Geschrieben am 3. November 2019 von für Crimemag, CrimeMag November 2019

Friedemann Hahn in Halle

Der Stoff aus dem die Träume sind

Friedemann Hahn – (nicht nur) zu „Der Maler und Dichter als Abenteurer“ im September/ Oktober dieses Jahres im Literaturhaus im Kunstforum Halle an der Saale – eine retrospektive Ausstellung von Werken aus den 1970er Jahren bis heute.

Friedemann Hahns Bildhelden sind die Protagonisten einer Welt am Abgrund, Gangster, Outlaws, Abenteurer, Femmes fatales, die großen Einsamen, und wie schon zu Beginn seines Werkes die Helden der Nacht, die Täter und Opfer, die Toten des Film Noir. Der Moviegoer Hahn feiert bereits in den frühen 1970er Jahre, lange vor der Zeit der „Neuen Wilden“ und der Rückkehr einer figürlichen Malerei in der Bundesrepublik Deutschland, erste Erfolge mit ungewöhnlichen Bildern von Hollywoods Leinwandgrößen, so z.B. Humphrey Bogart in „All Came True“ von 1944, Dorothy Malone und Rock Hudson in „Written on the Wind“ (1956), Humphrey Bogart und Florence Marly in „Tokyo Joe“ (1949), immer wieder die Gestalten aus der Schattenwelt der Schwarzen Filme und des Melodrams, aber auch so wenig Glamouröses wie eine kleinformatige Schwarzweiß-Serie mit Mauricio do Valle als Cangaceiro in Glauber Rochas „Antonio das Mortes“ von 1969 oder die erdrückende Schlussszene aus Francesco Rosis „Salvatore Giuliano“ (1962), in der der getötete Bandit, Pistole und Gewehr neben sich, in einem Innenhof in Castelvetrano, Sizilien, gekrümmt im Todeskampf erstarrt. Das Blut ist bei Hahn blauschwarz. 

Immer wieder widmet der Maler seine Leinwände den „Westernern der Nacht“ (Hans C. Blumenberg, 1969), Alain Delon in „Le Samourai“ (1967), Lino Ventura und Nadine Alari in „Le Fauve est Lâché“ (1958) oder Jean-Pierre Melvilles „Le Deuxième Souffle“ von 1966. 

Eines der zentralen Gemälde in der Hallenser Ausstellung – ein beklemmender Zufall, dass während die Bilder, die von Verbrechen, Liebe und Tod, von Verzweiflung und Verdammnis, von Freiheit und Qual handeln, im Literaturhaus hängen, nicht unweit der Ausstellung, ein von Hass Getriebener mordet und tiefe Wunden ins Fleisch der Gesellschaft schlägt – stellt eine Szene aus „Touchez pas au Grisbi“ dar („Wenn es Nacht wird in Paris“), dem legendären Film von Jacques Becker aus dem Jahr 1954, in dem Lino Ventura, ein bis dato in Frankreich und Italien bekannter Catcher, sein Leinwanddebut feiern konnte. Jeanne Moreau, britisch-französisches Geschöpf, 21 Jahre jung, debütierte schon 1949 in „Dernier amour“ (von Jean-Louis Richard, dem Hauptdarsteller erwartete sie nach den Dreharbeiten ein Kind). Friedemann Hahn wählt für die Gemälde, deren Motive den französischen Unterweltsfilmen entstammen, ganz anders als für seine Hollywood-Bilder, eine gebrochene, kühle, ja distanzierte Farbigkeit, grünliches Grau, lichtes Ocker, mit Rot abgemischtes Blau und Schwarz. Waren ihm die Filme der Schwarzen Serie Hollywoods, bei allem Realismus, märchenhaft entrückt vorgekommen, lebte er förmlich in den Szenen des französischen Gangsterfilms, der ihm näher schien, musste er ja nur eine grüne Grenze überschreiten, um dabei sein zu können.

