Geschrieben am 29. August 2009 von für Crimemag, Kolumnen und Themen

Klaus Kamberger: Übersetzungskritik

Shit happens

Fehler passieren, niemand ist frei davon. Sonst gilt: … der werfe den ersten Stein! Aber manchmal kommt es allzu dicke … Unsere Übersetzungskritik- Kolumne von Klaus Kamberger.

Fehler macht jeder. Eine kritische Kolumne, die bloß immer „falsch!“ oder „richtig!“ blökt, wenn in einer Übersetzung mal wieder die Sprache verbogen wird oder, leider selteneren Falles, gar eine elegante Feder geführt werden sollte, verfehlt ihr Thema. Eine kritische Revision jener Textflut, die hierzulande auf den Markt schwappt, muss mehr bieten: Sie muss die Kongruenz einer Übersetzung mit der Vorlage und mit den Ansprüchen und Möglichkeiten der deutschen Sprache im Blick haben. Wobei man nicht gleich den „Dienst“ an der deutschen Sprache herbei beschwören muss – Dienst am Leser reicht auch schon. Und nicht zuletzt sollten die einschlägigen Verlage immer mal wieder an ihre oberste kaufmännische Pflicht erinnert werden. Welche da lautet, nicht für faule Ware auch noch Geld zu nehmen.

Natürlich ist vieles Geschmackssache. Steifes, Gestelztes, Unbeholfenes und das vermaledeite Bürokratendeutsch stößt dem einen auf, dem anderen nicht. Man kann es hin und wieder hinnehmen, ohne gleich aufzuschreien. Doch für Murks und Blödsinn auch noch ins Portemonnaie greifen? „Wir krachten mit den Köpfen zusammen und landeten gemeinsam in einem Haufen auf der Schwelle.“ Ei was! Hat die Putzfrau da einen Hundehaufen vor der Tür übersehen? Oder wurde am Ende der Haufen, über den man jemanden rennt, mit dem Knäuel verwechselt, in das man sich verwickeln kann?

Trotzdem: Wenn’s bei so einem Ausrutscher bleibt und der Rest stimmt – Schwamm drüber. Leider ist das zitierte Fundstück aber ein notorisches. Schon auf den ersten 40 Seiten des neuen Donna-Andrews-Schmökers aus dem Hause Bastei-Lübbe massiert Sinnfreies sich in rekordverdächtigem Maße. Zwar lehrt lange eigene Erfahrung aus der Übersetzerwerkstatt, dass nach der Niederschrift des ersten Entwurfs die abschließende Textredaktion nicht selten zu einer totalen Neufassung der ersten 30, 40, 50 Seiten führen kann: Vom Ende her liest sich vieles plötzlich ganz anders als Wochen zuvor beim ersten Durchgang.

Da wäre es doch nur fair, denkt der Rezensent, einfach ein wenig zu blättern und weiter hinten nachzuschauen. Die Übersetzerin könnte anfangs ja ein wenig in ihr Werk hineingestolpert sein und erst peu à peu das Laufen gelernt haben. Leider Fehlanzeige: Das „Haufen“-Fundstück stammt von Seite 325. Der Murks hat also Methode. Und so hat der Rezensent nach 40 Seiten die Waffen gestreckt. Es war schlicht nicht auszuhalten. Was diesmal umso ärgerlicher war, als ursprünglich die Neugier auf die (mehrfach prämierte) Autorin Anlass zur Lektüre war und nicht etwa der Wunsch, einem Verlag samt Lektorat und damit am Ende leider auch einer Übersetzerin mal wieder Saures zu geben.

Die Folge: Über das Buch kann hier nichts Endgültiges gesagt werden. Dennoch sei en passant bemerkt: Das bis dahin Gelesene (und rudimentär Verstandene) war indes keineswegs so anregend, dass der Rezensent trotz allem den Masochisten geben mochte. Donna Andrews will nämlich mit fast jedem Satz furchtbar originell und witzig daherkommen, und dergleichen kann schnell furchtbar nerven.

