Geschrieben am 6. September 2015 von für Crimemag

James Carlos Blake: Pistolero

LK_Blake_Pistolero_H15Prolog zu einem Buch mit 50 Stimmen

CrimeMag hat von Beginn an zu seinen Herolden gehört – James Carlos Blake ist ein das Genre bereichernder und es sprengender Autor. Hier präsentieren wir Ihnen den Prolog seines zweiten deutschen Auftritts: „Pistolero“.

Die Herkunft des Kriminalromans von der Grenze zur Wildnis, aus dem moralischen Unterholz, diese heute noch in jedem guten Roman an unseren zivilisatorischen Wurzeln grabende Haltung, wird in den Verbindungen des Genres zum Western ganz offenkundig. Elmore Leonard wechselte völlig selbstverständlich zwischen Western & Crime, ebenso Robert B. Parker. Unser neuer Kolumnist, der englische Autor John Harvey, tat dies ebenso: John J. McLaglen, William S. Brady oder John B. Harvey lauten seine entsprechenden Pseudonyme. (Siehe zu diesem Grenzgängertum auch die CM-Überlegungen „Draußen vom Walde komm ich her“.) Der in Mexiko und dem amerikanischen Grenzland aufgewachsene, mit dem Roman „Das Böse im Blut“ (In the Rogue Blood, CM-Kritik hier) endlich auch bei uns bekannt gewordene James Carlos Blake begann seine literarische Karriere mit Western-Themen, schreibt heute Borderland-Noirs und wird gewiss wieder ins historische Outback zurückkehren.

James Carlos Blake (c) Maura Anne Wahl

James Carlos Blake
(c) Maura Anne Wahl

25, wenn nicht gar 40 Tote auf dem Gewissen

Nach dem furiosen „Das Böse im Blut“ wagt der Verlag Liebeskind sich nun an die deutsche Erstveröffentlichung von Blakes Erstlingsroman. Seit Titel ist „Pistolero“ (The Pistoleer), das Buch schildert – sozusagen ganz kriminalistische Ermittlung – das widerspruchsvolle Leben des Outlaws John Wesley Hardin aus der Sicht von 50 Personen, die ihm begegnet sind. Hardin (1853‒1895) tötete seinen ersten Mann im Alter von 13, mindestens 25, wenn nicht gar 40 Tote sollen auf sein Konto gegangen sein. Immer habe er in Notwehr gehandelt, behauptete er, der angeblich ein Pfund Blei in seinem Körper trug. Verwandte, Gesetzeshüter, Barkeeper, Prostituierte, Freunde und Feinde, die ihn kannten, erzählen seine Geschichte in vielen Vignetten. James Carlos Blake „spricht“ in „Pistolero“ mit vielen Stimmen. Angereichert mit Dokumenten, Zeitungsartikeln, Akten und Anekdoten, entsteht hier weit mehr als eine fiktionale Biographie, nämlich eine faszinierende Evokaton von Ort und Zeit, und eben jenen Menschen, die eine Grenze besiedelten.

Otto Penzler, der in seiner Mysterious Press Blakes aktuelle Border-Noirs „The Rules of Wolfe“ und „The House of Wolfe“ herausgebracht und eine Option auf den nächste Roman hat, war für diesen Autor seit seiner ersten Lektüre eingenommen. Das erste Blake-Buch, das er las, war „The Pistoleer“.

Hier nun James Carlos Blake himself und sein Prolog aus „Pistolero“.

blake hardin poster gut_u4Prolog – „Pistolero“

„Er war der gefährlichste Killer in Texas, da waren sich alle einig. In jeder anderen Hinsicht hätten sie auch über zwei verschiedene Personen sprechen können …

Manche hielten ihn für einen Helden. Zum Teufel, hat er etwa nicht die Waffe auf die Blaubäuche gerichtet, die in den dunklen Tagen nach dem Krieg in ganz Texas gewütet haben? Er war noch ein ganz junger Bursche, und schon hat er gegen die Ungerechtigkeit gekämpft. Und als die schändliche State Police in ganz Texas unschuldige Leute schikanierte, hat er da nicht diesen von Davis losgelassenen Teufeln die Hölle heiß gemacht? Hat er sie etwa nicht nahezu eigenhändig aus Gonzales County vertrieben? Sicher, er hat Männer getötet, viele Männer – Männer, die versucht haben, ihn zu töten! Selbstverteidigung ist das oberste Gesetz des Lebens; weiß doch jeder. Und es ist eine Kunst – eine Kunst, die jeder gern beherrschen würden. Hardin hat nichts anderes getan, als nach diesem Gesetz zu leben und diese Kunst zu beherrschen. Wer würde nicht dasselbe tun, wenn er nur den Mut und die Fähigkeiten hätte? So sagten die einen.