Eng aneinander gedrückt Jeanne Moreau, Josy, und Lino Ventura, Angelo, der sich dem Betrachter zuwendet und ihn regungslos anstarrt. Sie scheinen überrascht, die Augen weit aufgerissen, ertappt, doch nicht verschreckt. Josy, legt ihre rechte Hand, sie trägt Handschuhe bis hinauf zum Oberarm, wie schützend auf ihr Dekolleté. Der Film basiert auf einer Romanvorlage Albert Simonins. „Der Originaltitel benutz einen Ausdruck der Unterweltsprache (Argot); grisbi ist die Beute aus einem Coup. „Touchez pas au Grisbi“ heißt also etwa: „Finger weg von der Beute“. Die Beute, das sind acht Goldbarren zu je zwölf Kilo im Wert von fünfzig Millionen Francs, die Max (Jean Gabin) und sein Freund Riton (René Dary) bei einem Überfall am Flughafen Orly erbeutet haben. Das ist vier Wochen her, und es soll ihr letzter Coup sein. Jetzt wollen sie Gras über die Sache wachsen lassen und sich zur Ruhe setzen. Aber Riton kann den Mund nicht halten und erzählt seiner Freundin Josy, einer Cabarettänzerin, dass er ausgesorgt habe. Davon wiederum erfährt Angelo, Chef eines Rauschgiftringes, der Josy mit Koks versorgt.“ (Karlheinz Oplustil in Filmgenres – Film Noir, Reclam, Stuttgart 2008). 

Sunshine Noir nennt das amerikanische Kino die Technicolor-Variante seiner Schwarzen Filme. Der Maler Hahn transponiert seine Hollywood-Bilder in hellste, klare Farbigkeit, und doch haftet ihnen eine beklemmende Düsternis an. Es ist nicht allein die lebensgroße Präsenz der dargestellten Figuren, ihre Leibhaftigkeit, nicht allein die giftigen Gelb-Grün-Kompositionen, die die Gemälde entrücken und so fern und so altertümlich erscheinen lassenWie mit dicken Farbschichten übermalt erscheinen diese Gemälde. Alles Leben ist in der Farbe, ist in der Struktur der Malerei verborgen. Anders die wenigen Gemälde, die Hahn aus den französchen Unterweltsfilmen filtert. Die Geschichten dieser Filme sind ihm nicht fern, Geschichten sind Geschichten und nicht mehr, sie halten die Bilder und Szenen zusammen, das ist ihre Funktion. Sie sind einfach nur da, malen kein Drama an die Wand, belehren nicht, entschuldigen sich nicht. Die Bilder erklären sich als eine übermalte Wirklichkeit, selbst durch die wie zurückhaltend coloriert anmutenden Filmszenen scheint die dunkle, die abgründige Schattenwelt der Motivvorlagen.

Am 25. September: Liebe deine Helden! Friedemann Hahn trifft Arthur Rimbaud und Vincent Van Gogh. Peer Uwe Teska, Polizeiruf und Tatort erprobter Schauspieler gibt den Rimbaud, Joachim Unger den Van Gogh; Friedemann Hahn liest aus seinem Kriminalroman Foresta Nera.

„Im 20. Jahrhundert ist der plötzliche Tod durch Unfall, Abenteuer oder vorsätzliche Gewalt, der oft die Jungen und Unschuldigen dahinrafft, so häufig und weit verbreitet, dass nur wenige demgegenüber eines gewissen dunklen Gefühls sich enthalten können. Automobil, Flugzeug und Eisenbahn (Kriege und Terrorismus muss man hinzufügen, sonst erscheint diese Gefahrenaufzählung aus dem Jahr 1969 zu gestrig und überholt) fordern einen so hohen Tribut, dass man sich kaum der Vorstellung erwehren kann, als nächster an der Reihe zu sein.“ (Gerard Malanga in Die Unsterblichkeit von Sharon Tate).

Und da sind wir wieder in Halle an der Saale, einer wenig verrückten Stadt in Sachsen-Anhalt, in der am Jom Kippur, am 9. Oktober 2019, eine standhafte Eingangstür zur Synagoge ein Massaker verhinderte. Wohl niemand außer einer Gruppe von rechten Gewaltbereiten hätte sich ein Massaker nur denken können, das schien so weit weg von unseren Leben. Viel weiter noch als Hollywood. Und die Bilder des Malers hingen im Literaturhaus, während auf der Straße gemordet wurde. Die Bilder erfüllten ihre Pflicht, sie waren da und zeigten sich. Ein Bild hat keine Wahl.

