Im Herbst ist der Zirkus unterwegs, Autoren aus aller Welt werden eingeflogen, um ihre neuen Bücher zu bewerben, und ziehen mit ihrem Tross (Presseladies, nette Moderatoren und vorlesende Schauspieler) durch die Lande. Fürs Lesepublikum ist das meistens große Klasse, vor allem, wenn ein paar big names kurz hintereinander vorbeikommen. Henrike Heiland hat sich zwei Beispiele angeschaut:
Battle of the Bestsellers
Mittwoch, 31.10. John Katzenbach liest im Kriminaltheater Berlin aus „Der Wolf“. Moderiert von Margarete von Schwarzkopf, deutsch gelesen von Rainer Strecker.
Donnerstag, 1.11. Don Winslow liest im Festsaal Kreuzberg aus „Kings of Cool“. Moderiert von Peter Twiehaus, deutsch gelesen von Dietmar Wunder.
Krimibestsellervorlesewoche, quasi. Und eine Weltreise, eine qualitative. Es ist wahrscheinlich von vorneherein nicht fair, zu John Katzenbach zu gehen, wenn man weiß, dass man nicht nur am nächsten Tag Don Winslow vor sich haben, sondern auch darüber schreiben wird. Katzenbach wird verlieren, das ist mal klar, und die Kluft zwischen beiden Autoren – sagte ich Weltreise? Wohl eher die Reise vom Alpha- zum Deltaquadranten unseres Universums. Ist das gemein? Mal sehen.
Katzenbach
John Katzenbach zeigt sich mit deutlicher Verspätung (Tonprobleme, die bis zum Schluss nicht behoben werden konnten) vor nicht ganz halbvollem Hause mit seinem „Wolf“, einer Geschichte über einen Serienkiller, der es auf Rothaarige, also Rotkäppchen, abgesehen hat. Gleich drei davon hat er im Visier, und vor allem will er sich erst einmal an ihrer Angst weiden. Der Killer ist eigentlich Thrillerautor und schreibt, klar, über seine verängstigten Rothaarigen, die er liebevoll durchnummeriert hat. Blöd nur, dass sich irgendwann seine Ehefrau in sein ihr eigentlich verschlossenes Arbeitszimmer verläuft und kapiert, was los ist.
Sprachlich präsentiert wird all das – zweifelsfrei gut gelesen von Rainer Strecker – mit großen Gesten: Da tippt zum Beispiel nie jemand, da fliegen die Finger nur so über die Tastatur. Und wenn die Frau ihren Mann zur Rede stellt, wechselt dieser nicht nur mit jedem Satz, den er sagt, seinen Gemütszustand, sie fällt zusätzlich noch von einer qualvollen Emotion in die nächste. Flüssige Dialoge gehen anders. Aber Katzenbach weiß, wie Spannung geht, heißt es von der Bühne herab, und Katzenbachs Statement zum Thema, wie man als Thrillerautor vorgeht, wenn man so erfolgreich sein will wie er: immer die Leser überraschen und Wendungen einbauen, mit denen sie so jetzt mal nicht gerechnet hätten. (Neunzig Prozent der Anwesenden zücken den Bleistift und notieren sich diesen wertvollen Tipp, um gleich tags drauf einen Bestseller zu schreiben- okay, das war jetzt gelogen.) Ach, und: Bei mehreren real existierenden Serienkillern in den USA wurden übrigens bei der Festnahme Bücher von ihm gefunden. Da freut er sich ein bisschen drüber. Ansonsten verläuft der weitere Abend ereignislos. Eine Lesung eben. Hinterher wird ein wenig signiert. Es ist schnell vorbei.
Winslow
Nächster Abend, Don Winslow, der Festsaal Kreuzberg ist knallvoll, die Stimmung weniger nach Lesung, mehr nach Konzert. Der veranstaltende Buchhändler hat eigens Poster drucken lassen, mit denen er sich nach der Show möglicherweise das Schlafzimmer tapezieren wird. Die Gäste prügeln sich um strategisch günstige Plätze, weil sie gute Fotos machen, aber auch schnell ganz vorne in der Signierschlange stehen wollen. Die Veranstaltung fängt ein paar Minuten später an, was möglicherweise an dem nervös herumhühnernden Publikum liegt. Hier sind keine Zuhörer, hier sind Fans.
Dietmar Wunder liest nicht, er performt, und auch wenn Don Winslow kein Wort Deutsch versteht, man sieht ihm an, dass er sich problemlos das finnische Telefonbuch von ihm vorlesen lassen würde, ohne sich zu langweilen. Winslow selbst, needless to say, liest auch prima, sagt witzige Sachen, äußert sich angesichts der bevorstehenden Wahl politisch eindeutig, erzählt, wie er sich von Musik, von Filmen stilistische Anregungen holt. Entertainment, mit Aussage. Es wird die Geschichte der „Kings of Cool“ erzählt, die den Drogenkrieg in Kalifornien und Mexiko zum Thema hat und wie alles in den 60ern begann: Hippies und Surfer … Hier leben die Figuren, Sprache wird zu Rhythmus und Musik, und jeder weiß, dass dort oben auf der Bühne zwei große Künstler sitzen.
Die Signierschlange wickelt sich einmal durch die Halle bis zum Ausgang, und irgendwann kehrt das Sicherheitspersonal die Fans raus, weil eine andere Veranstaltung anfangen soll. Nur, dass keiner gehen will, nicht, solange Winslow noch in der Nähe ist.
Sieht man sich Katzenbachs Hintergrund an – Akademikereltern, Akademikerehefrau, selbst Akademiker –, hat man vielleicht eine Erklärung für die Selbstzufriedenheit (Bräsigkeit?) des Autors, die nicht allein aus den Verkaufszahlen zu ziehen ist. Winslow, der sich als Arbeiterkind bezeichnet und den seine vielen verschiedenen Jobs quer durch das Land, quer durch die sozialen Schichten geführt haben, reitet vielleicht mittlerweile auch seine Erfolgswelle zu Tode, man wird es beim nächsten Buch wissen, aber bisher macht er den Eindruck eines Mannes, der noch ausprobiert, weiter sucht, feilt und schraubt, um besser zu werden, noch besser.
Fazit? Das sollte klar sein. Und ja, es ist gemein und unfair, die beiden zu vergleichen.
Die Frage, die sich stellt: Gibt es eine Schnittmenge? Jemanden, der beides mag? Bestimmt, doch, nur fällt es nach diesen beiden Abenden so schwer, daran zu glauben. Wegen der Lichtjahre, die sich zwischen den beiden Autoren auftun in Stil, Inhalt, Performance, Positionierung.
Henrike Heiland
Don Winslow als Hörbuch: Kings of Cool. Lesung. Sprecher: Dietmar Wunder. Der Audio Verlag 2012. 5 CDs. 19,99 Euro. Mehr hier. Don Winslow und John Katzenbach bei ihrenBuch- Verlagen.
Zur Homepage von Henrike Heiland. Fotos: Claudia Fiedler.