Geschrieben am 1. März 2021 von für Crimemag, CrimeMag März 2021

Gerhard Beckmann: Offener Brief an den Börsenverein des deutschen Buchhandels

Die Buchbranche braucht dringend eine gesetzliche Ermächtigung, um gegen massive Verletzungen durch Großfilialisten und Konzernverlage vorgehen zu können

Offener Brief an
Frau Karin Schmidt-Friederichs, Vorsteherin des Börsenvereins des deutschen Buchhandels,
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels,
Professor Dr. Christian Sprang, Justitiar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels  

Kann sich die Starre, die die deutsche Buchbranche seit jetzt fast zwei Jahrzehnten lähmt, vielleicht doch lösen? Dazu bedürfte es vor allem einer konsequenten Entschlossenheit im Börsenverein des deutschen Buchhandels in Sachen Buchpreisbindung – und einer breiten, entschiedenen Öffentlichkeitsarbeit.

So ratlos und voller Angst wie heute habe ich die deutsche Buchbranche noch nie erlebt – auch nicht so verwirrt und so desinformiert. Man duckt sich weg. Man hofft, dass es irgendwie weitergeht, dass von irgendwo her ein Rettendes kommt, und tut alles, um nichts zu tun, damit man das schwankende Boot, in dem man sitzt, nicht zum Umkippen bringt. Bitte, helfen Sie Klarheit und Mut schaffen, indem Sie offen und deutlich über dringend anstehende Probleme sprechen und mit falschen Erwartungen aufräumen.     

Screenshot von der Internetseite des Börsenvereins des deutschen Buchhandels , 01.03.2021

Der Offene Brief im CulturMag vom 1. Februar 2021 hat den Präsidenten des Bundeskartellamtes dazu bewegt, dem Chefredakteur des Börsenblatts des Deutschen Buchhandels ein Interview anzutragen. Das Gespräch Andreas Mundts mit Dr. Thorsten Casimir ist dann im Börsenblatt am 12. Februar erschienen. Wichtig sind hier jetzt nicht Details der  Beurteilungskriterien und Marktverhältnisse, die Andreas Mundt anführt, um die Entscheidung seines Amtes zur Genehmigung des Zusammengehens von Thalia und Osiander zu begründen, so fragwürdig sie uns im einzelnen auch erscheinen mögen und so begrüßenswert eine gründliche Diskussion mit ihm darüber wirklich wäre. Und ja, Thomas Bez  – der Mehrheitsgesellschafter und ehemalige Geschäftsführer des Barsortiments Umbreit, Ehrenmitglied des Börsenvereins, der den Offenen Brief im CulturMag und Andreas Mundts Interview aufgreift – hält in seinem Print- und Online-Gastbeitrag des Börsenblatts vom 25. Februar auch das von Herrn Mundt allgemein für maßgeblich erklärte Leitkriterium des Kartellamts, Aufkäufe und Fusionen erst bei der Überschreitung einer 40prozentigen Marktbeherrschung zu untersagen, für grundsätzlich falsch und weltfremd. Da hätte Thalia dann längst bereits vollendete Tatsachen geschaffen, sagt Thomas Bez, da gäbe es dann längst schon kein flächendeckend operierendes, funktionierendes System eines unabhängigen Sortimentsbuchhandels zur Versorgung der Bevölkerung mit dem Kulturträger Buch mehr. Thomas Bez hat damit sogar zweifellos recht. 

Aber Andreas Mundt macht uns auf einen ganz entscheidenden Punkt aufmerksam, den die meisten von uns – mich selbst eingeschlossen – irgendwie vergessen hatten. Wegen der Thalia-Osiander-Fusion hatten wir vor Wut geschäumt und gemeint, das Kartellamt hätte sie untersagen können. Da haben wir uns aber sehr geirrt. Andras Mundt stellt klar, dass sein Amt gemäß dem noch geltenden, also vorgegebenen deutschen Kartellrecht im Fall Thalia-Osiander gar nicht anders konnte, als so zu entscheiden wie es zu unserem Leidwesen entschieden hat. Wichtiger noch ist jedoch  eine andere Aufklärung: Auch nach dem neuen Kartellgesetz hat die Branche in Missbrauchsfällen von seinem Amt kaum Hilfe zu erwarten. Das Kartellamt hat die Buchpreisbindung für die Geschäfte zwischen Verlagen, Buchhandlungen und Barsortimenten bis zum Jahr 2002 kontrolliert. Mit der gesetzlichen Buchpreisbindung ist die Branche selbst auch für die diesbezüglichen korrekten Abläufe zuständig, denen zufolge kein Buchhändler oder Filialist von Verlagen bessere Konditionen als das Barsortiment einfordern oder erhalten darf.

