… nicht der hier gleich detailliert beschriebene Vorspann, aber ein guter Eindruck: der deutsche Trailer für die Serie.
Schon der Vorspann erzählt fast alles
Alf Mayer über die Serie „McMafia“.
Zuerst Totalen. Stadtlandschaften, groß. Die Kamera in aufsteigender, imperialer Bewegung. Moskau, Dubai, London. Wem gehört die Stadt? Als erstes der Anblick der kolossalen Lomonossow-Universität Moskau, eine von Stalins „Sieben Schwestern“, immer noch das Moskauer Stadtbild als Weltstadt prägend. Bei seiner Fertigstellug 1953 war der 240 Meter hohe Turm des mit neoklassizistischem Dekor überzogenen Universitätsbaus das höchste Gebäude außerhalb Nordamerikas. Dann, voll im Sonnenlicht, die Hochhäuser von Dubai, ein grandios perverses Panorama. Vom türkisfarbenen Meer in Gift getränkt. Wolken, die sich in den gläsernen Bankpalästen von London spiegeln, im Vordergrund das absurde „20 Fenchurch Street“, vom Volksmund auch „The Pint“, das Bierglas genannt. Von links nach rechts läuft schon die ganze Zeit eine rote Linie durch die Bilder, unterstreicht die Dynamik der Montage und der Zusammenhänge. Ein Flugzeug im Landeanflug, eine Fahrzeugkolonne von oben in einem Wald, der Containerhafen von Mumbai bei Nacht, ein Truck in der Negev-Wüste. Schwarze Kleckse, die sich wie Granateinschläge ausbreiten. Dann wird die Linie zur roten Börsenkurve. Weite Zacken, nach oben und unten. Dollar, Pfund, Rubel, die Nominationen wechseln.
Ein Computerscreen voller Daten und Grafiken, lesbar „Czech Asset Management“, eine digitale Weltkarte unter einer Tastatur. Finger auf einer Computermaus, die roten Börsenzacken immer noch am Steigen und Sinken und Steigen. Zwei Männer im Schattenriss. Laptop, Schreibtisch, Anzugträger. Dann wird das eben noch so edle Filmmaterial körnig. Dokumaterial. Geldbündel, in eine Tasche gepackt, Übergabe an einen Uniformierten als Silhouette. Plastikwürste, groß wie Rugbybälle: Rauschgift, in ein Elektrogerät gestopft und verschweißt. Menschen, am Genick gepackt und in zwei Geländewagen gestoßen, die rote Börsenlinie immer noch am Laufen. Eingeblendet: „Based on the book by Misha Glenny.“ Junge Frauen, zusammengetrieben wie Vieh, eine Einstellung auf cremefarbene Highheels – vielleicht etwas zu nah und groß und billig -, Nachtclub-Atmosphäre. Wieder zwei Männer im Schattenriss, schlank, Anzug, Krawatte und weiße Hemden, auf die Kamera zustrebend. Ein Transporter, wie durch ein Nachtsichtgerät gesehen, der eine Industriestraße entlangfährt. Immer noch die rote Linie. Unersättlich.
Eine Explosion, ein ausgebranntes Fahrzeug. Körniges Bild. Dahinter wird bildfüllend ein Patronenboden sichtbar, der sich in Bewegung setzt, zu einem goldenen Vollmantelgeschoß in Seitenansicht wird, wie ein Marschflugkörper über die Leinwand fliegt. Andere neben ihm. Viele. „Created by Hossein Amini & James Watkins“, legt sich eine Einblendung über die jetzt unzählbar vielen, von links nach rechts fliegenden Gewehrpatronen. Die Perspektive kippt, die Projektile fallen nach unten, immer mehr, wie ein Regen, wie ein Regenschleier, dicht an dicht. Sie zeichnen die Konturen einer Weltkarte. Die Kontinente. Alle. Genau in der Bildmitte erscheint ein roter Balken. Russische, hebräische, arabische, asiatische, indische Schriftzeichen wechseln, bilden das immergleiche Worte, bis für uns lesbar steht: „McMafia ©“ – und darunter „directed by James Watkins“. Das alles unterlegt von Ohrwurmmusik, Violinen und Bläser, komponiert von Tom Hodge und Franz Kirmann, gespielt vom London Contemporary Orchestra.
