Durch den Sumpf …
von Marcus Müntefering
Was bisher geschah: Tyler Cross, brettharter Berufsverbrecher, zu Hause in einer Retro-Noir-Welt, in der für immer die Fünfzigerjahre sein werden, hatte in „Black Rock“, dem ersten Band der Comic-Reihe, die titelgebende texanische Kleinstadt in Schutt und Asche gelegt und sich anschließend mit einer üppigen Señorita vorläufig zur Ruhe gesetzt, um zu tun, was ein Schurke eben so tun mag.
Mit „Angola“ ist vor Kurzem der zweite Comic mit dem gewissenlosen Helden erschienen, der äußerlich an Hollywoods großen Schurken-Darsteller Jack Palance (unvergessen sein Ausflug in den Italo-Western in Sergio Corbuccis Meisterwerk „Zwei Companeros“) erinnert, ansonsten aber auch sicherlich eine prächtige Figur in einer Pokerrunde mit Richard Starks Parker und Garry Dishers Wyatt abgeben würde.
Schauplatz von „Angola“ ist der gleichnamige berüchtigte Südstaatenknast. Das Louisiana State Penitentiary galt früher als Höllenort, als blutigstes Gefängnis der USA. Im neuen Comic des französischen Zeichners Brüno und seines Texters Fabien Nury entpuppt es sich darüber hinaus als Profit Center der Mafia. Die Insassen werden unter den miesesten Bedingungen gehalten und müssen ununterbrochen schuften, um größtmögliche Profite abzuwerfen – drei Millionen Dollar im Jahr, rechnet Doppelmörder und Buchhalter Abner Lewin vor, bringen die 3.000 Gefangenen ein – eine Million davon gehen für Bestechungsgelder drauf, der Rest ist Nettogewinn für Don Carlo Persico, den Paten von New Orleans.
Nach einem missglückten Raubüberfall landet Tyler Cross in diesem „Alcatraz des Südens“, das auch heute noch zu den härtesten Strafanstalten der Welt gezählt wird. Und nicht nur, weil eine Prämie auf seinen Kopf ausgesetzt ist, plant Cross sofort seinen Ausbruch. Zu entkommen ist dabei nicht das Problem. Sondern die endlosen Sümpfe, die Angola umgeben – und die Bluthunde, die der Gefängnisdirektor mehr liebt als seine Ehefrau (die sich zum Ausgleich mit den Gefangenen vergnügt). Eine brutale Jagd auf Cross und seine Mitausbrecher beginnt – mit einem enormen Body Count.
Wie schon in „Black Rock“ erzählen Brüno und Nury erneut eine ziemlich straighte Story, die sie durch Parallelmontagen und Rückblenden mit einer guten Portion Komplexität ausstatten. Die Story wird mit großer Lakonie und entsprechend wenigen Worten vermittelt, was umso mehr Raum für die brillanten, nur auf den ersten Blick simpel wirkenden Zeichnungen bietet. So wie keine überflüssigen Worte gemacht werden, gibt es in diesen graphic novels auch keine überflüssigen Bilder. Maximale Verdichtung, die durch die reduziert-kräftige Kolorierung von Laurence Croix maximale Wirkung erzielt. Die Tyler-Cross-Reihe gehört schon nach zwei Bänden zu den stärksten Comics, die sich im Fundus des Noir bedienen, und hat, wenn die weiteren Bände das Versprechen halten, das „Black Rock“ und „Angola“ gegeben haben, das Potenzial, künftig in einem Atemzug mit Klassikern wie Brian Azzarellos und Eduardo Rissos „100 Bullets“ oder Ed Brubakers und Sean Phillips’ „Criminal“ genannt zu werden.
Marcus Müntefering
Von Brüno (Zeichnungen) und Fabien Nury (Szenario). Tyler Cross 2: Angola. Carlsen Comics 2016. 96 Seiten, 14,99 Euro.
PS. Der Knast von Angola kommt prominent vor auch im gerade erschienenen Dave-Robicheaux-Roman „Straße der Gewalt“ (Pendragon) von James Lee Burke (zum Beispiel dort Seite 46 f.) Zitat: „Die Zustände in Angola erlangten in den 1950ern landesweite Berühmtheit, als Gefangene begannen, lieber die Sehnen ihrer Fußgelenke durchzutrennen als Zeit in der sogenannten Red Hat Gang zu verbringen.“