Nun ist es freilich so, dass der Gesetzgeber der Buchbranche kein Instrument zur Kontrolle von Missbräuchen in die Hand gegeben hat. (Mir hat bis heute niemand erklären können, warum so etwas unterblieben ist. Ist es möglicherweise auf die Lobby-Arbeit von großen Verlagsgruppen zurückzuführen, die überhöhte Konditionen im wechselseitigen Verdrängungswettbewerb nutzten und weiter nutzen wollten?). Die Buchpreistreuhänder hatten und haben kein Recht auf den Einblick in die Bücher und keinerlei Möglichkeit zu Sanktionen, wenn sie einem Verdacht auf Gesetzesüberschreizungen nachgehen wollten oder wollen. Und das Gesetz wird in immer krasserer Weise verletzt – bis zu Rabattierungen um 60 Prozent durch den Großfilialisten Thalia, die um Dutzend Punkte über der erlaubten Marke liegen und die Rendite der Kette steigern, da sie das Plus bei festen Ladenpreisen nicht an Kunden weitergeben; wir haben hier bei CulturMag über den ersten im Schweizer Fernsehen dokumentierten Beispielsfall berichtet. Wir haben auch das mafiöse System des Verschweigens derartiger Praktiken geschildert, so dass vermutlich nicht einmal der Börsenverein des deutschen Buchhandels darüber im Bilde war, bis ihm möglicherweise im Laufe des vergangenen Jahres eine wahrscheinlich vertrauliche Mitteilung gemacht wurde, deren extreme Daten ihn hätten aufschrecken müssen. Er ist denn auch aktiv geworden, um in Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsministerium eine entsprechende Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzt zu initiieren. 

Im November hat der neugewählte, seit Oktober 2020 amtierende Börsenvereins-Vorstand einstimmig beschlossen, den in diesen Gesprächen „eingeschlagenen Weg zur Änderung  des Buchpreisbindungsgesetzes weiter zu verfolgen“. Der Beschluss ist durch ein Interview des Vorstandsmitglieds, der Hamburger Sortimenterin Annerose Beurich, im Börsenblatt vom 26. November 2020 öffentlich bekannt geworden.  

Dieses Interview  – und seine zentrale Mitteilung  – wurde  nur wenige Tage später, am 2. Dezember 2020, im Börsenblatt einer offiziellen Korrektur unterzogen, einer Klarstellung, welche die Vorsteherin des Börsenvereins, Karin Schmidt-Friederichs, im Namen des Vorstands für notwendig erachtete: Annerose Beurich habe ihre „private Sicht auf die Themen Preisbindung und Rabattspreizung vermischt mit der Sicht des Börsenvereins-Vorstands auf diese Themen. Deshalb möchten wir klarstellen: Der Vorstand hat – vor dem Hintergrund der differenzierten Diskussionen des Themas der Fachgruppensitzungen im November dieses Jahres – das Hauptamt explizit gebeten, Alternativen zu einer Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes zu erarbeiten. Diese Alternativen sollen sobald als möglich im Vorstand diskutiert werden, um mit den richtigen Maßnahmen langfristig die Sicherung der Buchpreisbindung zu gewährleisten.“

Man muss sich bei dergleichen ex-officio-Verlautbarungen dreimal die Augen reiben, eine extra starke Lupe aus dem Futteral ziehen und unter angestrengter Nutzung aller Wahrnehmungsfähigkeiten und logischen Denkkapazitäten, die der liebe Gott uns anzuvertrauen die schöpferische Güte hatte, auf die bloße, nackte, die tatsächliche Aussage denudieren, die mit beinahe undurchsichtig gewobenen verbalen Textilschichtungen und Überhängen in modernem Verbands-PR-Moden-Stil unglaublich elegant verkleidet ist. Und was ist denn nun, um mit Goethes „Faust“ zu sprechen, des Pudels Kern?  

Er besteht darin: Die Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes, wie sie in Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsministerium bereits angelaufen waren, soll in Wahrheit eben NICHT mehr betrieben werden. Diese Gespräche sind abzubrechen, die Novellierung soll kassiert werden. Das Hauptamt des Börsenvereins, mit seinem Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis – die Ebene der Profis, sozusagen – wird von den Ehrenamtlichen, den gewählten Repräsentanten des Verbandes „explizit gebeten“ – in plain German: angewiesen –  ALTERNATIVEN zu dieser Novellierung zu finden. Ergo: Die Novellierung ist für den Börsenverein nun auf einmal inakzeptabel.