  • Friedemann Hahn. Der Maler und Dichter als Abenteurer. 6. September bis 12. Oktober 2019. Literaturhaus im Kunstforum der Halle-Saale-Sparkasse.
  • Friedemann Hahn. „Dann müssen es Helden sein …“ von Wolfgang Heger. Ein Porträt des Malers im Dialog. Reihe Ateliergespräche. Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale, 2019. 192 S., geb., 165 x 24o mm, zahlr. Farbabb., 25 Euro. 

Frage: Ist denn nich auch im Melodram ist das Element des Scheiterns angelegt?

Das Melodram lebt vom Scheitern; das Schicksal droht und dann schlägt es zu. Das ist die Dramaturgie. Anständig sterben, heroisch untergehen.

Was bedeutet der Film Noir für das Kino selbst? Warum ist er wichtig für die Malerei?

Ich weiß darüber nicht viel. Festzustellen ist, dass der Film Noir nicht tot zu kriegen ist, er taucht immer wieder auf, mit leicht veränderter Ästhetik, mit aktuellen Bezügen. Scheinbar kann das Kino nicht ohne ihn leben. Was die Malerei betrifft, stelle ich eine gewisse Wechselwirkung fest. Wenn ich an Edward Hopper denke, seine Bildmotive tauchen in den Filmen auf und umgekehrt, hat sich Hopper an den Einstellungen und der Beleuchtung für seine Kompositionen bedient. Ich selbst kann mir meine frühe Malerei ohne die Film-Stills und die Themen des Film Noir nicht denken. Später wurde die Ästhetik der Filmplakate und ihre Farbigkeit sehr wichtig. Ach die Farbigkeit der Filme Jean-Pierre Melvilles hat eine Zeitlang meine Bilder beeinflusst, gerade die Farbigkeit in „Le Samourai“, doch scheint mir die Farbigkeit stark geprägt von Henri Decae, dem Kameramann. Interessant ist auch der Comic, da gibt es ja einige Adaptionen des Roman Noir oder des Film Noir, später auch umgekehrt. Die Ästhetik verschiedener Comics war als Anregung für meine Arbeit wichtig, für die Malerei, aber auch für das Schreiben. Der Comic hat viel vom japanischen Holzschnitt gelernt, ich auch.

Wenn man die Menschen sieht, mit denen Sie sich in Ihrer Arbeit beschäftigen, dann taucht Arthur Rimbaud auf, dann malen Sie Vincent van Gogh und dann lieben Sie den Film Noir und seine Typen. Sie könnten doch aber auch sagen: ja ich male mal Star Wars, da ist jetzt der moderne Kinomythos schlechthin, das interessiert mich auch, ich male jetzt eine Serie mit Darth Vader.

Habe den Film nicht gesehen. Ich muss bekennen, dass ich – außer zu „Blad Runner“ – zu Science Fiction keine Beziehung aufbauen konnte.

Warum also keine Serie über Darth Vader oder über Batman? 

Auch etwas Neues muss ins Werk passen. Und es muss mir sympathisch sein. Das ist wie mit Menschen oder Tieren, mit den einen spricht man gern, mit anderen wieder nicht.

Sie beziehen sich in Ihrer Arbeit aber oft auf den Film Noir. Sie beziehen sich auf Regisseure und Filme, die für eine bestimmte Zeit stehen. Das ist doch eher retrospektiv und diese Auswahl muss doch auch etwas mit Ihnen als Maler und mit ihrem Selbstverständnis zu tun haben. 

