Geschrieben am 3. Februar 2019 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2019

Katja Bohnet über Jess Kidd

Alter Flattermann

Zum Roman „Heilige und andere Tote“

Literatur kann alles, darf das Meiste. Was sich die katholische Kirche schon seit Jahrhunderten leistet, darf Jess Kidd erst recht: Sie lässt in ihrem Roman Heilige aufmarschieren. Diese alten Flattermänner und -frauen verhalten sich selbstbewusst und modern. Sie kommentieren das Geschehen, greifen in die Handlung ein. 

Kidd lässt ihrer Ich-Erzählerin viele Freiräume. Diese trifft auf einen alten Chaoten, einen Rentner, der als Querulant und Zumutung für jeden Altenpfleger gilt. Viele hat er verschlissen, einen bereits in die Flucht geschlagen. Cathal Flood ist ein klapperdürrer Opa, riesengroß, scharfzüngig, ein Misanthrop. Er wohnt in einer total zugemüllten Villa, die Geheimnisse verbirgt. Maud Drennand, ihres Zeichens Altenpflegerin, hat den Auftrag, sich um den renitenten Mann zu kümmern. Sie soll das Chaos ordnen. Irgendwie. Also erfüllt sie ihre Pflicht stoisch, bewaffnet mit Mülltüten, Mundschutz und Gummihandschuhen. Auch eine Aufgabe außergewöhnlicher Literatur: Hier laufen die von der Gesellschaft Ausgeschlossenen auf. Die Alten und Einsamen, Tunten und Sonderlinge. Jess Kidd schafft für sie einen Raum. Hier finden sie Gehör.

Staub und Wedel

Ein weiterer Erzählstrang beleuchtet die Vergangenheit der weiblichen Hauptfigur. Das Verbrechen kommt hier mysteriös daher. Als kleine Irritation, als Fehler in der Matrix, als etwas, das, obwohl es unterdrückt wird, immer wieder stört. Das Verbrechen will einfach nicht vergessen werden. Wie die Heiligen, die durch Straßenlampen und Wände hindurch diffundieren, leuchtet der Tod immer wieder auf, bedrängt die noch Lebenden. Jess Kidd erzählt eindringlich und mit Witz. Eine Geschichte, die gelesen werden will. Ist die Ausstattung dieses Romanes doch eher staubig, Mobiliar und Mauerwerk aus einer anderen Zeit, sind Ton und Stil doch zutiefst modern. Es ist diese gelungene Mischung aus alt und neu, abseitig und vertraut, die diesen Roman trotz oder gerade wegen seiner Schrulligkeit über die Massenproduktionen der Verlage erhebt. Das Cover ist wie der Roman ein Genuss. Man kann dieses Buch einen Kriminalroman nennen, muss es aber nicht. Jess Kidd versteht sich nicht nur stilistisch auf den unmöglichen Spagat. Wenn das Chaos beseitigt ist, kommt Licht in die Vergangenheit. Altes wegzuwerfen bedeutet Verlust. Aber Verlust bedeutet auch immer Gewinn. Den Gewinn von Freiheit. Die Chance eines Neuanfangs.

Katja Bohnet – ihre Texte bei CrimeMag hier.

Jess Kidd: Heilige und andere Tote (The Hoarder, 2018). Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Zimmermann. Dumont Verlag, Köln 2018. 382 Seiten, 15,99 Euro. VerlagsinformationenEin Interview mit Jess Kidd hier. Ihre eigene Internetseite.

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