Doch selbst das ist so einfach und eindeutig nicht, wie es einem hier für den ersten Blick wohl suggeriert werden möchte. Man muss die Sache noch weiter entschalen, damit erkennbar wird, was für ein furchtbar dicker Hund in diesem Pudel steckt. Dabei kommen erst mal drei neue Aspekte zu Gesicht:    

  1. Die Anweisung des Vorstands vom 2. Dezember2020  bedeutet eine Diskreditierung des Hauptamts, das ja die Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes wohl erdacht, für notwendig gehalten und betrieben haben muss und die es nun dem Wirtschaftsministerium, also den zuständigen politischen Instanzen gegenüber zurücknehmen soll.
  2. Es ist eine Vorgehensweise, die einen tiefen Konflikt im Börsenverein dess Deutschen Buchhandels andeutet. Aber auch damit wäre die Problemlage noch keineswegs hinreichend klar skizziert.  
  3. Wie ist denn der Vorstand zu solcher Maßnahme gekommen, die einen Verband zerreißen kann? Aus Überzeugung? Aus freien Stücken? Nein, es ist, wie sozusagen ein roter Streichholz-Kopf im Text von Karin Schmidt-Friedrichs es nahe legt, etwas ganz anders. Zu der Maßnahme ist es gekommen „vor dem Hintergrund der differenzierten Diskussionen des Themas der Fachgruppensitzungen im November dieses Jahres“ 2020. Anders formuliert: Es handelt sich um ein ferngelenktes Manöver aus der Ebene der „Fachgruppen“, der Ausschüsse der drei Sparten also, aus denen sich der Börsenverein zusammensetzt. Der  Vorstand hat somit, wie die Verlautbarung  so schamhaft andeutet und auch wieder zudeckt, unter Druck von anderer Seite gehandelt. 

Denn, sehr verehrte Frau Schmidt-Friederichs, waren das wirklich „differenzierte Diskussionen dieses Themas“ in den Fachgruppen? Die Sparte der Zwischenhändler bzw. Barsortimente hat meines Wissens einstimmig FÜR die Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes votiert, die Ausschüsse der Verleger und der Sortimenter stimmten am Ende mehrheitlich GEGEN sie. Letzteres ist nun sehr erstaunlich; denn die Überzahl der mittleren und kleinen Verlage, die Tausenden von unabhängigen Buchhandlungen, deren Interessen die Ausschüsse vertreten bzw. vertreten sollten, müssten eigentlich FÜR die Novellierung und die mit ihr verbundene Sicherung der Preisbindung einstehen, die von den allermeisten als für ihren Fortbestand absolut essenziell verstanden wird.  

Warum haben sich da in der einen Fachgruppe die wenigen  Konzernverlagsgruppen – es sind ja bloß drei: Penguin Random House alias Bertelsmann, Holtzbrinck und Bonnier – und bei der anderen Michael Busch plus Helmut Falter von Thalia durchsetzen können? Also gerade diejenigen, deren illegale Praktiken mit ihren überhöhten Binnenkonditionen die Preisbindung zunehmend gefährden und die mit der Novellierung intendierte Kontrolle der Missbräuche dringend notwendig machen? 

Warum haben sich da die paar Großen durchgesetzt, die von der Novellierung betroffen worden wären? Kein mir bekanntet Branchenteilnehmer hat von einem stichhaltigen, überzeugenden Argument gehört, das für sie hätte sprechen können. Und sollte es wahr sein, dass Thalia mit dem Austritt aus dem Verband gedroht hat, falls der Börsenverein an der Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes festhielte, wäre das eine Drohung, die nach dem durch die Corona-Pandemie bedingten Verlust des Buchmessengeschäfts in Frankfurt und Leipzig noch weitere, schwerere Finanznöte verursachen würde.