Einige waren ganz anderer Meinung. Er sei von Natur aus rebellisch gewesen, sagten sie, ein schwarzes Schaf. Nein, schlimmer – viel schlimmer. Von Grund auf böse. Ein geborener Killer. Eine gewalttätige Seele, beherrscht vom Stolz, der schlimmsten aller Todsünden. Seinen mörderischen Taten noble Absichten zu unterstellen, hieße, Teufelshörnern einen Heiligenschein aufzusetzen. Sagten die anderen.

Und was sie nicht alles redeten. Er habe seinen ersten Mann mit fünfzehn getötet. Mit achtzehn habe er auf der Hauptstraße in Abilene Wild Bill Hickock zu einem Rückzieher gezwungen, vor hundert Zeugen. Er sei so oft angeschossen worden, dass er ein Pfund Blei im Leib tragen würde. Als er mit fünfundzwanzig ins Gefängnis kam, da habe er schon vierzig Mann, vielleicht mehr, getötet.

Sie sagten, das Gefängnis habe seinen Geist nicht brechen können, aber seinen Leib hat es jahrelang gequält. Er sei hinter diesen Mauern zahm geworden, seiner Frau zuliebe. Er habe das Recht studiert und sei nach sechzehn Jahren begnadigt worden. Da sei seine geliebte Jane schon seit einem Jahr im Grab gewesen.

Sie sagten, er habe sich danach sehr bemüht, ein anständiges Leben zu führen, doch das habe seine Natur nicht zugelassen. Seine Seele sei wund gewesen, er war einsam. Es trieb ihn westwärts in die niederträchtigste Stadt von Texas. Dort sei er zu dem schändlichen Leben seiner Jugend zurückgekehrt, habe sich den Whiskeys und das Glücksspiel wieder zur Gewohnheit gemacht. Er habe sich eine Geliebte mit wildem Herzen genommen und habe stets geladene Revolver bei sich getragen. Der Schatten des Todes sei ihm überall hin gefolgt.

All diese Dinge sagten sie und noch mehr, jene, die ihn in den zweiundvierzig Jahren seines Lebens auf die eine oder andere Weise gekannt hatten: Freunde und Feinde, Verwandte und Fremde, Soldaten, Herumtreiber, Cowboys, Gesetzeshüter und Gesetzlose, Spieler und Dirnen, Richter, Gefängniswärter und Häftlinge – Zeugen, sie alle, die den Weg des Pistolero gekreuzt haben.“

(Textauszug aus: James Carlos Blake, „Pistolero“,  aus dem Englischen von Peter Torberg, Liebeskind 2015.)

James Carlos Blake: Pistolero (The Pistoleer, 1995).Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. München, Liebeskind 2015. Hardcover, 400 Seiten, 22,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch und  Autor.

Blake_DasBoeseImBlutEbenfalls empfohlen:
James Carlos Blake: Das Böse im Blut (In the Rogue Blood, 1997) Roman. Übersetzung von Matthias Müller. München: Liebeskind 2013, 448 Seiten, 22,00 Euro. Verlagsinformati0nen zum Buch.
(Foto James Carlos Blake: (c) Maura Anne Wahl)
James Carlos Blake bei CrimeMag hier und hier.

Die Bücher von James Carlos Blake:

The Pistoleer (1995, jetzt auf Deutsch)
The Friends of Pancho Villa (1996)
In the Rogue Blood (1997, dt. Das Böse im Blut, 2013)
Red Grass River (1998)
Borderlands, (short fiction, 1999)
Wildwood Boys (2000)
A World of Thieves (2002)
Under the Skin (2003)
Handsome Harry (2004)
The Killings of Stanley Ketchel (2005)
Country of the Bad Wolves (2012)
The Rules of Wolfe (2013)
The House of Wolfe (2015)

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