Doch zurück zum Anlass unseres Unmuts. Er bricht sich schon gleich bei der Danksagung der Autorin Bahn. Man sagt bekanntlich Dank, um sich für erfahrene Hilfe erkenntlich zu zeigen. (Merke! Dies war gerade ein klassischer Finalsatz!) Wenn Donna Andrews indessen dankend Leute erwähnt, die „ihre therapeutische Praxis betraten, um feststellen zu müssen, dass sie sich die Räumlichkeiten [mit anderen]…teilten“, ist das schein-finaler und somit sinnfreier Humbug. Und gewiss hat uns die Autorin dankend an etwas ganz anderem teilnehmen lassen wollen, als an der Absicht einiger Leute, ihre Praxis zu betreten, um festzustellen, dass sie nicht allein waren …

Zugegeben, dergleichen Schwachsinn ist im deutschen Sprachgebrauch fast schon der Normalfall, wenn auch im Gewand unfreiwilliger Komik. (à la: „Fritzchen rannte mit Schwung um die Ecke, um dort mit Elfriede zusammenzustoßen.“ Also mit Vorsatz, oder?)

Nicht ohne Beispiele …

Um nicht missverstanden zu werden: Das eine oder andere schiefe Bild, die eine oder andere schlampige Anwendung der deutschen Sprache, sollte man auch Übersetzern hier und da als „lässliche Sünde“ durchgehen lassen. Sprache wandelt sich, und wir tun das mit ihr. Nehmen wir doch mal den ehrenwerten Titel des „Oberbrandmeisters“ bei der heimischen Feuerwehr. Bei Lichte betrachtet, ist das blühender Quatsch aus dem unendlichen Reich der Analogien. Denn logischerweise müsste nun der rangniedrigere Brandmeister den rangtieferen Brand und somit der Oberbrandmeister den Oberbrand bekämpfen. Aber lassen wir das: Derlei Beckmessereien sind etwas für Satiriker oder für Oberlehrer, je nachdem.

Doch es gibt Grenzen der Zumutung und somit Zumutungen, die man nicht tolerieren muss:
•      „Er flog durch den Raum, scharrte dazu in komplizierter Abfolge mit den Füßen und …“ Ein physikalisches Wunder: Ikarus findet in der Luft etwas zum Scharren …

•     „Sie lächelte grob in meine Richtung …“ Fragt sich nur, ob sie immer so grob lächelt oder doch hin und wieder nur flüchtig.

•     „… doch ihre Augen wanderten über mich hinweg und hefteten sich fiebrig auf …“ Was Augen nicht alles können – ihre Höhlen verlassen, sich auf etwas heften; und am Ende da haften bleiben? Oder gar noch anfangen zu bohren?

•     „Die Designabteilung [für Computerspiele] will mich als Modell für ein paar neue Charaktere benutzen.“ Ob die Designer da eher an gute denken oder eher an schlechte? An feste oder schwankende? Und das, etwas später im Text, gar noch zu „Hunderten“?

•     „Die Telefonzentralenaushilfe des Tages …“ Vom Angebot der Woche zur Aushilfe des Tages. Demnächst gibt es sicher noch ein Geld des Tages (in Form von Spesen) und den Löhner des Tages (hoffentlich zum gesetzlichen Tariflohn).

•     „Ich sah, wie ein uniformierter Officer an seiner Schulter Notizen verfasste.“ Wie er das wohl machte? Runter mit der Uniformjacke, her mit der Tattoonadel? Oder sprach er vielleicht in ein Mikro an der Schulterklappe? Gewiss, selbst das könnte man noch abbuchen unter „Fehler, wie sie jedem unterlaufen“. Aber eben weil ein eigens ausgewiesener „Textredakteur“ diesen Unfug noch in die Druckfassung eingehen lässt und eine absolute Sinnfreiheit zumindest billigend in Kauf nimmt, ist ein Ende der Geduld angesagt.

•     Rico braucht neue Klamotten. Der Grund: „Die Überwachung einiger kennzeichnender Pizzaflecken auf seinem T-Shirt ließ darauf schließen.“ Aha. Auch der Anblick gewisser Texte lässt den einen oder anderen Schluss zu, nicht wahr?

•     „Die Tür … rührte sich nicht mehr.“ Vor Schreck? Oder war sie ein bisschen ohnmächtig? Gar tot?

•     „Ich handelte alle blinkenden Leitungen in rasanten zwei Minuten ab …“ Wir sind, siehe oben, wieder in der Telefonzentrale, wo die Aushilfe des Tages die Dinge nicht bloß abarbeitet, sondern gleich im großen Stil abhandelt – ganz wie im Drama. Oder soll’s nur so klingen?

