Markt & Totschlag…
…heißt die neue Kolumne am Samstag, die sich in unregelmäßiger Folge glossierend mit den materiellen Bedingungen von Kriminalliteratur befasst – also mit Markt, Multiplikatoren, Machinationen und anderen profanen Dingen. Von Thomas Wörtche
1. Lieferung: Fake
An Krimis tobt sich „der Markt“ in Gestalt des Marketings in schöner Offenheit aus. Vermutlich, weil er Krimis als literarische Texte nicht ernst nehmen muss. Warum sollte man auch? Gerade habe ich die Bemerkung eines Krimi-„Autors“ gelesen, der sich bei irgendeiner Amateur-Rezension für das Lob seiner „Ausstattungselemente“ bedankt. Mit ernsthafterweise diesem Wort aus dem Möbelmodul-Katalog („Parabel, Eiche, furniert …“) brüstet sich der Autor, regionale Bezüge, Brücken und Kneipen erkennbar in seinen sicherlich eminenten und vermutlich maschinenlesbaren Roman eingesetzt zu haben. Na dann …
Retro? Ja, sehr …
Historisch kommt Kriminalliteratur „von unten“, war subliteratura, hat Jahrzehnte auf den diversen willkürlichen Grenzlinien zwischen U und E getanzt und dabei manchmal beide neu definiert, wollte „seriös“ werden, wurde „seriös“ und mag jetzt – würdig, steinern und erfolgreich geworden – nicht mehr so recht. Ganz grob gesagt.
Und alles natürlich sehr dialektisch, denn „Retro“ ist im Moment the taste of the month: D.h. vergessene, verdrängte, vergriffene Kriminalromane und AutorInnen aller Couleur werden wieder verlegt. Das ist einerseits hocherfreulich. Ross Thomas (beim Alexander Verlag), D.B. Blettenberg (bei Pendragon) oder Gerald Kersh (bei Pulp Master) etc. etc. bilden das kulturelle Gedächtnis unserer Zeit und sind deren Kultur. Das muss erhalten bleiben, wobei „erhalten“ heutzutage beinahe nur noch „lieferbar“ heißt. Aber wenn Lieferbarkeit bedeutet:
„Neuausgabe“ Rekonstruktion, Kommentarierung und stilles Ausbügeln der schlimmsten Versäumnisse von dunnemals – fein!Dass dabei natürlich auch hin und wieder der berühmte Gottfried Kellersche tote Hund nächtens ausgegrabenen und dem ungläubigen Publikum auf die Schwelle gelegt wird, wie in manchen Fällen der Retro-Edition deutscher Sozio-Krimis bei der Edition Köln, wird man verschmerzen können, und sogar noch befriedigt feststellen dürfen, dass ein Roman von –ky auch durch Lagerung kein bisschen besser wird, au contraire.
Gleichzeitig sitzt an dieser Stelle die Dialektik: Mit seiner eigenen Geschichte, seinen Bedingungen und Genesen, seinen Vorbildern, Mustern und Paradigmen beschäftigt sich ein kreatives, evolutionär voll im Saft stehendes Genre vermutlich eher weniger. Retro und die ästhetische Stagnation des Genres haben miteinander zu tun. Vielleicht ist Retro aber auch nur ein Zeichen für luftholen, durchatmen, Voraussetzungen angucken und neu durchstarten.Vor allem aber und gewiss ist Retro kostengünstig. Alt-Lizenzen sind zu sehr bescheidenen Preisen zu haben und solange es keine Neuübersetzungen geben muss, bleibt alles im arg überschaubaren Rahmen.
Was kostet der Tod?
Vielleicht aber auch nicht. Man kann’s auch teuer machen, gerade wenn’s billig ist … Das geht dann zum Beispiel so: Der Rotbuch Verlag kauft vom amerikanischen Verlag Hard Case Crime (=HCC) das Recht, das HCC-Logo für den deutschsprachigen Markt zu verwenden und dito die Buchcover, die für den amerikanischen Markt hergestellt worden sind – ganz im Geiste der us-mass-market Taschenbücher der 1950s.
