Anämisches Papierkätzchen
Die Begeisterung von Susanne Saygin hält sich in Grenzen. Die Begegnung mit Tom Fords Film „Nocturnal Animals“ hinterließ enttäuschend wenig Eindruck. Hier lesen Sie, warum.
Der Kunstmarkt ist ein knallhartes Business, seine Geschäftspraktiken und Distinktionsmechanismen bieten Steilvorlagen für mehr als einen Thriller. Tom Ford war als Kreativdirektor von Gucci jahrelang erfolgreich in einem ganz ähnlichen Milieu unterwegs und hat mit seinem Regiedebut, A Single Man (2009), schon einmal gezeigt, dass er die unterliegenden Triebkräfte solch hochartifizieller Soziotope nicht nur durchschaut, sondern auch kongenial in Bilder umsetzen kann. Ein Tom Ford-Thriller, der in der Galerie-Szene von L.A. spielt, weckt daher hohe Erwartungen.
Umso enttäuschender ist das, was Ford jetzt in Nocturnal Animals an den Start bringt. Männliche Galeristen, das will uns der Film weismachen, sind sensibel, schwul und tragen lila Jackets, ihre weiblichen Gegenparts hingegen kleiden sich konstruktivistisch und verbringen ihre Zeit zwischen den White Cubes ihrer Galerien, opulenten Restaurants und den minimalistischen Sichtbetonwänden ihrer Luxusanwesen. Das hat ungefähr so viel Tiefenschärfe wie die Kunstmarktberichterstattung der Gala, und fast erwartet man, bei der Vernissage, mit der Nocturnal Animals beginnt, Vito Schnabel und Heidi Klum im Publikum zu finden.
Stattdessen fokussiert die Kamera auf die fiktive Gastgeberin des Abends. Die Stargaleristin Susan Morrow (Amy Adams) ist mittelalt, mittelhübsch und in zweiter Ehe mit einem smarten Geschäftsmann verheiratet, der gerade dazu ansetzt, sie gegen ein jüngeres Modell auszutauschen. Als Susan nach der Vernissage allein nach Hause zurückkehrt, findet sie in der Post ein Päckchen von ihrem Ex-Mann Edward, einem Schriftsteller, den sie zwanzig Jahre zuvor verlassen hat, weil er ihr zu erfolglos war. Jetzt schickt ihr Edward das Manuskript seines aktuellen, unmittelbar vor der Veröffentlichung stehenden Romans. Susan liest den ihr gewidmeten Thriller und empfindet dabei erstmals so etwas wie Reue über ihre damaliges Verhalten.
Das war’s denn aber auch schon in puncto Charakterentwicklung. Ansonsten pflegt Susan ihre Schlaflosigkeit und lebt in der Angst, wie ihre Mutter zu werden. Die hat etwa auf der Mitte des Films einen Kurzauftritt, und das, was Laura Linney in dieser wenige Minuten langen Cameo-Appearance als gealterte texanische Society Lady an kaum verkappter Aggression und Gefühlstiefe aufscheinen lässt, vermittelt eine Ahnung davon, was aus Nocturnal Animals hätte werden können, wäre Amy Adams‘ Susan nicht eine solche Nullnummer. Adams sagt tapfer bedeutungsschwangere Sätze auf und klimpert mit den wunden Lidern, aber es gelingt ihr einfach nicht, Susan zum Leben zu erwecken. Wie dieses anämische Papierkätzchen in derselben Liga wie Top-Galeristen vom Schlag eines Larry Gagosian mitspielen soll, bleibt vollkommen schleierhaft.
Nocturnal Animals wäre damit abgehakt, gäbe es nicht noch die zweite Handlungsebene. Dort wird der Thriller von Susans Ex-Mann Edward in Szene gesetzt. Jake Gyllenhaal spielt den biederen Familienvater Tony, der Frau und Tochter auf einem texanischen Highway an eine Gang krimineller Rednecks verloren hat und ein Jahr später mithilfe eines wortkargen Sheriffs (Michael Shannon) Rache an den Mördern seiner Familie nimmt. Gyllenhaal ist in Hochform, den Sheriff hätten die Coen-Brothers nicht besser scripten können, der Plot ist solide, das Timing sitzt – kurz, auch wenn man das alles so oder besser schon einmal gesehen hat, lässt man diesen Part von Nocturnal Animals als sehr ordentliches Genrekino durchgehen.
Nun sollen die beiden Ebenen – Susans zur Oberfläche erstarrte Kunst-Szene und die archaische Welt von Edwards Texas-Thriller – natürlich auf subtile Art miteinander verwoben sein und die Gewaltphantasien, die Edward in seinem Thriller entwickelt, sind offensichtlich als Reflektion auf Susans vermeintliche Grausamkeit , damit dieses Kalkül jedoch aufgehen könnte, müsste Susan, wie oben schon ausgeführt, schlichtweg mehr Fleisch auf den Knochen haben.
Das wiederum bringt mich zum vielleicht einzigen Grund, aus dem Nocturnal Animals wirklich sehenswert ist, nämlich den Vorspann des Films. Die fiktive Videoinstallation, die Ford für diese vielleicht dreißig Sekunden lange Sequenz erfunden hat, ist in ihrer alptraumhaften Schönheit tatsächlich große Kunst.
Nocturnal Animals; USA 2016; Regie und Buch: Tom Ford; Kamera: Seamus McGarvey; Musik: Abel Korzeniowski; Schnitt: Joan Sobel; Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Armie Hammer, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher, Michael Shannon, Laura Linney ; Länge: 115 Minuten.