längst gentrifiziert wurde).
Allerdings verabschiedet sich Marvel mit „Daredevil“ von seinem familienfreundlichen FSK-12-Image. Murdocks Kampf gegen kleine Dealer, bestechliche Polizisten und das große Verbrechen (Vincent D’Onofrio ist als Wilson Fisk, Kingpin des Verbrechens, einfach umwerfend bedrohlich) lässt den halbgaren „Darevevil“-Film von 2003 komplett vergessen. Die Serie ist düster, brutal und überaus blutig, orientiert sich eher an Frank Millers rechts-populistischen Vigilantenfantasien als an Joss Whedons knallbunter Superheldenwelt. Und auch wenn man „Daredevil“ sehen kann, ohne gleich zum Experten für das Marvel-Filmuniversum zu werden, so sind in der Serie doch verschiedene Ostereier versteckt. Matt Murdock und Agent Skye sind scheinbar im gleichen Waisenhaus aufgewachsen, natürlich hat der alte Marvel-Chef Stan Lee einen – diesmal nicht leicht zu entdeckenden – Gastauftritt und es gibt gleich mehrere Anspielungen auf den nächsten „Captain America“-Film, „Civil War“, der in diesem Sommer in Babelsberg gedreht wird und 2016 über die Leinwände flimmern soll.
Wo das herkommt, gibt’s noch mehr
Auch in Zukunft wird Marvel sein Filmuniversum außerhalb des Kinos wohl weiter ausbauen. In den USA läuft bereits die zweite Season der „Agents Of S.H.I.E.L.D.“, in der sehr vorsichtig bereits der erst für 2018 angekündigte Kinofilm um die „Inhumans“ vorbereitet wird. In der Staffelpause nach Weihnachten wurde der achtteilige Spin-off „Agent Carter“ versendet, in dem die großartige Hayley Atwell einen weiblichen S.H.I.E.L.D.-Agenten in der Nachkriegszeit verkörperte und diverse Handlungsfäden zu Iron Man, Captain America und den Avengers ausgelegt wurden. Mitte April hörte man auch erstmals von Plänen für einen weiteren, noch titellosen „S.H.I.E.L.D.“-Spin-off.
Und auch bei Netflix geht man aufs weibliche Publikum zu: In „A.K.A. Jessica Jones“ wird Krysten Ritter eine ehemalige Superheldin spielen, die sich nach dem tragischen Verlust ihrer Kräfte als Privatdetektiv durchs Leben schlagen muss (Premiere später in diesem Jahr). Danach stehen die beiden düsteren Ghettokämpfer „Luke Cage“ und „Iron Fist“ auf dem Plan, bevor alles in der Miniserie „Defenders“ kulminieren soll.
Lutz Göllner
Agents Of S.H.I.E.L.D. – Die komplette erste Staffel: 5 Blu-rays. Marvel/Disney/ABC Studios. Laufzeit: 22 Folgen mit ca. 43 Minuten. Produktionsjahr: 2013. Darsteller: Clark Gregg, Ming-Na Wen, Brett Dalton, Chloe Bennet, Iain De Caestecker, Elizabeth Henstridge u.a., Gaststars: Bill Paxton, Cobie Smulders, Samuel L. Jackson, Jaimie Alexander u.a., Regisseure: Joss Whedon, Roxann Dawson, Jonathan „One Take“ Frakes, u.a. Erscheinungstermin: 16. April 2015. Sprache: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Daredevil – Season 1: Marvel/Disney/Netflix. Laufzeit: 13 Folgen mit ca. 45 Minuten. Produktionsjahr 2014. Darsteller: Charlie Cox, Deborah Ann Woll, Elden Hanson, Vondie Curtis-Hall, Rosario Dwason, Vincent D’Onofrio, Scott Glenn u.a. Regisseure: Phil Abraham, Nelson McCormick, Steven S. DeKnight u.a. Wird seit dem 10. April bei Netflix gestreamt. Sprache: Deutsch, Englisch.
DD: zweite Seasin ist bestellt für 2016; AoS-spin-off: Immer noch titellos, aber mit den Agenten Mockingbird und Lance Hunter, zwei Figuren, die wir erst in der 2. Season zu sehen bekommen;
Agent Carter: ab Mai auf Deutsch beim Bezahlsender Syfy