Das „Mc“ steht für Globalisierung der Strukturen
Die Titelsequenz von „McMafia“ erzählt ziemlich genau, was einen erwartet. Und sie kommuniziert bereits das Besonders dieser Serie, nämlich komplexe Zusammenhänge geradeaus erzählen zu können. Animierte Tabellenkalkulationen, Grafiken und Landkarten legen sich über kriminelle Aktivitäten, über Bestechung, Autobomben, Bilder von Rauschgift- und Menschenhandel. Ein Mausklick transferiert Geld von A nach B und C und D. Eine Wolke von Gewehrpatronen legt sich zum Puzzle einer Weltkarte. Wir sind in der Welt des organisierten Verbrechens von heute, in der globalen Schattenwirtschaft. Das „Mc“ des Titels deutet eine Globalisierung der Strukturen an, wie es das Fast-Food-Unternehmen McDonald’s vorexerziert hat. „Welcome to the franchise: McMafia ©“ steht auf dem Cover der Dreier-DVD-Kasette von polyband. James Norton, geschniegelt und im Anzug, blickt uns kühl ins Auge. Die Hände auf dem Schreibtisch, als würde er starren Blicks ein Organ zerquetschen, quillt ihm Blut durch die zusammengefalteten Finger. Seine Hände ruhen in einer Blutlache, die rechte Hemdmanschette ist schon halb vollgesogen. „James Bond meets The Godfather!“, steht da als Zitat der „Sunday Times“. Mehrfach betont der Hauptprotagonist der Serie:.„Ich bin kein Gangster, ich bin Banker.“
Der Hintergrund dieser Serie ist real. Ihre Grundannahme beruht auf dem ausgiebig recherchierten, inzwischen zehn Jahre alten Buch „McMafia: Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens“ (McMafia: A Journey Through the Global Criminal Underworld) von Misha Glenny, der auch Exekutiv-Produzent dieser Serie ist. Das Buch begann mit einem Vorfall auf dem Barnesbury Estate in Woking, Surrey, im Jahr 1994. Die 33jährige Karen Reed öffnete dem Pizzaboten, der schoss ihr in den Kopf. Sie starb, weil sie – ohne es zu wissen – in die Nähe des organisierten Verbrechens geraten war. Glenny erzählt, wie wir alle, und eben auch eine ganz normale Frau an einem ganz normalen Ort, mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen können, ohne davon zu wissen.
Das offizielle Russland: not amused
„McMafia“, die Serie, zeigt uns das anhand von Alex Godman, einem „mit einem Silberlöffel im Mund“ geborenen, in England aufgewachsenen und in Harvard studierten Sohn reicher russischer Exilanten. „Mafia-Exilanten“ machen die Presseschnelltexte(r) daraus, aber so simpel deutlich ist das nicht. Exil-Oligarch würde auf seinen Vater besser treffen. Ja, sein Onkel macht dunkle Geschäfte. Aber im modernen Russland reich geworden zu sein und es bleiben zu wollen, da sind die Grenzen zwischen Staat, Politik und Verbrechen oft fließend, wie wir wissen. Sogar ein Giftanschlag – wie er sich dann mit den Skripals wenige Wochen nach der Ausstrahlung zutrug – gehört da zu den Mitteln, wird an einer Stelle im Dialog auch einmal angesprochen. „Nein, lieber mit Gift.“ Das offizielle Russland war und ist über „McMafia“ nicht amüsiert, es gab wütende Proteste und einen bösen Tweet der russischen Botschaft in Großbritannien. Die unter dem Dach der BBC entstandene britisch-amerikanische Serie wurde Anfang 2018 von Amazon übernommen und gleichzeitig in 200 Ländern der Welt auf Amazon-Prime zugänglich gemacht. In Russland lief sie nur auf einem kleinen Privatsender.
Ein Serienstart gleichzeitig in 200 Ländern, damit gebündelt gleichzeitige globale Aufmerksamkeit für ein Medienprodukt wie auch das Streaming-Unternehmen, das ist die Serienwelt von heute. So wird Marktmacht etabliert. (Siehe auch den Text von Claudia Schwartz in dieser Ausgabe.) So bekommen die Kinos mehr und mehr die Konkurrenz des Home Entertainments zu spüren. Die Konsumenten selbst sorgen für ihre Hardware, Verleih- und Filmtheateranteile fallen bei der Kostenrechnung weg. Golden Times.
