Gier und Dummheit als Beschleuniger der Evolution
Natürlich sollte man an solch eine Besprechung nur jemanden heranlassen, der absolut unparteiisch in Sachen Dinosaurier wäre, der auf die Kohärenz einer evaluierbaren Handlung und deren Standards achten würde oder auf die nachhaltige Integrierbarkeit von Wesen mit anderem evolutionären Hintergrund, also jemand, der nicht nur die unglaublichen Effekte genießen würde, nein, sondern einer, der hinter dem schönen Schein das wahre Sein usw. Mag sein: während in Jurassic Park I die tricktechnische Präsentation der Dinosaurier noch revolutionär wirkte, kommt sie heute etwas altbacken daher. Vielleicht hätten, wurde gefragt, Federn zu einigen Theropoden sehr gut gepasst – oder generell etwas mehr Mut zur Farbe? Aber wer weiß das schon genau? Dieser Film verknüpfte zwei Themenbereiche: 1) Massensterben, die immer wieder mit unterschiedlicher Wucht in der Erdgeschichte aufgetreten sind, und 2) Gen-Manipulation.
Die Dinosaurier aus Jurassic World: Das gefallene Königreich sind durch einen Vulkanausbruch auf ihrer Insel bedroht; es kommt zu einer (vermeintlichen und heimlichen) Rettungsaktion. Gier und Dummheit beschleunigen das Aussterben der Menschheit. Wie Dr. Malcolm sinngemäß bemerkt: sie waren vor uns, sie werden nach uns bleiben, die Dinosaurier. Das Probleme mit den Genen faltet sich in drei Bereich auf: erstens die genetisch rekonstruierten Dinosaurier (hinzukommen noch Flugechsen und Meeresreptilien) – also der narrative, pseudowissenschaftliche Trick von Jurassic Park, das Ausgestorbene wieder zu erwecken; zweitens der Indoraptor – ein künstlicher Supersaurier, als Waffe einsetzbar – und drittens das Klonen von Menschen.
Maisie wird in dem Glauben gehalten, sie sei die Enkelin von Lockwood, der auch seine Aktien in Jurassic Park hatte; tatsächlich ist sie dessen geklonte Tochter. Während Held Owen und Heldin Claire zögern, die Dinosaurier vor giftigen Gasen zu retten, entlässt Maisie die Wesen, da irgendwie mit ihr ähnlich, aus ihren Käfigen in die Freiheit. Und nur Held, Heldin, Maisie und Blue zusammen können den Indoraptor besiegen. Die kapitalistischen Bösewichter werden vom Indoraptor verspachtelt oder von den freigelassenen anderen Dinosauriern … nun ja. Ein Stygimoloch[1] mit seinem Knochenschädel spielt zuerst noch eine Runde Billard in der Menge von Waffenhändlern, Oligarchen etc., die als Bieter in einer Auktion sich ein nettes Urviech kaufen wollten.
Und der Indoraptor schlängelt sich in finstʾrer Nacht wie ein Drache über den Giebel eines amerikanischen Herrenhauses mit seinem fast viktorianischen Flair. Kopfüber – der Horror funktionierte! Ich rutschte im Kinosessel hin und her. Die Dunkelheit um mich herum, ahnend, was da käme. Alles würde gut! Solch einen Effekt kann nur Kino hervorzaubern; ich konnte nicht flüchten – es gab nur die Jurassic World –, möchte mich wie Maisie unter der Bettdecke verkrümeln. Und natürlich eilt der Held zur Rettung! Aufatmen? Eben nicht: auch er ab unter die Bettdecke! Blue muss es wieder raushauen – dea ex machina, eine Göttin aus der (Gen)Maschinerie. Doch zurück, kopfüber öffnet also der Indoraptor mit seinen langen Krallen die Balkontüren zum Zimmer von Maisie – gleichsam ein Echo aus Jurassic Park I. Nebenbei wird die Evolution von Raptor Blue erzählt:[2] weg von einer Killermaschine hin zu einem intelligenten, empathischen Wesen, das sich mit kurzen Blick auf einen Käfig dann doch für die Freiheit entscheiden sollte.
Welch eine Leistung, den sterbenden Schwan zu geben …
Und die Bildsprache? Ein Jäger, im Grunde ʾne miese kleine Ratte (Der Verfasser wird hier ausfällig!), glaubt den Indoraptor in seinem Gefängnis betäubt zu haben; von oben sehen wir dessen schwarzen Umrisse, die schwarze Fläche des Riesen auf einem weißen Untergrund; und der Jagende schleicht sich vorsichtig heran, ohne zu wissen, dass er schon längst zum Gejagten wurde. Traurig, in wunderschönen Bildern, obwohl apokalyptisch, versinkt ein Brachiosaurus in dem Dampfschwaden des Vulkanausbruchs – er (genauer: sie[3]) steht an einem Steg, denn das rettende Schiff hat schon längst abgelegt. Der Mensch kann kaum retten, was er geschaffen hat, und was er gerettet hat, will er verkaufen. Und es entgleitet seiner Kontrolle. So brüllen sich schließlich ein Löwe und T-Rex gegenseitig an: müssen wir ernsthaft über den Ausgang dieses Duells spekulieren?
Am Ende des Filmes entfaltet sich die Ambiguität des Titels: ein gefallenes Königreich, das ist nicht nur die Vertreibung der Dinosaurier von ihrer Insel, sozusagen ihr zweites Aussterben nach der Kreide-Zeit, sondern auch das Ende des Anthropozäns[4], denn der Mensch muss jetzt die Erde mit einer neuen-alten Lebensform teilen. Nun, wenn ich das Kino verlassen habe, weiß ich, um die Ecke weidet kein Stegosaurus, in der Flensburger Förde schwimmt kein Mosasaurus und auf dem Dach gegenüber meinem Balkon parken nur die Nachfahren der Dinosaurier: Vögel. Schalte ich die Nachrichten, spüre ich aber: sie ist noch da, überall, diese Gier nach Macht und Geld … auf dem Weg zum Ende der Menschheit.[5]
Das Schlusswort gehört aber den Dinos: Welch schauspielerische Leistung eines Brachiosaurus, den sterbenden Schwan zu geben! Welche Selbstdisziplin eines Tyrannosaurus rex, sich schlafend zu stellen, als zwei merkwürdige Primaten von ihm (genauer: ihr) Blut abzapfen wollen! Welche Explosion an Emotionen, als der Stygimoloch mal so richtig die Sau rauslassen darf! Und welch elegisch-mutige Charaktertiefe von Blue, den Menschen zu helfen, um sie doch zu verlassen! Und der monstercoole Indoraptor? Hat einfach die Schnauze voll von und mit Menschen …
Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg.