
Fakten zur großen Wirksamkeit von Buchhandlungen vor Ort
Gerhard Beckmann zu einer wichtigen Innsbrucker Pilotstudie
In einer Kommune mit stationärem Buchhandel werden pro Kopf signifikant mehr Bücher gekauft – und auch gelesen – als in Gemeinden ohne ein lokal ansässiges Sortiment. Eine Pilotstudie der Universität Innsbruck bietet Wegweisungen für die Buchbranche. Sie bringt schlagende neue Argumente für die Buchpreisbindung. Sie macht – mit ersten belastbaren Zahlen – klar, warum für das Überleben der Verlage neue Marketing- und Vertriebsstrategien in Ausrichtung auf die örtlich engagierten Sortimentern zwingend sind. Sie belegt außerdem – erstmals statistisch – die wichtige Rolle der lokalen Buchhandlungen für eine dringliche Erneuerung des kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens der Kommunen. Damit gibt sie nicht zuletzt einen bedeutsamen Fingerzeig auf die hohe politische Bedeutung und Förderungswürdigkeit des unabhängigen Sortiments.
Die Frage der Buchpreisbindung polarisiert seit langem. Die Argumente ihrer Befürworter und ihrer Gegner basieren oft auf einem Vergleich zwischen Ländern mit und Ländern ohne feste Ladenpreise für Bücher, der meist ohne eindeutige Resultate ohne belastbare Daten operiert, weil sich die Auswirkungen des Fixpreises kulturell, sozial und wirtschaftlich nur schwer isolieren lassen. Auf diese übliche Methode haben Christopher Kah und Peter Neururer an der international renommierten Forschungsstelle Empirical and Experimental Economics der Universität Innsbruck deshalb von vornherein verzichtet, weil es ihnen darum ging, eine Grundlage für politische Entscheidungen zu finden. Also stellten sie sich einfach die Frage, ob und inwieweit ein stationärer Buchhandel in einem Land eine positive Nachfrage zum Kaufen und Lesen von Büchern erzeugt – und sie haben diese Frage zum Vergleich an Menschen in Orten mit und in Kommunen ohne stationäre Buchhandlungen gestellt, die zufällig – nur nach dem Gesichtspunkt, ob sie an solchen Orten wohnten – ausgewählt wurden. Es handelte sich folglich um ein sogenanntes „natürliches Experiment“ unter realen Lebensumständen, wie es in jüngster Zeit wissenschaftlich zunehmend vorgenommen wird, um kausale Zusammenhänge zu erkunden. Mit den Studienteilnehmern ist auch nur brieflich kommuniziert worden, um potentielle (bewusste oder auch unbewusste) Einflussnahmen durch die Forscher auszuschließen. In der Studie wurden jeweils zwei ländliche Gemeinden mit bis zu 4.200 Einwohnern in Tirol. Nieder- und Oberösterreich verglichen. Es handelt sich also um eine Pilotstudie, die dank ihrer klaren Methodik eine starke Aussagekraft besitzt – mit erstaunlichen. interessanten Ergebnissen.

Erstens: In Orten mit einer stationären Buchhandlung kaufen Bürgerinnen und Bürger insgesamt eine deutlich höhere Zahl von Büchern, nämlich im Durchschnitt jährlich pro Kopf 2,84 Exemplare (also fast drei Bücher) mehr als in vergleichbaren Orten ohne ein ortsansässiges Sortiment. Das ist ein beachtlich hoher Zusatzwert, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Österreicher pro Jahr (2017) 8,3 Bücher kauft.
Zweitens: In solchen Gemeinden werden nun aber auch erstaunliche 2,39 Exemplare stationär in der Buchhandlung vor Ort erworben, und das heißt auch: Online-Käufe fallen dort minimal aus.
Drittens: In diesen Gemeinden sind pro Kopf durchschnittlich 5,28 Bücher zur eigenen Lektüre gekauft worden, in sortimentslosen Orten dagegen bloß 3,88 Bücher – eine statistisch signifikante Differenz, die bedeutet: Mit einer am Ort ansässigen Buchhandlung werden im Durchschnitt pro Kopf auch mehr Bücher gelesen.