Die Figuren auf eigentümlicher Distanz – und es wirkt
Golden Times erst Recht für das organisierte Verbrechen und die Schattenwirtschaft. Sie sind die größten Gewinner der Globalisierung. Der Fall des Eisernen Vorhangs und die „Privatisierung“ Russlands haben für gewaltige Gewinnsprünge gesorgt. Der britische Journalist Misha Glenny schilderte das in seinem Buch bereits 2008. Die Serie ist ein – ganz hervorragend gelungenes – Update. Irgendwie logisch auch, dass BBC, AMC und Cuba Films sich diesen Stoff als Anschlussprojekt an die le-Carré-Adaption „The Night Manager“ gesichert haben (CrimeMag-Besprechung hier).
„McMafia“ ist kühler als „The Night Manager“, stellt seine Schauwerte weniger aus, will uns nicht dauernd sagen, „Schaut her, was bin ich für ein toller, teurer Film“, auch fehlt der „Dr. House“-Effekt – eine narzistische (TV-) Persönlichkeit im Zentrum, für die Hugh Laurie als enigmatischer Waffenhändler hervorragend besetzt war. „McMafia“ hält seine Figuren auf eigentümliche Distanz, das hat nicht nur mit der gelegentlich stattlichen Anzahl von Nebenlinien zu tun, es ist eine durchgängige Erzählhaltung. Und sie funktioniert. In ihrem Mittelpunkt James Norton – seit dieser Serie als James Bond-Nachfolger gehandelt –, der es riskiert, bis zur Hölzernheit abweisend zu wirken. Dieser glatte, kühle, wohlerzogene, stets selbstkontrollierte und elegante Prototyp der Angestelltenwelt, der niemand hinter seine Fassade schauen lässt, ist so viel provokantes Rätsel, dass man alleine seinetwegen dabeibleiben will, um mehr von ihm und seinen Beweggründen zu erfahren.
Unsere Freunde wollen sie nicht werden
Norton, Jahrgang 1985, brillierte bereits als Ex-Sträfling Tommy Lee Royce in der Serie „Happy Valley“ (CrimeMag-Kritik hier). In der BBC-Adaption von „Krieg und Frieden“ war er der als arrogant geltende Fürst Andréj Bolkonski. Als Alex Godman wird er als Anwalt und Banker ins globalkriminelle Milieu gezogen, kühl und gewieft macht er sich alles an Vorteilen zu eigen, was ihn der Rache für seinen ermordeten Onkel näherbringt. Ein Mausklick – und er macht viele – überweist hier nicht nur Geld, sondern bringt auch Menschen um.
Aber auch seine Freundin Rebecca (Juliet Rylance) bleibt uns ein Rätsel mit ihren innersten Beweggründen. Ihre Figur hätte das Potential, uns in eine ordentliche Schmalzgeschichte hineinzuziehen – bei einem Anschlag verliert sie ihr Kind. Auch eine Kay Corleone ist sie noch nicht, aber weiß, was noch in ihr lauert. Der international bekannteste Darsteller im Ensemble ist wohl David Strathairn als ein distinguierter israelischer Politiker und Gangster, der es sichtlich genießt, eine wenig exaltierte Figur zu spielen. Starke Präsenz bei nur sehr wenigen Dialogsätzen zeigt der Israeli Oshri Cohen als Personenschützer Joseph. Der aus deutschösterreichischen Fernsehproduktionen bekannte Georgier Merab Ninidse glänzt als Russen-Pate Vadim Kalyagin. Die indischen Schauspieler Atul Kale als Benny Chopa und Nawazuddin Siddiqui als sein hungriger, jüngerer Konkurrent agieren effektiv. Die effiziente Sequenz, in der ein Hacker aufgetrieben und zur Arbeit gepresst wird, um mit dem Mobiltelefon eines alten Hafenarbeiters auf den Schokoladenautomaten in der Kantine des hochtechnisierten Containerhafen von Mumbai zuzugreifen und so in das IT-System einzudringen, Sicherheitsausweise und Zugangscodes inklusive, und einen Container umzuladen und zu stehlen, gehört zu jenen Sequenzen, die ohne jedes Fackeln den Globalzugriff des organisierten Verbrechens als Aha-Erlebnis sinnlich erfahrbar machen.
Durchgängig gilt: Die Filmpersonen sind nicht dazu angelegt, unsere Freunde und Vertrauten zu werden. Ein wenig sehen wir Handelnden in einem Käfig zu. In manchen Handlungssträngen entwickelt sich daraus eine eigentümliche Intensität, die an „Hatufim“ erinnert (CrimeMag-Kritik hier).