Dass diese Illustrationen nicht nur gewollt trashig sind, sondern handwerklich schlichtweg schlecht (d.h. inkompetent), ist eine nette Ironie am Rande. Lustiger wird’s, wenn man sich die einzelnen Titel und die amerikanische Situation des Verlags betrachtet: Gründer Charles Ardai, der selbst unter Pseudonym Krimis eines Niveaus schreibt, für die nur der Selbstverlag bleibt, hat neben seinen eigenen Werklein billige Alt-Rechte von Genre-Heroen und hacks wie Lawrence Block oder Donald Westlake versammelt. Dazu ein paar Newcomer wie den Schotten Allan Guthrie oder die Amerikanerin Christa Faust. Und zudem Bücher von größeren Namen wie Ken Bruen und Jason Starr, auf die deren Stammverlage eher weniger erpicht waren.
Dieses per se sehr kostengünstige Resterampen-Konzept funktionierte ganz ordentlich auf dem genre-historisch etwas bewussteren amerikanischen Markt (auf dem auch Übersetzungskosten nicht anfallen, weil alles bei HCC natürlich anglophon ist, bis jetzt) – eben Retro, leicht angekultet, nicht innovativ, mit dem pickligen Charme des Hebephrenen, das in schicken Blondinen, an die man lebensweltlich gesehen eh nie rankommen wird, dann eben notgedrungen das verrucht Böse sieht.So weit, so langweilig, so verlegerisch sinnlos, weil Rotbuch für schlechte Cover und ein wenig profiliertes Logo Geld ausgibt und zusätzlich für die einzelnen Bücher zahlen muss, deren Rechte nicht notwendigerweise HCC vergibt, sondern die Rechteinhaber selbst (also Agenten und/oder Autoren etc.), weil ja HCC in vielen Fällen auch nur Lizenznehmer der Stammverlage/Agenturen/Autoren ist … Diese aparte Art der konzeptionellen Hilflosigkeit allerdings ist das ökonomische Problem von Rotbuch und wir wollen da nicht weiter stören.
Anyway, das Billige ist jetzt also teuer geworden und muss deswegen geschickt verkauft werden. Schon okay – also werden aus ein paar Titeln der fünften Garnitur (wie der notorische Roman von Allan Guthrie: „Abschied ohne Küsse“, den seit Jahren nun wirklich gar kein anderer deutscher Verlag wollte), der lauen Blödelabteilung (Bruen/Starr: „Der Flop“) und einer frühen, mäßig gelungenen Fingerübung in James-M.-Cain-Manier (Lawrence Block: „Der Abzocker“) plus demnächst noch ein paar ganz olle Kamellen von der Stimme des McCarthysmus, Mickey Spillane, ein ganzer Trend hin zum hardboiler gebastelt. Und siehe: Man kann es allenthalben lesen – der Trend geht zum hardboiler. Ein Hoch auf den kritischen Kulturjournalismus!
Meine Güte – die Dinger sind so geschmacklos und böse wie Blümchentapeten und so provokant hartgesotten wie Florian Silbereisen.
… das Leben, stupid!
Richtig geschmacklos dagegen ist das wunderbare Cover von Rex Millers „Fettsack“ bei der Edition Phantasia – ein delirant grinsender, blutbesudelter Schlächter inmitten verwesender Kadaver; richtig geschmacklos sind die „Torpedo“-Comics von Sanchez Abuli/Alex Toth/Jordi Bernet bei CrossCult, weil die eben nicht im richtigen Moment zurückzucken, richtig eklig die eine oder andere Vampir-Konstellation in Charlie Hustons Joe-Pitt-Romanen (Heyne) – aber hardboiled ist und bleibt eine Einstellung zur Welt. Blutströme reichen da nicht, postmodernes Gezappel à la David Peace genauso wenig wie ästhetisch karg vermittelte gesellschaftspolitische Regression.
In einem Roman von Stuart MacBride oder Lee Child etwa stecken mehr hardboiled-Faktoren als in diesem ganzen fake-Zeug für schlichte Gemüter – in dem Blick auf die Welt, in der Komik, in der Einstellung zum alltäglichen Wahnsinn. Marketing und angeschlossene Presse können also so laut hardboiled, hardboiled brüllen, wie sie wollen. Es hilft nichts. Zumindest nicht bei mir.
Thomas Wörtche