Das sind alles Figuren, in denen ich mich gespiegelt sehe. Ich habe ja nicht umsonst nie ein Selbstportrait gemalt, denn das brauche ich auf diese Weise ja überhaupt nicht. Wenn ich den Salvatore Giuliano male, wenn ich Rimbaud male, wie er am Felsen steht, dann bin das immer auch ich. Schauen Sie zum Fenster raus, da drüben ist genau der Felsen, an dem sich Rimbaud in Harar fotografieren ließ, dort hinten stürzt der Wasserfall über die Felsen, den ich in Bob Ross´ Oriental Fall sehe, das ist so konkret, wie es fantastisch ist. Nun bin ich nicht der Abenteurer, nun bin ich nicht der Gangster, bin ich nicht der große Kriegsheld. Aber man kann auch träumen. 

Sie haben einmal geschrieben „Was einen verrückt macht (…) ist, dass man sich fühlt wie Charles Bronson, aber nicht so kann wie er. Der Versuch, Kinoträume zu verwirklichen, zerstört das reale Leben …“ (FH, Mythos und Farbe, S.41)

Es gibt mächtige Parallelen, die sich im Hirn abspielen, und mit Hilfe der Malerei bringt sich ja dann der Bub, wie er sich früher in den Helden der Leinwand sah, auf die Mal-Leinwand, zwar nicht so groß wie im Leben, nicht einmal wie im Kino, etwas kleiner eben, aber das ist schon eine spannende Spiegelung. Wenn ich schreibe ist das ähnlich: Die Themen, die Motive werden so weit verinnerlicht, dass sie zur Wirklichkeit werden. Ich habe aber auch geschrieben, dass man nur verrückt wird, wenn man nicht weiß, wo man steht. Man darf die Erdung nicht verlieren, da habe ich meine Frau und meinen Hund.

Liegt es auch daran, dass Sie den Künstler als eine Art randständige Existenz begreifen?

Ja, durchaus.

Das verbindet ja diese Figuren alle miteinander, im Film Noir stehen die Figuren, in einem ständigen Konflikt, immer an der Grenze und beleuchten auf diese Weise die Gesellschaft oder bestimmte Phänomene.

Ja, die anderen Existenzen wären mir zu harmlos, zu langweilig, um sie in die Kunst zu erheben – das haben andere Maler wunderbar gemacht. Als Künstler habe ich die Möglichkeit verrückt zu denken, Randständiges zu durchleben, aber nur in der Arbeit. Ich möchte ja nicht durchgeknallt durchs Leben ziehen.

Ob das jetzt Rimbaud ist mit seiner extremen Lebensführung oder auch van Gogh, über den Sie sagten: Das ist eben das Malermärchen oder der Märchenmaler schlechthin. Oder eben auch der Film Noir, bei diesen ganzen Figurenkonstellationen geht es eigentlich immer um Outsider.

Stimmt, das sind alles Outsider, Einzelgänger, die großen Einsamen, manchmal auch die Verkannten, vielleicht auch die, die ständig ihren Rückzug oder Ausstieg planen. Sie haben vorhin im Blick auf die „Neuen Wilden“ aus Berlin gesagt: Das ist Großstadtmalerei. Die haben sich dann nachdem die Kunstblase Ende der 1980er platzte, irgendwann auch mal zurückgezogen, manche haben aber dadurch auch ihre Malerei verloren, ihre Kunst verloren. Das ist schon so. Deshalb bin ich ja auch hier und nicht in Berlin, weil ich ja ganz genau wusste, dass ich mich dort verlieren würde. So wie ich am Rande des Orts des Geschehens mich bewege – also nicht im Zentrum stehe –, so lebe ich mit meinen Figuren „nur“ im Rahmen der Werkfindung, was manchmal anstrengend genug ist, erspare mir aber dadurch viel Leid, Schweiß und Wahnsinn. 

Ist denn so ein Künstlerdasein sozusagen per se ein gefährliches?

Ja und nein. Extremsport ist auch gefährlich. Der Künstler muss natürlich die Flasche aufmachen und den Geist rauslassen, aber muss auch lernen, den Geist wieder in die Flasche zu kriegen. Das Dasein eines Soldaten, Feuerwehrmannes oder Polizisten ist härter und gefährlicher.

Klaus Theweleit und Alf Mayer über Friedemann Hahns Roman „Foresta Nera“. Der Folgeband „Para Bellum“ liegt als Manuskript vor, Band III der Trilogie nähert sich der Fertigstellung.

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