Viertens: Örtlich stationär gewecktes Interesse an Büchern wird in hohem Maße dann auch dort in der stationären Buchhandlung im Erwerb des Titels umgesetzt.
Fünftens: In Kommunen ohne örtliche Buchhandlung wird das Fehlen eines physischen Buchangebots nicht durch die Möglichkeiten eines Buchleihverkehrs kompensiert.
Sechstens: Ein physisches Angebot von Büchern vor Ort ist insbesondere für Kinder, Senioren und lokal beschäftigte Personen von hohem Wert – ein Aspekt, der bei allen Entscheidungen bezüglich der Buchpreisbindung politisch berücksichtigt werden sollte.
Es ist, wie gesagt, eine österreichische Pilotstudie, und es wäre gut, wenn dergleichen – vielleicht im Auftrag von Landesverbänden des Börsenvereins – ebenso in deutschen Regionen mit größeren Stichproben und betreffend weiterer Themen durchgeführt werden sollte. Besonders aufschlussreich scheint hier ein Hinweis von Christopher Kah und Daniel Neururer auf spannende Unterschiede zwischen Kettenläden und inhabergeführten Sortimenten. Die jetzigen Resultate aus Österreich sind freilich bemerkenswert genug, um sie in den Zusammenhang mit aktuellen Fragen zur Situation der hiesigen Buchpreisbindung zu stellen.
Warum die neuen Ergebnisse der Innsbrucker Studie von so großer politischer Bedeutung sind
Die Buchpreisbindung ist in Deutschland (wie auch in Österreich) gesetzlich gegeben. Und vom Gesetzgeber, also von der politischen Seite her, droht der Buchpreisbindung ganz offensichtlich auch keine Gefahr. Alle Parteien und Bundestagsfraktionen stehen voll hinter dem Buchpreisbindungsgesetz von 2002. Es ist zuletzt – im Juli 2016 – durch die Änderung von Artikel 1 noch gestärkt worden. Dieser Artikel 1 schreibt Absicht und Ziel dieses Gesetzes klar und deutlich fest. Er lautet: „Das Gesetz dient dem Schutz des Kulturgutes Buch. Die Festsetzung verbindlicher Preise beim Verkauf an Letztabnehmer sichert den Erhalt eines breiten Buchangebots. Das Gesetz gewährleistet zugleich, dass dieses Angebot für eine breite Öffentlichkeit zugänglich ist, indem es die Existenz einer großen Zahl von Verkaufsstellen fördert.“

Die Entschlossenheit, mit der die deutsche Bundesregierung für dies Gesetz eintritt, ist wiederum öffentlich manifest geworden, als die Monopolkommission – ein (lediglich) beratendes Gremium aus einem Ökonomie- und einem Juraprofessor sowie drei UnternehmerInnen – auf eigene Initiative und aus eigenem Ermessen im Mai 2028 mit einem Sondergutachten lautstark für die Abschaffung des Buchpreisbindungsgesetzes plädierte. Die Festigkeit der Regierungsposition ist begründet. Der deutsche Buchmarkt ist nicht nur der zweitgrößte, sondern auch der wirtschaftlich stabilste, organisatorisch ausgewogenste, kulturell vielfältigste und am tiefsten sozial verwurzelte Buchmarkt der Welt, der zudem auch das Herzstück des internationalen verlegerischen Netzwerks ist. Die deutsche Politik müsste schon unvorstellbar deppert sein, wenn sie ein Kern-Stabilbau-Element solcher kultursozialen Machtwirtschaftsstärke unseres Landes – die Buchpreisbindung – wegen (damals noch weithin) akzeptierter neoliberaler Dogmen mit ihrem Affekt gegen markwirtschaftliche Regulierungen aufs Spiel gesetzt hätte.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels war trotzdem so klug, ein Team um Professor Dr. Georg Götz (Universität Gießen) mit einem wissenschaftlichen Gutachten zu beauftragen, das die Behauptungen der Monopolkommission – die Buchpreisbindung stelle einen „schwerwiegenden Markteingriff“ mit unscharf definiertem Ziel dar, der angesichts eines fraglichen Erfolgs und fragwürdiger Zukunftsversprechungen ökonomisch kaum zu rechtfertigen sei – sozusagen Punkt für Punkt widerlegte. Das Gutachten fußte auf einer internationalen, bis dato erstmalig so umfassenden aktuellen Datenbasis. Damit ist nun ein gutes Fundament zur politischen Rechtfertigung und Sicherung fester Ladenpreise für Bücher gegeben.

Die Innsbrucker Studie aber bietet nun zusätzliche neue Erkenntnisse für Gespräche des Börsenvereins mit Regierung und Parlament. Sie sind dringend notwendig. Denn die Branche braucht eine Ermächtigung durch den Gesetzgeber, um aktiv gegen massive Bedrohungen der Buchpreisbindung durch illegale Praktiken in den eigenen Reihen vorgehen zu können. Sie nehmen – nicht zuletzt wegen der Corona-Krise – inzwischen offenbar Ausmaße an, die die Buchbranche in ihren Grundfesten zu erschüttern beginnen. Es geht, wie schon in meinem Beitrag #### skizziert, um eine Novellierung von § 6 des Preisbindungsgesetzes. Denn Amazon und die Großfilialisten erweisen sich mit immer maßloseren Forderungen an ungerechtfertigten Superkonditionen selbst für die größten Verlagskonzerne als unfinanzierbar und für die (nur noch) drei deutschen Zwischenbuchhändler als existenzgefährdend. Da jedoch das unabhängige deutsche Sortiment für seinen einmalig effizienten modernen Kundendienst auf diese Barsortimente angewiesen ist, drohen sie schon damit das ganze deutsche Buchhandelssystem samt Preisbindung zum Einsturz zu bringen. Da aber, wie die Innsbrucker Studie auf neue Weise belegt, das örtliche Sortiment unvergleichliche Impulse zum Kaufen und Lesen von Büchern gibt, ist dieses System zum Erreichen der Ziele, wie Artikel 1 des Preisbindungsgesetzes sie vorgibt, unersetzbar.
Gerhard Beckmann
Sein Wutschrei gegen Amazon hier, seine Texte bei uns hier.