Geschrieben am 1. April 2021 von für Crimemag, CrimeMag April 2021

Hanspeter Eggenberger: Michael Connelly

Renée Ballard in Harry Boschs Fußstapfen

Über Michael Connellys „Night Team“

Der amerikanische Autor Michael Connelly, 64, schreibt mit den Romanen um Harry Bosch seit 1992 eine der besten Polizeiserien der Kriminalliteratur. Neben der Robicheaux-Reihe (bisher 23 Bände) von James Lee Burke wohl die beste. Wie Burke lässt sich Connelly zwischendurch immer wieder auf neue Protagonisten ein. Doch diese kreuzen dann mitunter wieder die Wege von Bosch. 2005 etwa schuf er den Anwalt Mickey Haller (»The Lincoln Lawyer«), der dann nächsten Band auf Bosch traf, und die beiden fanden heraus, dass sie Halbbrüder sind.

Eine Schwester von Bosch, wenn auch nicht im familiären Sinn, ist Renée Ballard, die Connelly 2017 erstmals auftreten ließ (»The Night Show«). Schon da sah man Ähnlichkeiten mit Bosch, etwa eine gewisse Renitenz gegenüber Vorgesetzten, das Umgehen von Vorschriften, wenn es denn zielführend scheint, und vor allem die Unerbittlichkeit bei Ermittlungen. Auch Ballard führte Connelly schon im zweiten Band »Dark Sacred Night«, der jetzt als „Night Team“ auf Deutsch vorliegt, mit Bosch zusammen. Der Veteran taucht eines Nachts auf der Wache auf, auf der Ballard als Detective des LAPD in den Nachtdienst verbannt ist, seit sie einen Vorgesetzten der sexuellen Belästigung beschuldigt hatte, um in alten Akten zu schnüffeln. Ballard, immer neugierig, schaut sich den Fall an, für den Bosch sich interessiert. Es geht um einen ungeklärten Sexualmord. «Das rührte tief in ihr etwas an, etwas, das sie auch dazu veranlasst hatte, Polizistin zu werden und vor allem Männer zu jagen, die Frauen quälten und hinterher auf den Müll warfen. Was Harry Bosch auch vorhatte, sie wollte unbedingt dabei mitmachen.»

Und so arbeitet sie neben ihrer dienstlichen Arbeit mit dem ohne Auftrag tätigen Bosch an diesem Fall zusammen. Und bei allen Gegensätzen verstehen sich die junge Surferin und der grantige Alte in den grundsätzlichen Fragen bestens. «Sie haben dieses gewisse Etwas – wahrscheinlich hat das höchstens einer von hundert», sagt Connelly am Ende zu Ballard. «Sie haben Narben im Gesicht, aber niemand kann sie sehen. Weil sie wild entschlossen sind. Sie geben nicht auf. Ohne das, was Sie haben, gäbe es mich schon lange nicht mehr. Deshalb mein Vorschlag. Lassen Sie uns zusammenarbeiten, gemeinsam Fälle lösen. Dienstmarke hin oder her, spielt alles keine Rolle. Das habe ich längst hinter mir.»

Und so ist denn der im Original 2019 erschienene dritte Renée Ballard gleichzeitig auch der 22. Harry Bosch. Nachdem es eine Lücke bei den Übersetzungen ins Deutsche gab, bevor sich der Zürcher Kampa Verlag dem Altmeister Connelly annahm, sind wir da etwas im Rückstand. Wir warten noch auf „The Night Fire“ und für November 2021 ist im englischsprachigen Raum „The Dark Hours“ angekündigt, Renée Ballard Nr. 4. Inzwischen hat der fleißige Autor übrigens auch einen dritten Jack McEvoy (»The Poet«, 1999) und den sechsten Mickey Haller rausgehauen, letzteren mit Harry Bosch als Sidekick.

Seinen Harry Bosch wird Michael Connelly nicht ewig weitermachen lassen können. Mit Renée Ballard ist die würdige Nachfolgerin aber bereits eingeführt.

Michael Connelly: Night Team (Dark Sacred Night, 2018). Aus dem Englischen von Sepp Leeb. Kampa Verlag, Zürich 2021. 443 Seiten, 19,90 Euro. 

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