
Ein Denkmal für Dave Robicheaux
Hanspeter Eggenberger über »Mein Name ist Robicheaux« von James Lee Burke
Ein Klotz. 600 Seiten. Bei genauem Hinschauen werden die letzten rund 35 Seiten zwar durch eine zusätzliche Erzählung, »The Wild Side of Life«, bestritten, aber Mein Name ist Robicheaux ist immer noch ein fetter Wälzer. Eine Art Denkmal für Dave Robicheaux, den Helden von nun bereits 22 Romanen, die eine der besten Serien in der aktuellen Kriminalliteratur bilden, wenn nicht die beste. Gut 30 Jahre nach seinem ersten Auftritt in »The Neon Rain« (1987; Deutsch: «Neonregen», 2016, Pendragon) ehrte Altmeister James Lee Burke seinen Serienhelden mit dem Namen im Buchtitel.

Dank dem Pendragon Verlag können wir diese Reihe, die Kriminalliteraturgeschichte geschrieben hat und die der inzwischen 82-jährige Autor weiter fortschreibt, auch auf Deutsch weiter- und/oder wiederlesen. Ab 1991 erschienen die ersten drei Robicheaux-Romane bei Ullstein, 1993 übernahm Goldmann, wo bis 2003 acht weitere Titel erschienen, wobei zwischendurch schon mal einer ausgelassen wurde. Dann saßen die deutschsprachigen Leser plötzlich auf dem Trockenen. Bis 2015 Pendragon begann, einerseits bis dahin noch nicht ins Deutsche übertragene Titel herauszugeben und anderseits die früheren deutschen Fassungen neu aufzulegen. Inzwischen liegen bei Pendragon 14 Robicheaux-Romane vor. (Zu diesem Start siehe auch Alf Mayer in CrimeMag, Februar 2015: Aus einer Kriegszone.)
Die eigentlichen Plots, die Fälle, mit denen sich der Ermittler Dave Robicheaux – am Anfang bei der Polizei in New Orleans, dann beim Sheriff Departement in New Iberia – in all den Romanen befasste, waren für mich bei der Lektüre nie das Wichtigste, meistens erinnerte ich mich schon nach kurzer Zeit nicht mehr daran. Dafür an viel anderes. Was bei Burke fasziniert, ist einerseits die Figur Robicheaux, die seit Jahrzehnten mit Depressionen, Alkoholismus und Vietnam-Traumata zu kämpfen hat. Ein Mann, der versucht, seinen Moralvorstellungen nachzuleben. Der zwar die Ordnungskräfte des Staates vertritt, der sich aber im Zweifelsfalls eher für Gerechtigkeit als für das Recht stark macht. Und dann ist da Louisiana, dieser selbst für US-Südstaaten-Verhältnisse ziemlich außergewöhnliche Bundestaat, den uns Burke auf unnachahmliche Art näherbringt.

Die eine Hälfte des Staates steht unter Wasser und die andere unter Anklage.
Und vor allem ist es Burkes Erzählkunst, die fesselt. Die starken Dialoge, der trockene Humor, immer wieder aufblitzende Ironie und manchmal beißsender Sarkasmus. Es gibt kaum einen anderen Autor, bei dem ich selbst ausführlichere Beschreibungen von Landschaften oder von Wetterphänomenen so genieße, wie bei Burke. Wo ich bei anderen quer zu lesen beginne, gehe ich bei Burke immer mal wieder zurück, um mir einen Absatz nochmals auf der Zunge zergehen zu lassen.
Dabei kommen wir bei Burke in Sachen Kriminalität dennoch nicht zu kurz. In »Mein Name ist Robicheaux« zeigt etwa die Gattin eines bekannten Schriftstellers einen aufstrebenden Politiker an, weil er sie vergewaltigt habe. Aber vielleicht war es auch der armselige Underdog der kurz danach brutal ermordet aufgefunden wird – mit Löchern von einer Bohrmaschine im Kopf. Zudem geht ein mysteriöser Killer um, der in der Gegend eine längere Liste abzuarbeiten scheint? Hat das vielleicht etwas mit den acht unaufgeklärten Morden an jungen Frauen im benachbarten Bezirk zu tun?