Die Erzählhaltung des Films will uns nüchtern. Klar sieht der Bauch mit und wird auch bedient, aber nie so, dass wir den Kopf verlieren. Auf angenehme Weise wird vor dem Einsatz von Untertiteln nicht zurückgescheut. Wenn die Eltern von Alex Russisch reden, tun sie es, und wir haben die Untertitel. So geht das quer durch die Welt, das macht den Film zusätzlich kosmopolitisch und authentisch.
„Prestige-TV“ nennt man mittlerweile die „money shots“ von echten Locations vor Ort, mit denen im Zeitalter der beliebig gewordenen Computeranimation Authentizität demonstriert wird. London, Moskau, Kairo, Prag, Tel Aviv, Mumbai, Dubai, die Negev, die Cayman Islands – you want it we got it.
Vielleicht kann man sagen, dass „McMafia“ den „Paten“ von Coppola variiert. Wobei schon Karl Kraus im Jahre 1920 das Wort Familienbande durchdekliniert hat. Aber ok, Familie über alles auch hier, und der Sohn, der – wenn auch ganz anders als bei den Corleones – das Erbe des Vaters übernimmt und in ganz neue Richtungen führt. Diese Serie hat noch viel Potential. Eines allerdings fällt auf, fällt immer deutlicher auf, je weiter die acht Folgen sich fortschreiben. Dies ist ein Film der neuen Weltordnung. Die USA kommen darin überhaupt nicht vor.
In Staffel 2 dann vielleicht, die bereits in Auftrag ist, mit einem gekauften Präsidenten …
Alf Mayer
„McMafia“: Created and written by Hossein Amini, James Watkins. Regie: James Watkins. Mit: James Norton, Aleksey Serebryakov, Mariya Shukshina, Faye Marsay, David Dencik, Juliet Rylance, David Strathairn, Merab Ninidze, Sofya Lebedeva, Caio Blat, Nawazuddin Siddiqui), uva. 8 Folgen à 60 Minuten. Erstausstrahlung via Amazon, 200 Länder: 2. Januar 2018. Sender: AMC (in USA), BBC One, Amazon Prime. Deutsche DVD bei polyband.
AMC und BBC hatten bereits bei „The Night Manager“, „The Honorable Woman“ und „One Child“ zusammengearbeitet. Gedreht wurde in London, Dubai, Kroatien, Israel, Mumbai, Prag. AMC, früher American Movie Classics, hat als TV-Sender Serien produziert wie „Breaking Bad“, „Better Call Saul“, „Hell on Wheels“, „Preacher“ oder „The Terror“. Cuba Pictures ist die 2008 gegründete und äußerst erfolgreiche Filmproduktion der Agentur Curtis Brown, die von Nick Marston geführt wird. Von Curtis Brown vertreten wird der iranisch-stämmige Hossein Amini, zusammen mit James Watkins, Autor der Serie, seit den frühen 1990ern als Drehbuchautor und Regisseur tätig. Er adaptierte etwas James Sallis’ „Drive“ für Nicolas Winding, schrieb und inszenierte die Highsmith-Verfilmung „Die zwei Gesichter des Januar“ mit Viggo Mortensen. James Watkins, der bei allen acht Folgen von „McMafia“ Regie führt – durchaus unüblich in diesem sehr getakteten Gewerbe -, tat das auch bei „Eden Lake“ und „Bastille Day“.
PS. Der russische Pate Vadim (Merab Ninidze) hat als Entsprechung in der Realität einen ukrainischen Kriminellen mit Verbindungen zu Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort. Folge 8 zeigt ein Tor nach Europa an, das als äußerst lukrative Drogenschmuggelvariante für die Elite eingefädelt wird und gleichzeitig den dekadenten Westen weiter zu destabilisieren verspricht. Besiegelt wird der Vertrag zwischen den russischen „Kräften“ und den Kartellen – mit Alex als Broker und Profiteur – in einer sehr offiziell wirkenden russischen Villa. Chinesische Triaden sind noch wenig sichtbar in „McMafia“, very scary aber bereits die mexikanischen Kartelle.
Der Serie liegt dieses nonfiction-Buch zugrunde:
Misha Glenny: McMafia. Die grenzenlose Welt des organisierten Verbrechens (McMafia. Crime Without Frontiers, 2008). Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Neuauflage: Tropen/ Klett Cotta, Stuttgart 2018. Broschiert, 599 Seiten 14,95 Euro.
Zu Misha Glenny siehe auch Thomas Wörtche und Tobias Gohlis.
Seite der BBC mit Interviews zur Serie hier. Ein Interview mit den Filmkomponisten Tom Hodge and Franz Kirmann hier. Um das Titelmotiv zu hören, in der Bildmitte klicken.