So geht das munter weiter, kaum ein Absatz ohne Treffer. Und zum Ausgleich gar nichts Versöhnliches anzumerken? Doch, doch. Endlich „zuckt mal einer mit den Achseln“. Tausend Dank, liebe Übersetzerin, lieber Textredakteur! Tut richtig gut, kommt nämlich immer seltener vor. (Wetten, dass es nicht mehr lange dauert und wir lesen: „Er zuckte das Lid.“)

Aber sonst? Seien es englische Floskeln und Redensarten oder gar die Eigentümlichkeiten des angelsächsischen Satzbaus: Die 1:1-Übernahme klappt bekanntlich fast nie, gehört aber wohl zu den unbezähmbaren Leidenschaften vieler Übersetzer, auch der hier zur Rede Stehenden.
•     „Was ich meinte, war, es ist wirklich schlimm wegen der …“ Merke: Was festzuhalten wäre, ist, dass, wenn man das Englische nimmt, auch dort nicht alles zwingend gut sein muss.

•     A. fragt: „Ob Sie mir vielleicht helfen können?“ B. antwortet: „Warum sollte ich das wollen?“ Geht’s noch verschraubter? Wie wär’s mit: A. „Können Sie mir helfen?“ B. „Warum sollte ich?“ Geht doch auch und trifft jetzt auch den Sinn. Denn weder war die Frage grüblerisch gemeint, noch die Antwort dezisionistisch. Dazu ein einschlägiger Ausflug ins Anglizistische (zum munteren Mitraten). In einem Buch aus einem anderen Verlag stieß der Rezensent einmal auf den schönen Satz: „Nein, danke, ich bringe mich selbst hinaus.“ Warum dann nicht gleich ganz wörtlich: Ich zeige mich selbst hinaus? Es geht auch vorwurfsvoll: „Treten Sie ein. Warum setzen Sie sich nicht?“ Auch dafür gibt es in unserem Donna-Andrews-Text eine hübsche Parallele: „Warum behalten sie den Teddy nicht und probieren ihn ein paar Tage aus?“ Ja, warum eigentlich nicht, verdammt noch mal!

Bleibt noch die elende Schachtelei von Haupt-und Nebensätzen, die im Englischen seltsamerweise so übersichtlich bleiben, was man ihnen im Deutschen indes nur selten nachsagen kann. Denn wer formuliert schon auf dem Niveau von Thomas Mann!
•     „Natürlich würde Rob, sollte ich ihm raten, Ted die Meinung zu sagen, vermutlich mich bitten, mich darum zu kümmern.“ Wer? Wem? Wen?

•     „Es bedeutete auch, dass ich Liz, wenn sie, wie es seit mehreren Tagen der Fall war, auf die Bücher zurückgriff, um sich in Hinblick auf irgendwelche komplizierten Schriftsätze schlau zu machen, normalerweise auf der obersten Stufe der Bibliotheksleiter hocken sehen konnte, wo sie in Büchern aus dem obersten Fach blätterte, dem Fach, in das sämtliche juristischen Schriften abgeschoben worden waren.“ Alles klar?

Noch einmal laut und deutlich: Für ein Buch wie dieses haben Leser, so sie nicht Rezensionsexemplare zugeschickt bekommen oder lieber in die Leihbibliothek gehen, gutes Geld hingelegt. In diesem Fall fast acht Euro. Wer immer das schon getan hat, sollte dem Verlag am besten einen Brief mit anliegender Zahlkarte schicken und die zum Fenster hinausgeschmissenen 7,95 Euro zurückfordern. Oder zumindest seine Verwunderung darüber zu Papier bringen, dass im Impressum zu diesem Machwerk nicht nur der Name der Übersetzerin steht (das ist ja urheberrechtlich so vorgeschrieben), sondern ein Verlagsbeauftragter obendrein namentlich für die Textredaktion einsteht. Also nennen wir ihn hier ruhig: Alexander Huiskes heißt er. Respekt! Sie trauen sich was, Herr H.!

Klaus Kamberger

Donna Andrews. Böse Vögel lassen Federn. Meg Langlows vierter Fall.
Aus dem amerikanischen Englisch von Frauke Meier.
Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe Verlag. 367 Seiten. 7,95 Euro.