Alle Illustrationen (außer Bundeskartellamt): Börsenverein des Deutschen Buchhandels

Kann es denn überhaupt Alternativen zu der andiskutierten Novellierung und einer Kontrolle der Binnengeschäfte durch die Buchpreistreuhänder geben? Was Branchensolidarität angeht, so haben die Konzernverlage und vor allem Thalia ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Wie ist die neueste Nachricht zu verstehen, dass der bisherige Thalia-GPO  zum Zwischenbuchhändler und Barsortimenter Libri wechselt, jedoch weiterhin als Generalbevollmächtigter für seinen bisherigen Arbeitergeber tätig bleibt? Könnte dahinter die Absicht stehen, auch die Barsortimentersparte im Börsenverein zu unterwandern? (Anm. d. Red.: Am dritten Tag nach Erscheinen dieses Offenen Briefs bestätigte eine Kartellrechts-Expertin im „Börsenblatt“ die Problematik dieser Personalie: „Neubewertung der Machtverhältnisse erforderlich„.) Für Neigungen zu fairem Wettbewerb ist Ortner nicht sonderlich bekannt – ich erinnere mich an den Bericht des Zürcher Literaturagenten Peter Fritz, den Klaus Ortner mit dem Ansinnen aufgesucht hatte, Thalia in Verlagsverträgen für internationale Bestsellerautoren einen zweimonatigen Verkaufsvorlauf einzuräumen. Und was Thalias expansive Haltung  gegenüber unabhängigen Buchhandlungen betrifft, so ist eine üble Masche nun auch erstmals dokumentiert – man droht mit der Eröffnung einer eigenen Filiale für den Fall, dass der eingesessene Sortimenter nicht zum Verkauf seines Ladengeschäfts an Thalia bereit ist. (Siehe ganz unten.)

Börsenblatt-Meldung vom 03.03.2021

Es wird Zeit, dass Sie, verehrte Frau Schmidt-Friedrichs, sehr geehrter Herr Skipis, hochgeschätzter Herr Professor Sprang beim Börsenverein eine neue, KLARE öffentliche Informationspolitik in die Wege leiten, denn die gesetzliche Buchpreisreisbindung ist ein für alle Autoren, Buchhändler, Leser und Verlager wichtiger Garant des Kulturguts Buch, dessen Erhalt gefährdet ist und durch eine Gesetzesnovellierung gesichert werden muss. Ich möchte den Vorstand bitten, auch gegen den Widerstand der Großfilialisten und Verlagskonzerne, die Angst vor einer Einsicht in ihre Bücher haben, den ursprünglich eingeschlagenen Weg zur Novellierung des Buchpreisbindungsgesetzes mutig weiterzuschreiten – Vorstand dund Hauptamt Hand in Hand, damit  sie nicht ausgehebelt werden. Und ich möchte Sie an Worte des Bundestagspräsidenten Dr. Norbert Lammert aus dem Jahre 2006 erinnern: 

„Je eindeutiger oder gar eindimensionaler die Geschäftspolitik des Verlegens oder Verkaufens von Büchern ökonomischen Kalkülen folgt, und je weniger an kultureller Verantwortung bzw. Selbstverpflichtung bleibt, desto aussichtloser wird die Erwartung einer privilegierten Behandlung, die dem Kulturgut, nicht der Ware Buch gilt. Die Buchpreisbindung ist nicht von der Politik bedroht, sondern von der Branche. Und wenn Sie nicht Bestand haben sollte, suchen Sie die Ursachen in den eigenen Reihen.“

Gerhard Beckmann – seine Texte bei uns auf CulturMag

Siehe davon besonders:
In Sachen Thalia – Offener Brief von Gerhard Beckmann an den Präsidenten des Bundeskartellamts in Bonn
Offener Brief in Sachen Marktmacht im Buchhandel – Warum die Mega-Fusion von Thalia & Mayer‘sche & Ossiander so gefährlich ist
Starke Argumente für die Buchpreisbindung – Fakten zur großen Wirksamkeit von Buchhandlungen vor Ort 
Gesetzgeber gefragt – Omerta bei den Großfilialisten Wenn die Buchpreisbindung nur auf dem Papier steht und das Barsortiment bedroht ist
Interview: Für menschliches Überleben ist das Buch unentbehrlich – Ein Interview über die unersetzbare Arbeit des stationären Sortiments mit Manfred Keiper
Ein Wutschrei von Gerhard Beckmann #Covid-19 – Der 17. März 2020 und Amazon.

Und noch ein Postscriptum, eine echte „smoking gun“:

Ausschnitt aus einem der Redaktion vorliegenden Gespräch im IHK Magazin Nordschwarzwald (Februar 2021), das belegt, wie eine „feindliche“ Übernahme durch Thalia erfolgt. Bisher war so etwas nur vertraulich oder vom Hörensagen bekannt. Hier wird es nun ausgesprochen.

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