Geschrieben am 15. November 2016 von für Crimemag, Film/Fernsehen

Film: Jack Reacher – Kein Weg zurück

reacher1Vom Nutzen eines blinden Flecks

– Der zweite Jack Reacher-Film gerade aktuell im Kino, da hielt Katja Bohnet es nicht lange zuhause aus. Den musste sie schnellstmöglich sehen. Eine Filmkritik der etwas anderen Art.

Optische Konflikte

Seit Jahren lebe ich in einer gut funktionierenden Beziehung mit Jack Reacher. Jack weiß nichts davon, was Grundlage unseres Verhältnisses ist. Ich begleite ihn bei jedem seiner Abenteuer, seit zwanzig Romanen schon. Ich, die treue Leserin, bin Schutzengel und Garant dafür, dass er jedes seiner irrwitzigen Abenteuer überlebt. Einen kleinen Anteil daran hat vielleicht auch Erfolgsschriftsteller Lee Child, aber das ignoriere ich ganz gern. Und weil ich Jack so gut kenne, besuche ich natürlich „seinen“ Film.

Eine wichtige Voraussetzung muss ich mitbringen: den blinden Fleck. Tom Cruise wird für die nächsten 118 Minuten einfach ausgeblendet. Ich ertrage den optischen Konflikt mit dem überlebensgroßen Helden aus den Lee Child Romanen einfach nicht. Wie Reacher hat Cruise seine besten Zeiten schon hinter sich, aber das rettet meine perfekten Phantasien auch nicht mehr. Schwarzenegger fällt mir ein, „mimischer Minimalist“. Tom Cruise als Jack Reacher kann man sich vorstellen als eine Art lebendige Schwarzenegger-Hommage.

Nein, nicht Ja.

Reacher fährt also wieder einmal mit Bus und Bahn, hitchhiked sich durch Amerika. Nach monatelangem Telefonflirt mit seiner Nachfolgerin beim Militär sucht er endlich die schlagfertige Major Susan Turner auf. Ein weicher Zug an diesem unerbittlich harten Robin Hood. Späte Liebe, bahnt sich da etwas an? Als er überraschend in ihr Washingtoner Büro reinschneit, wird ihm berichtet, dass Turner wegen Spionageverdachts im Gefängnis gelandet ist. Kurz frage ich mich, ob Donald Trump das nicht auch passieren kann, aber Reacher lenkt mich von weiterer Realsatire ab. Natürlich merkt er, dass der Braten stinkt. Turner will zwar nicht, dass Reacher sich in ihre Angelegenheiten mischt, aber wie so viele Männer vor ihm kann Reacher ein „Nein“ nicht verstehen und denkt „ja“.

Hoher Munitionsverbrauch

Nebenbei stellt sich heraus, dass Reacher auch noch eine fünfzehnjährige Tochter haben soll. Eine Kellnerin hat ihn beim Militär angezeigt, weil sie auf Alimente hofft. Wenn man so lange wie ich in einer Beziehung mit Jack Reacher lebt, weiß man natürlich, dass das bogus ist. Jack ist ein Loner, der nur in Begleitung seiner Zahnbürste durch die Staaten zieht. Ein Korn des Zweifels bleibt jedoch. „Obdachlos“ nennt ihn der Sheriff, und das gefällt mir als Bild für einen Superhelden ausgesprochen gut.  Aber jetzt hat Reacher zwei Frauen, die er beschützen muss. Beide könnten das eigentlich auch ganz gut allein bewerkstelligen, aber dann gäbe es ja keinen Blockbuster, so traurig das auch ist.

Im Folgenden wird viel Munition verbraucht (allerdings doch weniger als bei „Capt’n Amerika“), ein Killer sondert während eines der überproportional vielen Telefonate eine Art philosophische Daseinsberechtigung ab, aber das versendet sich zum Glück. Reacher und Turner streiten sich in New Orleans, wer sich denn nun wegen der unglaublich schweren Aufgabe in Lebensgefahr bringen darf. Reacher bestimmt, dass die ihm ebenbürtige Susan Turner Kindermädchen für seine Tochter spielen soll, während er die Bösen stellt. Sie wehrt sich wenigstens halbherzig, bis Reacher einfach loszieht, um sein Ding durchzuziehen. Und das ist der Moment, wo ich ein bisschen kotzen muss.

child-never-go-back-blog427Wendungen

Was aber wie in den Romanen auch im Film unglaublich gut funktioniert: Szenen und Erwartungen werden in ihr absolutes Gegenteil verkehrt. Überraschungsmomente noch und nöcher. Mancher Film/Roman wäre froh, wenn er nur einen davon hätte. Im Abspann treffe ich einen Bekannten wieder, mit dem ich nicht gerechnet habe. Hitchcock hat es schließlich vorgemacht. Der Film ist aus, und der angetrunkene Mann mit dem Superriesenpopcorneimer verabschiedet sich so freundlich, als hätte er einen guten Abend neben mir verbracht. Ich ordne kurz meine Hormone. Mal ehrlich, die Tochter hätte es nicht gebraucht. Rein dramaturgisch, meine ich. Und der Showdown während einer Halloween-Parade ist auch ein alter Hut, den James Bond schon mehrmals aufgetragen hat. Wohlwollend verbuche ich es als Zitat. Das Thema: regierungskritisch, aber vor lauter Aktion dann auch wieder nicht. Solide Durchschnittskost, diesmal serviert von Regisseur Edward Zwick.

Abschließend frage ich mich, was ich eigentlich sympathisch an Jack Reacher finde. Dass er keine schmutzigen Klamotten wäscht? Dass er zu viel schwarzen Kaffee trinkt? Dass er auf Autoritäten nicht viel gibt? Sein trockener Humor? Starke Argumente, aber nicht so stark wie die Tatsache, dass Reacher dem Militär einfach den Rücken kehrt. Als Zuschauerin hat Reacher mich mal wieder ordentlich aufgemischt, aber viel mehr bleibt von „Kein Weg zurück“ auch nicht. Außer ein paar Schüssen, die noch nachhallen.

Die Gejagten von Lee ChildAber für unsere Beziehung gilt: in guten wie in schlechten Zeiten. In den nächsten Jack-Reacher-Film gehe ich natürlich wieder rein.

Katja Bohnet

Jack Reacher – Kein Weg zurück (Originaltitel: „Jack Reacher: Never Go Back“; nach dem gleichnamigen Roman von Lee Child), USA 2016. Regie: Edward Zwick; Darsteller: Tom Cruise, Cobie Smulders, Danika Yarosh, Austin Hébert.

Anm der Red.: Der deutsche Romantitel des Lee Child-Romans „Never Go back“ lautet „Die Gejagten“. Verlagsinformationen zum Buch hier.

Tags : , ,