Die Morde im Jeff Davis Parish entsprangen einer Kultur, die viele Amerikaner nicht begreifen könnten, einem Gemisch aus korrupten Cops, Ignoranz, Gier, Frauenfeindlichkeit, Grausamkeit, sexueller Erniedrigung, Drogensucht und letztendlich einer kollektiven Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Menschen, die weder Macht haben noch eine Stimme haben. Ich rede von einer neuen Gesellschaftsschicht, einer, die sich nicht über die Rasse definiert. Sie kommen bereits drogen- und alkoholabhängig zur Welt, ähneln nur äußerlich einer Familie, ziehen von Stadt zu Stadt, wo sie Drogen oder sich selbst verkaufen, oder stehlen, um Drogen zu kaufen. Die Ironie ist, dass sie keine Kriminellen sind, zumindest nicht auf die klassische Weise. Sie sind bemitleidenswert, traurig, verletzlich und sammeln sich an Busbahnhöfen wie Ährenfische bei Flut.
Robicheaux selbst wird zum Verdächtigen in einem Mordfall. Unlängst hat er seine Frau bei einem Autounfall verloren. Als ihm ein Gangster erzählt, dass das gar kein Unfall sondern ein gezielter Anschlag gewesen sei, stellt er den Verursacher zu Rede. Kurz darauf wird der Mann brutal ermordet. Robicheaux ist selber nicht sicher, ob er den Mann nicht getötet hat, denn er hatte einen schweren Alkoholabsturz und erinnert sich an nichts. Sein Kumpel Clete Purcel glaubt an ihn:
«Dein Krieg war immer einer, den du gegen dich selbst geführt hast, nicht gegen andere.»
«Mein Name ist Robicheaux» ist ein großartiger Kriminalroman, aber auch ein eindrückliches Südstaaten-Epos. Die verschiedenen Fälle, Robicheaux’ Kämpfe mit seinen Dämonen sowie grundsätzliche Auseinandersetzungen mit Fragen nach Schuld, Sühne und Erlösung sind ein gewichtiger Teil dieses Buchs. Daneben entwirft Burke in den Reflexionen seines Helden beiläufig aber auch ein aktuelles Bild des Zustandes des Landes und vor allem seiner Südstaaten. Demagogische Politiker und weiße Rassisten gehören ebenso zum Personal wie machtgierige Gangster und korrupte Polizisten. New Orleans ist hier nicht »The Big Easy«, sondern »The Big Sleazy«. Louisiana bezeichnet Burke »Freiluft-Irrenhaus«, Leberzirrhose sei hier »eine Erbkrankheit«. Und beim Sheriff Departement in New Iberia gibt es viel zu tun:
Zu jedem beliebigen Zeitpunkt am Tag erhielten wir einen beständigen Strom von Berichten und Anzeigen über Hauseinbrüche, Autounfälle, zu laute Partys, Schlägereien vor Kneipen, häuslichen Streitereien, eine überfüllte Jauchegrube, einen Wasserboiler, der nicht anging, Müll, der nicht abgeholt wurde, ein im Bayou entsorgtes Sofa, einen Spanner, einen Alligator in einem Swimmingpool, einen anderen Alligator, der sich ein Hähnchen vom Grill krallte, Beutelratten, die sich bei irgendwem durch die Stromkabel fraßen, eine lebendes Stinktier, das Kids in den Wagen des Schuldirektors gepackt hatten, und manchmal waren aus richtig ernste Sachen wie Mord, bewaffneter Raubüberfall oder schwere Körperverletzung.
Doch Robicheaux sieht seine Zunft kritisch:
Ungefähr ein Drittel aller Polizisten lieben ihren Job, ein Drittel isst zu viele Donuts und ein Drittel sind Menschen, denen man besser keine Macht über andere gegeben hätte.
Robicheaux glaubt an das Gute im Menschen, und für die Guten setzt er sich leidenschaftlich ein. Auch wenn seine Chefin, Sheriff Helen Soileau, ihm zu Bedenken gibt:
»Du willst unbedingt glauben, dass die Menschen besser sind, als es tatsächlich der Fall ist.«
- James Lee Burke: Mein Name ist Robicheaux (Robicheaux. You Know My Name, 2018). Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Pendragon Verlag, Bielefeld 2019. 600 Seiten, 22 Euro.
James Lee Burke bei CrimeMag.